Tagesspiegel-Spendenaktion "Menschen helfen!": Kiezprojekt bringt Jugendliche und Polizisten zusammen
Der Kiezbezogene Netzwerkaufbau in Gesundbrunnen schafft es, dass die Jugendlichen die Uniformierte nicht mehr als Feindbild betrachten. Es bittet um Spenden.
Für unsere Jubiläums-Spendenaktion zu 25 Jahre „Menschen helfen!“ haben wir in der Runde 2017/18 insgesamt 58 soziale Projekte vor allem in Berlin und Brandenburg ausgewählt. Aber auch im Ausland helfen wir wieder, mit unserem traditionellen Partner Deutsche Welthungerhilfe. In unserer Spendenserie stellen wir ausgewählte Initiativen stellvertretend für alle anderen vor, für die wir die Leserinnen und Leser um Spenden bitten. Heute: der Kiezbezogene Netzwerkaufbau (KbNa) in Gesundbrunnen, der sich um ein konfliktfreies Verhältnis zwischen Jugendlichen und Polizei im Soldiner Kiez einsetzt.
Karim* bemüht sich liebevoll um den Delfin, da gibt es gar nichts. Die Behandlung übersteht das Tier trotzdem nicht unversehrt. Karim hat hochkonzentriert die Plastikform in den Teig gedrückt, nur das Auslösen geht schief. Dem Delfin fehlt die Schnauze.
Ein Fall für Hauptkommissar Eckhard Mantei.
Er schaut Karim über die Schultern, in voller Uniform, und sagt: „Soll ich dir helfen?“ Klar soll er ihm helfen, Karim steht ja in der Kantinenküche des Polizeiabschnitts 36, weil er Plätzchen backen will. Also zeigt ihm Mantei, dieser Hauptkommissar mit dem gemütlichen Gesicht und den wachen Augen, wie man die Form so aus dem Teig löst, dass der Delfin heil bleibt. Es dauert genau drei Minuten, da korrigiert Karim seinen Nachbarn Mostafa: „Na, so kannste die Form nicht in den Teig drücken.“
Aus Kuchenteig werden Delfine
22 Kinder stehen an diesem Nachmittag in der Küche, zwischen sechs und zehn Jahre alt, sie backen mit Leidenschaft Delfine, Sterne und Blumen. Zwischen ihnen haben sich fünf uniformierte Polizisten postiert, als Ratgeber, als Motivatoren. Eine halbe Stunde später werden sie zusammen die Plätzchen essen, in der Kantine, wo Kerzen auf den Tischen stehen und Weihnachtsatmosphäre durch den Raum weht. Die fünf Betreuer der Kinder werden auch mitessen.
Für die Kinder ist Weihnachtsbacken ein Spaß. Für die Polizisten und die Mitarbeiter des Kiezbezogenen Netzwerkaufbaus (KbNa) ist es ein Beitrag zur Zielsetzung: Die Polizei ist kein Feindbild.
Das steckt hinter der Idee des KbNa. Und diese Idee wird erfolgreich umgesetzt. Damit das so bleibt, damit auch in Zukunft Geld da ist, zum Beispiel fürs Weihnachtsbacken, bittet der KbNa um Geld aus der Tagesspiegel-Spendenaktion „Menschen helfen!“.
Der Abschnitt 36 in Wedding ist zuständig für den Soldiner Kiez. Schwieriges Gebiet. Es gab Jahre, da fuhr die Polizei nur in Gruppenstärke zu Einsätzen, da standen bis zu 70 Polizisten auf der Straße, da bildete sich eine aggressive Menschenmenge vorwiegend aus Jugendlichen. Oft genug hatte es zuerst nur Streit unter Bewohnern des Kiezes gegeben, aber als die Beamten kamen, einte die Menge das gemeinsame Feindbild: die Polizei.
Und jetzt? Es kann sich in Sekundenschnelle immer noch eine aggressive Menge formieren. Doch meist genügt es, dass ein Polizeiauto zum Einsatz fährt. „Die Eskalation“, sagt Mantei, „ist dann in Minuten beendet.“ Naheliegend, denn die Jugendlichen kennen ja die Uniformierten im Auto. Mit denen spielen sie Fußball, mit denen machen sie auch mal launige Sprüche. Die Typen im Auto, die sind keine Provokation.
Das alles geht auf Yousef Ayoub zurück. Der Sozialarbeiter ist im Soldiner Kiez aufgewachsen, er kennt die Regeln der Straße, er arbeitet in einem Jugendklub, in dem viele dieser aggressiven Jugendlichen abhingen. So kann’s nicht weitergehen, dachte er, irgendwie müssen Polizei und raue Kiezbewohner zusammenkommen. Also redete er vor ein paar Jahren mit Hauptkommissar Mantei, der war für ihn Ansprechpartner. Der stellvertretende Dienstgruppenleiter der 4. Dienstgruppe im Abschnitt 36 fand es ja auch nicht lustig, dass bei jedem Kleinkram die halbe Berliner Polizei in den Soldiner Kiez ausrücken musste.
Beim gemeinsamen Fußballspielen
Ayoub und Mantei organisierten zuerst ein wöchentliches Hallenfußballspiel, Jugendliche gegen Polizisten. Das lief so gut, dass Ayoub und Mantei das Angebot ausbauen wollten. Also suchte der Sozialarbeiter geeignete Partner. Er fand sie in Moscheen, Kirchen, Jugendklubs, Schulen, Sportvereinen. So entstand ein Netzwerk von 31 Partnern. 60 Jugendliche haben nun ein umfassendes Freizeitangebot. Das Backen gehört dazu, schon die Kleinen sollen die Polizei als Partner betrachten. „Ganz wichtig war es“, sagt Mantei, „dass wir Kontakt in die Moscheen bekommen haben. Dadurch kommen wir an die Erwachsenen heran.“ Und Agnes Michalik, Vorstandsmitglied des KbNa, sagt: „Wir sind sehr zufrieden.“ Dann redet sie über die neueste Idee: „Wir haben ein Theaterprojekt, bei dem Gewaltaktionen nachgestellt werden.“ Verbunden mit Lösungswegen.
Eine wichtige symbolische Rolle beim gegenseitigen Vertrauensaufbau spielt der schmucklose Tisch mit der geblümten Tischdecke in Manteis schmucklosem Büro. Denn hier sitzen Eltern, Jugendliche und Polizisten, wenn es Probleme zu besprechen gibt, in einer Atmosphäre, in der die Eltern etwas annehmen können. Nicht selten, sagt Mantei, erklärten Menschen am Ende: „So einen Polizisten haben wir noch nie erlebt.“ Aber: „Es hat zwei Jahre gedauert, bis wir eine Veränderung festgestellt haben“, sagt Mantei Die Zahl der Einsätze ist nicht gesunken, aber nun werden viele Probleme im lockeren, zielgerichteten Gespräch gelöst. Die Polizei setzt immer noch Recht und Ordnung durch, aber die Tonlage hat sich geändert. Und damit noch mehr Jugendliche erreicht werden, bittet der KbNa um Geld für Sportkleidung, für Material zum Backen und für sonstige Aktivitäten.
Auf einem Aktenschrank in Manteis Büro steht ein goldener Pokal, die Trophäe für den Sieger des traditionellen KbNa-Fußballturniers. 15 Mannschaften sind dabei, jeder Netzwerkpartner stellt ein Team. Am Ende wird, ganz fair play, dem Sieger aufrichtig gratuliert – eine Geste, die in diesem Jahr Jugendliche und Polizei emotional noch ein Stück näher brachte. Denn den Turniersieg holte 2017 der Abschnitt 36.
*Namen der Kinder geändert
Das Spendenkonto der neuen Aktion 2017/18, die am 1. Advent gestartet ist: Empfänger: Spendenaktion Der Tagesspiegel e. V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse, BIC: BELADEBE, IBAN: DE43 1005 0000 0250 0309 42. Bitte Namen und Anschrift für den Spendenbeleg notieren. Auch Online-Banking ist möglich.