Berlin-Gesundbrunnen: Soldiner Kiez: Zwischen Gangs und Gentrifizierung
Äxte, Schlagstöcke, tödliche Schüsse auf eine Frau - aus dem Soldiner Kiez dringen immer mal wieder beunruhigende Nachrichten. Doch das Viertel verändert sich.
Wieder geht es um Gesundbrunnen, wieder um den Soldiner Kiez, wieder um eine blutige Tat vor einem einschlägig bekannten Lokal. Nach den tödlichen Schüssen auf eine Frau aus Bosnien in der Prinzenallee ermitteln Landeskriminalamt und Staatsanwaltschaft wegen diverser Delikte: Neben einer Schusswaffe waren am Wochenende auch Äxte und Schlagstöcke eingesetzt worden. Ob der Vater der Frau, wie es in der „B.Z.“ hieß, im Chaos versehentlich seine Tochter erschoss, ist unklar. Aufsehen erregende Auseinandersetzungen hatte es im Quadratkilometer zwischen den Bahnhöfen Osloer Straße, Humboldthain und Gesundbrunnen zuletzt öfter gegeben.
Dennoch: Das Viertel wandelt sich. Die Zahl der Gewalttaten (für 2018 liegen noch keine Daten vor) steigt vorläufigen Erkenntnissen zufolge nicht. Das dürfte auch daran liegen, dass die Gentrifizierung des Kiezes – gut verdienende Zugezogene, steigende Mieten, neue Läden – voranschreitet. Von Beamten, dem Quartiersmanagement Soldiner Straße und von Milieukennern ist zu hören: Schlimmer werde es nicht.
Im Gegenteil, viele Häuser seien saniert worden, neue Anwohner zugezogen, bestimmte Banden weniger aktiv, sagt Carsten Milius. Der Polizist arbeitet in der für Gesundbrunnen zuständigen Direktion 3 und ist Vizelandeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Dass es im Viertel zu brutalen Taten komme, sei aber offenkundig, die soziale Mischung sei dafür eben immer noch geeignet. Die Gewerkschaft der Polizei teilte mit, dass die Kollegen den Stadtteil trotz engagierter Präventionsarbeit und verstärkter Präsenz nicht allein unter Kontrolle halten könnten.
Präventionsarbeit der Polizei
„Dieser Ort ist eine Integrationsmaschine, ein Ankunftsort für Berlin. Das bringt auch Schwierigkeiten mit sich“, sagte Innensenator Andreas Geisel (SPD) dem Tagesspiegel: Er habe großen Respekt vor der Präventionsarbeit der Polizei, die zusammen mit Anwohnern viel tue, damit das Viertel sicherer werde.
Erst im August dieses Jahres hatten sich fast 50 Männer in der Wiesenstraße geprügelt – Auslöser war ein Streit zwischen zwei Frauen. Im Mai wiederum pöbelten sich an der Prinzenallee zwei Autofahrer an, bald sammelten sich 60 Männer um die beiden Kontrahenten – die Polizei musste mit einem Großaufgebot anrücken. Im Mai 2017 feuerten Männer mit einer Maschinenpistole auf eine mit Gästen besetzte, einschlägig bekannte Bar in der nahen Groninger Straße. Sechs aus Tschetschenien und Kosovo stammende Männer stehen derzeit vor Gericht: Die mutmaßlichen Täter sollen der rockerähnlichen „Guerilla Nation Vaynakh“ angehören und nach einem Drogengeschäft auf den albanischen Wirt wütend gewesen sein – der schoss übrigens zurück. Schon 2016 waren in der Bellermannstraße während der Eröffnung eines Lokals 30 Männer aufeinander losgegangen, einige sollen Rocker gewesen sein.
Bundesweit bekannt wurde der Kiez durch einen Fall nur Wochen zuvor. Ein als „Mehrfachtäter“ polizeibekannter Elfjähriger versuchte, ein Auto zu starten. Als Beamte den Jungen ansprachen, reagierte der patzig – und rasant waren die Polizisten von der großen Familie des Jungen umringt. In jenem Jahr hatte sich auch ein Ehestreit in der Grüntaler Straße aus der Wohnung auf die Straße verlagert, dort standen sich 50 Beteiligte gegenüber. Und 2015 hatten sich zwei Großfamilien aus Bosnien gestritten, ein Mann starb bei einer Vergeltungsaktion. Er war mit Messern und einer Schusswaffe angegriffen worden. Auch dieser Tatort – die Hochstädter Straße – grenzt an Gesundbrunnen.
Kiezbezogener Netzwerkaufbau
Das Viertel gilt als Anlaufkiez. Wer neu in der Stadt ist, vielleicht noch kein Deutsch spricht und Kontakte braucht, der trifft hier Verwandte und Bekannte. Zwei von drei Bewohnern, mehr als 80 Prozent der Kinder, haben einen Migrationshintergrund. Vor allem junge Männer vom Balkan sind in den vergangenen Jahren zugezogen – auch weil die Mieten vergleichsweise günstig geblieben sind. Fast jeder zweite Bewohner lebt von staatlicher Unterstützung, die Arbeitslosenquote beträgt rund 15 Prozent. Die Gegend zählte im Sozialatlas zu den ärmsten der Stadt, der „sehr niedrige Status“ sei über Jahre erhalten geblieben.
Das ändert sich gerade. Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) möchte für den Soldiner Kiez entsprechenden Milieuschutz einführen. Dass sich viele im Viertel wohlfühlen, dass es also auch einkommensstärkere Neulinge anzieht, ist wohl auch Folge des Engagements örtlicher Polizisten und der Aktiven des kiezbezogenen Netzwerkaufbaus. Da dürfte die aktuelle Debatte um deren Musikvideo nur kurzfristig stören. In dem Clip sind Polizisten und Jugendliche, die sich umarmen, rappen, tanzen zu sehen. Der Song soll dafür werben, dass die Polizei nicht Feind, sondern Helfer sei. Das Video jedoch hat ein Mann mitproduziert, der 2016 mit einem islamistischen Rapper zusammenarbeitete. Der hatte das Charlie-Hebdo-Massaker in Paris verherrlicht.
Vielleicht ist da der von Weddinger Polizisten in Eigenregie gedrehte Clip von 2013 besser: Verwackelte Kamera, Blaulicht, Waffen – dazu grob gereimt: „Jeden Tag rocken wir durch den Bereich, das alles nur für die Gerechtigkeit.“
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