Stadtspaziergang mit Heinz Gindullis: „Mitte ist so anders geworden“
Heinz Gindullis, genannt Cookie, veranstaltete einst legendäre Clubnächte. Wie sieht er heute seinen Kiez zwischen Tiergarten und Torstraße? Ein Rundgang.
Was müsste man ihm geben, damit er Silvester zum Brandenburger Tor geht? „Nix!“, sagt Heinz Gindullis, genannt Cookie, fest. „Silvester würde ich da unter gar keinen Umständen hingehen.“ Sonst schon. Wenn er ernsthaft nachdenken muss, geht der einstige Club-Betreiber von seinem Büro Unter den Linden Richtung Brandenburger Tor und dann weiter in den Tiergarten. Solange keine Massenereignisse stattfinden, wie zum Beispiel Silvester, ist es hier ja sehr still. Ein paar Spaziergänger kommen uns entgegen, ein Hund bellt in der Ferne. Seinem Image, immer lässig gekleidet zu sein, entspricht er an diesem Tag nicht.
„Der Mantel hing ein Jahr im Schrank“, sagt er. „Plötzlich mag ich ihn.“ Als nach seinem 40. Geburtstag der Entschluss in ihm reifte, sich aus dem Clubleben zu verabschieden, kam er her. Und auch als sein vegetarisches Restaurant „Cookies Cream“ für ihn überraschend einen Michelin-Stern erhielt, und er Angst bekam, ein Herzinfarkt könne ihn deshalb ereilen, führte ihn sein Weg in den Tiergarten. Er ist Vegetarier seit seinem 8. Lebensjahr, führt den Erfolg des Restaurants aber auch darauf zurück, dass der Koch gerade kein Vegetarier ist.
In den 90er Jahren wurde Cookie als Betreiber legendärer Clubs zu einem Mitbegründer des neuen Berlin-Mythos. Dienstags und Donnerstags feierten Kids aus aller Welt bei ihm. Wieso mitten in der Woche? Das lag an seinem eigentlichen Brot-Job. Zur alten Wirkungsstätte führt der Spaziergang, vorbei am Café Einstein Unter den Linden, das von einem Freund mitbetrieben wird. Da es sich praktisch gegenüber von seinem Büro befindet, ist er oft hier, meistens zum Mittagessen. „Das Risotto ist super.“
Zu seinen eigenen Restaurants Crackers und Cookies Cream müsste er von seinem Büro Unter den Linden 41 nur über den Hinterhof gehen, aber die haben mittags nicht auf. Trotzdem zeigt er kurz die legendären Kronleuchter aus dem alten Cookies, die er einst im Palasthotel gekauft hatte, in dem man zu DDR-Zeiten nur mit Devisen zahlen konnte. Durch die Neustädtische Kirchstraße geht es zum Bahnhof Friedrichstraße. Kurzer Stopp an der Johannisstraße. Auch hier, in einem Nebenraum der Kalkscheune, hatte er mal einen Laden für einige Monate. Jetzt tagt dort der DAAD. „Mitte ist so anders geworden.“
Auch das hat den Abschied vom Clubleben beschleunigt: „Als ich anfing, kannte ich alle Gäste.“ Man hatte gemeinsame Interessen, Kunst, Architektur. Alles war spontan. „Am Schluss waren 387 Menschen im Club, davon kannte ich zwei, und von denen mochte ich nur einen. „Nur für Freunde“, das Motto findet sich auch auf einer Doppel-CD „Our Dancing Memories“.
Auf dem Weg durch die Oranienburger Straße nähern wir uns dem Grund für viele unvergessene Dienstage und Donnerstage. Direkt neben der Neuen Synagoge gab es damals das israelische Restaurant „Oren“. Dort hatte Cookie, der bis heute einen britischen Pass hat, seine Berliner Karriere als Tellerwäscher begonnen, wurde Küchenhilfe, später Barmann. Immer am Wochenende. Zum Feiern blieben die Dienstage und Donnerstage. „Mitte war damals ganz leer, viele Häuser waren verfallen.“
Er wohnte in der Auguststraße 26 b, und dort in einem Hinterhofkeller fing alles an, zunächst mit Nachbarn und deren Freunden. Irgendwann kamen Leute aus aller Welt, aus den USA, aus Israel, aus Neuseeland. Berlin hatte eine magische Anziehungskraft und die Feierkultur war anders als heute. Es gab noch keine Smartphones. Man kam spontan zusammen. „Heute wird alles geplant.“ Die Leute buchen Tickets, sind dann nur noch in Konsumstimmung. Das mag er nicht.
Ihm war es wichtig, einen Ort zu schaffen, an dem die Leute sich zu Hause fühlten. Das Kassieren hat ihm seine erste Barfrau Janet beigebracht. „Geld war damals einfach nicht wichtig.“ Viele hatten keins, weshalb etliche Drinks gratis über die Theke gingen, was Janet immer fuchsteufelswild machte. Mit den anderen Clubbetreibern, etwa vom „WMF“, hatte Cookie, der seit seiner Kindheit in London so heißt, ein gutes Verhältnis.
Die kamen zu ihm, weil sie selber am Wochenende geöffnet hatten. „Damals brauchte man kaum Geld, für die Miete reichte ein halber Tag Arbeit.“ Heute haben sich viele Clubs auf eine Musikrichtung spezialisiert. Er steht immer noch auf elektronische Musik. Donnerstags hat er früher aber auch gemischt. Disco, Funk, Hiphop, Soul. Klassik? „Funktioniert nicht in Clubs. Zu abwechslungsreich.“
Die Freundin? Traf er natürlich im Cookies
Mitte ist er treu geblieben, inzwischen wohnt er in der Torstraße. Zu seinen Lieblingsorten zählt das Café Bravo in der Auguststraße, ein Glaskubus im Hinterhof, gestaltet von einem New Yorker Künstler. Da will er eine Kaffeepause einlegen. Weiter geht es Richtung Hackescher Markt, vorbei an dem heute rosa leuchtenden Haus, in dem sich einst das erste Cookies befand. Er deutet auf das Café gegenüber. Da hielten sich viele Freunde tagsüber auf, weil sie keine Lust hatten, die damals noch sehr verbreiteten Kohleöfen anzumachen. Ziel des Spaziergangs ist das Data Kitchen.
Über die App bestellt er vorab im Gehen schon mal Ingwertee und Cappuccino. Er nutzt das auch als Event-Location, denn Events und Catering sind neben den beiden Restaurants im Haus der Komischen Oper heute ein wichtiger Geschäftszweig. Dass seine Kunden meist nicht daran denken, für Caterings auch Vegetarisches zu bestellen, bringt ihn zur Verzweiflung. Seine Mutter, eine Lebenskünstlerin an der Seite eines bildenden Künstlers, begann sich vegetarisch zu ernähren, als er ein Kind war. Heute ist er Vater von zwei Kindern im Alter von fünf und sechs Jahren. Seine Freundin hat er natürlich im Cookies kennen gelernt. Mit der Familie wohnt er in der Torstraße, hat „die nettesten Nachbarn, ganz tolle Leute“.
Als er Geburtstag hatte und sich „die fetteste Clubanlage“ ausgeliehen hat, da fielen bei den Leuten unter ihm die Bücher aus den Regalen und obendrüber flogen die Bilder von den Haken. Hat sich aber keiner beschwert. „Es waren auch alle eingeladen.“ Ein Schulfreund aus England hat ihn darauf aufmerksam gemacht, dass er seine Träume wahr gemacht hat. Schon als 10-jähriger hat er bei seinem Geburtstag Restaurant gespielt. Er war der Oberkellner, die Mutter die Köchin.
Bis heute ist es ihm wichtig, die Gäste richtig zu mischen. Deshalb kostet das Menü im Cookies Cream trotz Stern nur 49 Euro. Würde es teurer, käme nur eine bestimmt Art von Leuten, das will er vermeiden.
Silvester verbringt er ebenfalls in seinen beiden Restaurants und ist mal wieder sein bester Kunde. Früh schon hat er die Hälfte der Plätze für seine Freunde blockiert. „Sonst wären die schon im August weg gewesen,“ sagt er. „Letztes Jahr habe ich zu spät dran gedacht.“ Erst gibt's ein Dinner, dann Tischfeuerwerk und Musik vom DJ. Wenn alles gut läuft, „dann tanzen die Leute auf den Tischen ins Neue Jahr hinein."
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