zum Hauptinhalt
Skyline mit dem Berliner Fernsehturm über den Dächern von Neukölln.
© Marc Vorwerk/picture alliance/SULUPRESS.DE
Update

Vermieter fördern – und ihnen etwas drohen: „Mietenschutzschirm“ – so soll die grüne Alternative zu Enteignungen funktionieren

Die Berliner Grünen legen ihren Plan vor, mit dem sie den Anstieg der Mieten begrenzen wollen. „Das Vorbild ist Wien“, sagt Spitzenkandidatin Bettina Jarasch.

Die Grünen wollen den Anstieg der Wohnkosten in Berlin mit Hilfe eines „Mietenschutzschirms“ stoppen. Ihnen schwebt ein verbindlicher Pakt für gemeinwohlorientiertes Wohnen zwischen der Politik und Vermietern vor, wie die Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl, Bettina Jarasch, am Mittwoch mitteilte.

Demnach sollen sich Vermieter unter anderem zu einem fünfjährigen Mietenmoratorium und einer Wiedervermietung leerer Wohnungen nach sozialen Kriterien verpflichten. Zudem sollen sie sich auf „faire Umlagen“ auf die Miete bei der energetischen Modernisierung und ein Recht auf Wohnungstausch festlegen, für drei Jahre auf die Auszahlung von Dividenden verzichten und das Geld stattdessen in Instandhaltung, Sanierung und Neubau investieren.

Nur wer dem folgt, soll nach den Vorstellungen der Grünen künftig noch städtischen Baugrund im Zuge eines Erbbaurechts erhalten. Zudem stellt die Partei finanzielle Anreize für diese Vermieter in Aussicht, etwa einen verringerten Erbbauzins oder mehr Fördergeld für sozialen Wohnungsbau oder energetische Sanierungen.

"Das Vorbild ist Wien", sagte Jarasch, die nach der Wahl am 26. September Berlins erste grüne Regierende Bürgermeisterin werden will. Wenn es nach den Grünen geht, soll künftig die Hälfte des Wohnungsbestandes gemeinwohlorientiert bewirtschaftet werden. Es gelte, den "Druck des Volksbegehren" zur Enteignung von großen Wohnungskonzernen zu nutzen, um schneller und rechtssicherer das Ziel zu erreichen, dass alle Menschen bezahlbaren Wohnraum in Berlin finden können.

Jarasch: Enteignung nur dann, wenn Kooperation scheitert

Das Wiener Model bedeute, dass mindestens 50 Prozent der Wohnungen in den gemeinwohlorientierten Sektor kommen, „weil man dann automatisch steuernden Einfluss auf alle Wohnungen hat“, erklärte Jarasch. Die Menge der günstigen Wohnungen beeinflusse den Mietspiegel.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

„Und wenn wir so dauerhaft bezahlbare Wohnungen schaffen, brauchen wir keine Vergesellschaftung.“ Kurzum: „Die Karte Enteignung wird nur gezogen, wenn eine kooperative Lösung scheitert“, erklärte Jarasch. „Der Ball liegt bei der Wohnungswirtschaft.“

Jarasch: Druck des Volksentscheids wichtig

Das Angebot sei ein „Neuanfang“ für die Beziehungen der Politik zur Wohnungswirtschaft, sagte die Spitzenkandidatin der Grünen. Die Wohnungswirtschaft werde sich nicht freiwillig auf den Weg machen. Deshalb sei der Druck des Volksentscheids wichtig. Denn: „So lange die Wohnungswirtschaft hofft, mit einer SPD- oder CDU-geführten Regierung davon zu kommen, wird sie sich nicht bewegen.“

[Lesen Sie mehr: Zwischen 8 und 36 Milliarden: Was kostet „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“? (T+)]

Jarasch machte auch den Unterschied zwischen dem Grünen-Plan und dem Ansatz von "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" deutlich: Das Modell des Mietenschutzschirms habe den Vorteil gegenüber der Enteignung, nicht zwischen großen und kleinen Vermietern zu unterscheiden, sondern zwischen fairen und auf Gewinnmaximierung zielenden Vermietern.

Trotzdem erklärte Jarasch, sie werde im September für die Vergesellschaftung votieren, "obwohl die Enteignung nur die Ultima Ratio ist". Die Stadt brauche den Druck, um den Weg zur Stärkung des gemeinwohlorientierten Sektors schnell gehen zu können.

Berlins größter Wohnungsverband BBU reagierte ausweichend auf das Gesprächsangebot,„viele Fragen wären auch rechtlich noch klärungsbedürftig“. Aber: „Positiv ist, dass nicht nur Forderungen an die Wohnungswirtschaft formuliert werden, sondern auch Verpflichtungen und Anreize seitens des Landes geboten würden“ – ausdrücklich auch zum Bau von Wohnungen. Denn nur durch Neubau sei das Ziel eines entspannten Berliner Mietwohnungsmarkt zu erreichen.

CDU bezeichnet den Vorstoß als „absurd“

Kritik kam hingegen aus der Opposition: „Berlin braucht pro Jahr mehr als 20.000 neue Wohnungen, um den hohen Bedarf an Wohnraum zu decken. Mit einem ‚Mietenschutzschirm‘ – wie es die Grünen vorschlagen – wird der Berliner Wohnungsbestand dieses Ziel zu 100 Prozent nicht erreicht werden“, sagte der Sprecher für Bauen und Wohnen der FDP-Fraktion, Stefan Förster.

Christian Gräff, CDU, sagte: „Berlins Grüne haben großen Anteil daran, dass sich Berlins Wohnungsproblem in den letzten Jahren drastisch verschärft hat“. Zwei Monate vor der Wahl die Mieter mit einem Schutzschirm „vor den Folgen ihrer falschen Wohnungspolitik“ schützen zu wollen, erscheine das „absurd“.

Stattdessen müsse der Wohnungsbau angekurbelt werden, eine verbindlich verabredete Quote geförderter Wohnungen müsse her. Zudem sollten Mieter mit mittleren Einkommen gefördert werden, „durch Zinsfrei-Darlehen für Familien sowie ein landeseigenes Bau-Kindergeld zusätzlich zu dem des Bundes beim Kauf selbstgenutzten Eigentums“.

[Lesen Sie mehr: Bloß kein Indianerhäuptling: Wer ist eigentlich Berlins grüne Spitzenkandidatin Bettina Jarasch? (T+)]

Die Spitzenkandidatin der SPD, Franziska Giffey, will an einem Runden Tisch mit Wohnungswirtschaft und Mietervertretern Auswege aus Wohnungsnot und „Mietenwahnsinn“ suchen. Sie nannte Hamburg als Beispiel: Dort wird gemessen an der Zahl der Einwohner mehr Wohnungen als in Berlin gebaut, seitdem ein solcher Runder Tisch mit den Immobilienverbänden installiert wurde.

„Der Druck ist höher in Berlin als in Hamburg“, entgegnete Jarasch. „Deshalb greift ‚bauen, bauen, bauen‘, wie Giffey und CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner sagen, zu kurz.“ Im Gegensatz dazu ziele der Mietenschutzschirm auf Neubau und bezahlbare Mieten im Bestand.

Regionale Wirtschaftspolitik statt „Ideologie oder Sozialismus“

Die wohnungspolitische Sprecherin der Grünen, Katrin Schmidberger, sagte, der Mietenschutzschirm sei „nicht Ideologie oder Sozialismus, sondern regionale Wirtschaftspolitik“. 80 Prozent der Mieteinnahmen flössen aus der Region ab. So gesehen bringe die Branche „keinerlei Mehrwert für Berliner:innen und deshalb muss man bestimmte Geschäftsmodelle stoppen“. Dabei helfe der Schutzschirm.

„Die Wohnungsnot ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, sagte Jörn Oltmann, grüner Baustadtrat vom Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Dies sei „an den Zetteln von Wohnungssuchenden an vielen Lichtmasten abzulesen“. Beim Mietenschutzschirm müssten noch „viele Details geklärt und verhandelt werden“. Doch mit dem Angebot wollten die Grünen „auf Kooperation und Zusammenarbeit setzen. Und so kann es uns gelingen, Rechtsfrieden zu schaffen am Wohnungsmarkt“. (mit dpa)

Zur Startseite