Berlin-Gesundbrunnen: Mit Plätzchen gegen Polizeihass im Soldiner Kiez
Ein Netzwerk aus 34 Partnern will das Leben im Soldiner Kiez verbessern – und setzt bei den Kindern an.
Der Mann, der wie ein netter Onkel auftritt, fragt nach den Schüssen. Er fragt auch nach dem Opfer, der 23-Jährigen, die wohl versehentlich erschossen wurde, nachts, in einer Kneipe in Gesundbrunnen. Und er fragt nach den Männern, die so heftig gestritten haben, dass Schüsse knallten und eine Frau sterben musste. „Habt ihr davon gehört“, fragt der Mann mit dem gemütlichen Gesicht.
Aber die Kinder und die Jugendlichen, die ihn anblicken, haben nichts oder sehr wenig gehört. Obwohl sie hier in Gesundbrunnen leben, genauer: im Soldiner Kiez. Obwohl auf allen Kanälen über die Schießerei berichtet wurde. Eckhard Mantei, Hauptkommissar, fragte am Donnerstag, die Schießerei war wenige Tage her. Er kennt die Kinder und die Jugendlichen, er trifft sie oft, sie kennen ihn, er ist vertrauenswürdig.
Im Soldiner Kiez herrschte lange das Gesetz der Straße
Für Mantei sind ihre Antworten beruhigend. Es gibt ja immer die Gefahr, dass Jugendliche solche Taten verklären, als die Gesetze der Straße. Im Soldiner Kiez herrschte lange das Gesetz der Straße, für manche bis heute. Und die Polizei verkörperte den Feind. Aber Hauptkommissar Mantei, stellvertretender Dienstgruppenleiter der 4. Dienstgruppe im Abschnitt 36 der Polizei, Dienstbereich: Gesundbrunnen, sorgt dafür, dass viele Jugendliche jetzt das Gesetz des stressarmen Miteinanders als Richtschnur haben. Er ist der Ansprechpartner der Polizei im Projekt "Soldiner Kiez". Die Polizei ist ein Teil eines Netzwerks. 34 Organisationen und Einrichtungen insgesamt arbeiten daran, dass rund 1.000 Kinder und Jugendliche auf ein klares Ziel hinarbeiten: die Polizei ist kein Feind, sie ist Helfer.
Diese Idee steckt hinter dem Projekt „Soldiner Kiez“, und der Verein Kiezbezogener Netzwerkaufbau (KbNa) ist ein wichtiger Grund dafür, dass sie gut umgesetzt wird. Der Gesundbrunnen hat einen Teil seines Schreckens verloren, seit der Sozialarbeiter Yousef Ayoub 2009 den KbNa gegründet hat.
Zum Gesundbrunnen gehört immer noch brutale Gewalt, aber dazu gehören auch 15 bis 20 Jugendliche, die jeden Dienstag stolz in einen Polizei-Transporter einsteigen, mit erhabenem Gefühl zu einer Sporthalle der Polizei gefahren werden und dann gegen Beamte Fußball spielen. Im Hinterkopf haben alle die Regeln gespeichert. „Keine Fouls, keine Beleidigungen, Fair Play“, sagt Agnes Michalik, ein KbNa-Vorstandsmitglieder. Die Beamten, gegen die sie gerade Zweikämpfe führen, treffen sie später wieder auf der Straße. Man kennt sich, man versteht sich, da ist nicht der Feind, sondern der Sport-Kumpel.
Kinder spielen American Footbal oder üben sich im Schauspielern
Zu Gesundbrunnen, zum Soldiner Kiez gehört jetzt auch, dass bei einem Konflikt nur noch ein Polizeiwagen ausrücken muss, obwohl sich auf der Straße bereits eine aggressive Menge gebildet hat. „Die Eskalation“, sagt Hauptkommissar Mantei, „ist dann in Minuten beendet.“
Die Eltern sind ja eingebunden in das Projekt. Ihre Kinder spielen American Football mit den Berlin Adlern, sie schauspielern mit dem Prime Time-Theater, sie spielen Fußball bei einem großen Turnier mit Teams aus allen möglichen Einrichtungen, darunter die Polizei. Und die Eltern sind oft dabei, oder die Kinder erzählen ihnen von den Aktivitäten. Außerdem gehören Schulen und eine Moschee zum Netzwerk, immer geht es darum, Verständnis füreinander zu erzeugen.
„Die Mädchen wollten unbedingt, dass so ein Workshop wiederholt wird“
Viele Jugendliche sind an diese Einrichtungen angedockt, sie verbringen ihre Freizeit dort oder werden betreut. Die Flüchtlingsunterkunft in der Residenzstraße gehört auch zum Netzwerk. Langweile, Triebfeder für viele kriminelle Aktionen, vertreibt das Projekt mit vielfältigen Angeboten. Zum Knüller wurde der Designer-Workshop des Start-up-Unternehmens Kuniri. Die Firma ist spezialisiert auf Textildesign, in den Sommerferien lud eine Schneiderin vor allem Mädchen aus dem Kiez zu sich ein. Sie hockten an der Nähmaschine, produzierten Kleider und Taschen, und präsentierten ihre Werke in einer Modenschau vor Eltern und Jugendlichen.
„Die Mädchen wollten unbedingt, dass so ein Workshop wiederholt wird“, sagt Agnes Michalik vom Kiezverein. Für die Polizei entspannt sich die Lage durch die Arbeit des Projekts erheblich. „Der Verein KbNa leistet einen unermüdlichen und wertvollen Beitrag zur Verständigung und für einen friedlichen Umgang im Soldiner Kiez“, sagt Mantei. „Die gemeinsame Arbeit der Netzwerkpartner und des Polizeiabschnitts 36 trägt im hohen Maße zur Konfliktvermeidung beziehungsweise zur Konfliktminimierung zwischen Jugendlichen, Anwohnern aus dem Kiez und der Polizei bei. Das erleichtert wesentlich die ohnehin schon schwierige polizeiliche Arbeit.“
Das Weihnachtsbacken ist nicht bloß Spaß für die Kinder
Ein Klassiker findet bald wieder in der Kantinenküche des Polizeiabschnitts 36 statt. Dann stehen zwei Dutzend Kinder, zwischen sechs und zehn Jahre alt, an den Arbeitsflächen, drücken Blechformen von Delfinen, Vögeln und Sternen in breitgewalkten Teig und und versuchen – Zungenspitze im Mundwinkel, hochkonzentrierter Blick – den Teig unversehrt aus den Förmchen zu drücken. Das Weihnachtsbacken ist nicht bloß Spaß für die Kinder, es prägt schon früh ihr Bild einer freundlichen, hilfsbereiten Polizei. Die Polizisten helfen beim Backen, die Eltern beobachten zufrieden ihre glücklichen Kinder, am Ende essen alle zusammen Plätzen in der Kantine, wo Kerzenlicht auf den weiß gedeckten Tischen flackert.
„Und es passiert jetzt auch, dass Kinder, Jugendliche und Eltern von sich aus zur Polizei kommen und um Rat fragen, wenn sie bestimmte Probleme haben“, sagt Agnes Michalik. Dann sitzen sie oft in Manteis Büro, einem schmucklosen Raum, auf dem Tisch liegt eine geblümte Tischdecke. Auf einem Aktenschrank steht ein goldener Pokal, die Trophäe für den Sieger des traditionellen Vereins-Fußballturniers. Mantei erklärt geduldig und einfühlsam die Regeln die Zusammenlebens. Eine mühsame Arbeit. „Es hat zwei Jahre gedauert, bis wir eine Veränderung festgestellt haben“, sagt Mantei. Aber die ist bemerkenswert. Nicht selten, sagt der Hauptkommissar, erklärten Menschen: „So einen Polizisten haben wir noch nie erlebt.“
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