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 Eine Gedenktafel in der Kleingartenanlage in Luckenwalde erinnert an die ermordeten Kinder Elias und Mohamed.
© Ralf Hirschberger/dpa

Prozess gegen mutmaßlichen Kindermörder: Mohameds Mutter und Schwester sagen aus

Im Prozess gegen Silvio S. hat die Mutter des getöteten vierjährigen Mohameds ausgesagt. Auch seine neunjährige Schwester wurde befragt.

Aldiana J. und ihre beiden Kindern Mohamed und Medina kamen Anfang 2014 nach Deutschland, sie waren aus Bosnien-Herzegowina geflüchtet. Am 1. Oktober 2015, als der viereinhalbjährige Mohamed entführt wurde, standen sie früh auf, um zusammen mit einem Nachbarn ab sechs Uhr - erstmals - bei der überfüllten Flüchtlingsregistrierung beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) Geld abzuholen. Ebenso mit dabei: Baby Kevin, dass die 29-jährige Aldiana mit ihrem rumänischen Lebenspartner in Deutschland bekommen hatte. Mit diesem habe der etwa ein Meter große Mohamed zunächst gespielt, nachdem er zuvor wegen Hungers geweint hatte und ein Brötchen bekam. Sie habe sich auf Mohamed verlassen, auch wenn er zwischenzeitlich aus ihrem Blickfeld spazierte. "Er ist immer zurückgekommen", sagte sie am Montag vor Gericht. Streit habe es mit seiner Schwester gegeben, Mohamed wollte sie beißen, übersetzt ein Dolmetscher ihre Aussage an diesem Verhandlungstag vor dem Landgericht Potsdam. Mohamed habe seinen Namen schon sagen können. Zwar habe er auch manchmal geweint, sei aber ein fröhliches Kind gewesen. Mit Erwachsenen habe er nur gespielt, wenn er sie kannte. Silvio S. habe ihn sicherlich mit einem Spielzeug angelockt.

Jedenfalls: Auf einmal sei Mohamed weg gewesen, gerade als sie den Behördengang erledigt hatte. Zunächst habe Medina nach Mohamed gesucht, doch erfolglos. "Ich wurde ängstlich." Auch im Flüchtlingskindergarten vor Ort sei Mohamed nicht gewesen. Schließlich hätte sie zusammen mit Wachleuten und Helfern gesucht. Gegen 16 Uhr sei die Polizei eingeschaltet worden. Später habe sie auf Bildern von Überwachungskameras ihr Kind an der Seite von S. eindeutig erkannt. 

Mohameds Mutter wollte Silvio S. nie sehen

Auf die Idee, dass jemand ihr Kind entführt hatte, sei sie nicht gekommen. Dann bricht es aus ihr heraus: Sie wünsche sich, dass der Angeklagte den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringe - "oder er soll sich selbst das Leben nehmen". Der Tod ihres Sohns habe sie "völlig kaputt gemacht". Schon zu Beginn ihrer Aussage erklärte die Mutter, sie hätte sich gewünscht, Silvio S. niemals sehen zu müssen. Es gehe ihr nicht in den Kopf, sagte sie mehrmals, wie man ein fremdes Kind einfach mitnehmen und ihm eine solche Falle stelle könne. Der Angeklagte verfolgte die Aussage mit gesenktem Kopf, zum Teil mit geschlossenen Augen, die er sich mehrfach auch rieb. Ebenso verfolgte die schwarzgekleidete Mutter von Elias die Verhandlung, sie hatte am ersten Prozesstag ausgesagt.   

Mohameds Mutter hat seit der Nachricht vom grausamen Tod ihres Sohnes und wegen des seelischen Stresses zwei Fehlgeburten erlitten, wie sie vor Gericht aussagte. Sieben Tage nach der Beisetzung ihres Kindes im vergangenen November habe sie die erste Fehlgeburt erlitten, musste deshalb ins Krankenhaus. Bis heute habe sie ein weiteres Kind in der Schwangerschaft verloren. Nach der Nachricht vom Tod ihres Sohnes habe sie unter Schock gestanden und habe in einem Krankenhaus behandelt werden müssen. Ihr Dolmetscher übersetzte: "Ich war schwanger im dritten Monat." Und: "Es war ein unbeschreiblich großer Schock für mich. Ich konnte nicht schlafen, monatelang. Auch meine Tochter leidet unter Schlaflosigkeit. Den Stress werden wir einfach nicht los. Ich habe meine Nerven verloren und bin deshalb in Therapie."

Die Mutter von Elias hörte sich die Aussage der Mutter von Mohamed bis zum Ende an. Als Aldiana J. fertig war und sich wieder auf die Bank der Nebenklage setzte, verließ die Mutter von Elias den Verhandlungssaal.

Richter befragte Mohameds Schwester einfühlsam

Auch die Schwester von Mohamed, die neunjährige Medina, wurde vom Gericht vernommen. Der Vorsitzende Richter der Schwurgerichtskammer, Theodor Horstkötter, befragte die Schwester behut- und einfühlsam. Medina berichtete von den Morgenstunden des 1. Oktober, ein Donnerstag, am Berliner Lageso. Jener Tag, als Silvio S. den Jungen entführt, in seiner Wohnung sexuell missbraucht und am nächsten Morgen erdrosselt hat. Medina erzählte vom frühen Aufstehen, wie sie am Lageso warteten, sich stritten, dass Mohamed geweint hat, weil sie seinem Versuch abgewehrt hat, sie zu beißen. Wie er mit einem anderen Kind spielte. Und er habe sein Lieblingsspielzeug dabei gehabt: eine Piraten-Augenklappe.

Dass er kurz fortging und mit einem weißen Plastikbecher wiederkam, mit einem Getränk, das wie Tee aussah, aber komisch roch. "Ich sah ihn trinken und dann ging er weg", übersetzte der Dolmetscher ihre Aussage. Dann habe die Mutter bemerkt, dass Mohamed weg war. Sie haben überall gesucht, im Kindergarten nachgefragt, aber keine Spur von Mohamed. Dann riefen sie die Polizei. Mit einem Erwachsenen hat Medina ihren Bruder zuvor aber nicht gesehen.

Mohameds Schwester: Er sei immer wiedergekommen 

Als der Richter fragte, ob Mohamed grundsätzlich Angst gehabt habe, im Dunkeln oder allein, sagte Medina, sie müsse kurz überlegen. Aber nein, Mohamed habe keine Angst gehabt, auch nicht vor Fremden. Im Asylheim hätten sie viele Nachbarn gehabt. Wenn er mit Erwachsenen mitgegangen sei oder allein, sei er immer wiedergekommen. Am Ende der Befragung sagte Richter Horstkötter: "Das hast du super gemacht."

Das Mädchen wurde auch noch vom Nebenklageanwalt ihrer Mutter befragt. Es ging um einen Schmerzensgeldantrag für die Folgen des Mordes für die Familie. Wobei der Anwalt auch keine "Exploration einer Kinderseele im Gerichtssaal" vornehmen wollte, wie er sagte. Medina geht inzwischen wieder zur Schule, doch über die Wochen seit Mohameds Verschwinden und erst recht seit der Nachricht von seinem Tod sagte sie nun: "Es war eine schwere Zeit." Und sie schilderte: "Ich musste ständig daran denken, dass mein Bruder nicht mehr bei uns. Ich konnte nicht schlafen. Ich habe immer noch Angst."

Silvio S. schaute Mohameds Mutter nicht an

Nach einer halben Stunde hatte die Neunjährige die Befragung hinter sich gebracht. Richter Horstkötter lächelte das Kind freundlich an und sagte: "Und ihr passt jetzt gut aufeinander auf, versprochen?" Medina nickte, ihr Ja war kaum zu hören.

Der Angeklagte Silvio S., der bei der Polizei die Tat an Mohamed gestanden hatte, blickte die ganze Zeit nach unten auf den Tisch, stützte den Kopf in seine Hände und rieb sich die Augen. Während er Erwachsene im Zeugenstand auch anschaute und aufrecht saß, vermied er jeden Blick auf Medina - und auch auf ihre Mutter. Er wirkte nervöser und angespannter als die vorherigen Verhandlungstage.

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