Berliner SPD: Michael Müller setzt alles auf eine Karte
Der Regierende Bürgermeister will jetzt auch den Parteivorsitz. Die Sozialdemokraten entscheiden Ende April. Die Sympathie der Parteibasis gilt aber dem Regierenden.
Er will die ganze Macht. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller kündigte am Mittwoch überraschend an, für den Landesvorsitz der SPD zu kandidieren. Am 30. April wird die Parteiführung auf einem Landesparteitag turnusmäßig neu gewählt. Eigentlich war geplant, viereinhalb Monate vor der Abgeordnetenhauswahl den amtierenden Vorstand zu bestätigen, um Ruhe in der Berliner Regierungspartei zu haben. Jetzt sieht es so aus, als wenn sich die Sozialdemokraten neu sortieren müssen.
Den Anspruch Müllers, neben dem Regierungsamt auch den Parteivorsitz zu übernehmen, werden die Genossen wohl mehrheitlich unterstützen. Sonst wäre der designierte SPD-Spitzenkandidat, der auf relativ hohe Beliebtheitswerte in der Bevölkerung verweisen kann, politisch schwer beschädigt. Den bisherigen Landeschef Jan Stöß, der das höchste Parteiamt im Juni 2012 von Müller übernahm, traf der Coup des Regierenden Bürgermeisters hart. Er meldete Beratungsbedarf an und will sich am Donnerstag erklären. „Ich rate Stöß ab, gegen Müller anzutreten“, sagte der SPD- Kreischef in Treptow- Köpenick, Oliver Igel. Es gehe ja auch nicht darum, Stöß auszubooten, er sitze voraussichtlich ab September im Abgeordnetenhaus und müsse seine Rolle in der SPD neu finden.
Müllers Kandidatur wird unterstützt
Noch in dieser Woche werden sich die zwölf SPD-Kreisvorsitzenden treffen, um über die Lage zu beraten. Wie es jetzt aussieht, wird Müller eine breite Mehrheit in den Kreisverbänden für seinen innerparteilichen Führungsanspruch finden. Auch die Fraktion im Abgeordnetenhaus mit Raed Saleh an der Spitze unterstützt die Kandidatur. Ebenso der Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel, ein enger Vertrauter des Regierungschefs, der schon am Montag angekündigt hat, als stellvertretender SPD-Landeschef zu kandidieren.
Mit seinem Griff nach der Parteiführung will Müller einerseits die Vorbereitung des SPD-Wahlkampfs, einschließlich des Wahlprogramms, bündeln und kontrollieren. Und er will im Fall eines Wahlsiegs maßgeblichen Einfluss auf die Auswahl des Koalitionspartners und des neuen Regierungsprogramms nehmen. Eine vage Ankündigung, den Parteivorsitz an sich zu reißen, hatte Müller schon im Juli 2015 in einem Interview mit dem Online-Magazin „Cicero“ gemacht. Es könne „eine Situation entstehen, in der es für den Auftritt der SPD Sinn macht, beide Ämter zusammenzuführen“, sagte Müller. Diese Äußerung wurde damals nur wenig beachtet, und nur gelegentlich tauchten parteiintern Gerüchte auf, Müller wolle seine Ankündigung wahr machen.
Müller und Stöß arrangierten sich mehr schlecht als recht
Jetzt ist es soweit. Und man sollte nicht vergessen, dass der Regierende Bürgermeister noch eine Rechnung offen hat. Denn am 9. Juni 2012, auf einem Landesparteitag, hatte der Sprecher der SPD-Linken, Jan Stöß, gemeinsam mit dem SPD-Fraktionschef Raed Saleh den Landesvorsitzenden und Wowereit-Vertrauten Müller nach acht Jahren aus dem Amt gedrängt. Müller wurde Stadtentwicklungssenator und folgte später dem Parteifreund Klaus Wowereit im Roten Rathaus. Dem war ein Mitgliederentscheid der SPD vorausgegangen, den Müller gegen die Konkurrenten um das Amt des Regierenden Bürgermeisters, Stöß und Saleh, klar gewann. Seit dem 11. Dezember 2014 führt Müller die rot-schwarze Koalition an und er hofft darauf, bei den Berliner Wahlen im Herbst als Regierungschef bestätigt zu werden.
Der SPD-Chef Stöß wiederum überstand im Frühjahr 2014 einen Putschversuch des Fraktionschefs Saleh, der gern den Parteivorsitz übernommen hätte, aber dafür intern keine Mehrheit fand. Stöß wurde daraufhin, wenn auch nur mit einer bescheidenen Parteitagsmehrheit von 69 Prozent der Stimmen, im Amt bestätigt und wollte sich jetzt noch einmal für zwei Jahre wählen lassen.
Im Laufe der Zeit arrangierten sich Müller und Stöß zwar miteinander, aber mehr schlecht als recht. Der Regierungschef fasste nie größeres Vertrauen zu dem Genossen, der ihn aus dem Parteivorsitz gekickt hatte. Wenn auch gemeinsam mit Saleh, der aber stets darauf achtet, gegenüber Müller loyal zu sein – oder wenigstens so zu wirken. Gleichzeitig betont Saleh die politische Eigenständigkeit seiner Fraktion und profilierte sich vor allem auf den Gebieten der Integrations- und Bildungspolitik.
Die Sympathie gilt dem Regierenden
Saleh wird nach der Wahl im September aller Voraussicht nach Fraktionschef bleiben. Stöß kann, wenn er den Wahlkreis rund um den Alexanderplatz gewinnt, Abgeordneter werden und muss dann für sich eine neue Rolle finden. Der drohende Verlust des Parteivorsitzes wird ihn in jedem Fall schwächen.
Wie sich der Machtkampf um den SPD-Landesvorsitz, zwei Wochen vor dem Parteitag zur Vorstandswahl und sechs Wochen vor der Nominierung Müllers zum SPD-Spitzenkandidaten, auf die Stimmung in der Partei auswirkt, bleibt vorerst offen. Da die Absicht Müllers, zu kandidieren, früher öffentlich wurde, als er wollte, konnten sich die Reihen am Mittwoch noch nicht so richtig ordnen. Die Sympathie an der Parteibasis gilt aber dem Regierenden.
Derweil schaute sich der Koalitionspartner CDU, von der neuen Entwicklung ebenfalls überrascht, den Vorgang recht genüsslich an. „In Anbetracht ständig neuer Vorwürfe scheint Michael Müller nervös geworden zu sein“, sagte der CDU-Generalsekretär Kai Wegner. Anspielend auf den Wahlkampfslogan der Sozialdemokraten fügte er hinzu: „Es sieht so aus, als wenn bei der SPD aus dem Füreinander wieder ein Gegeneinander wird.“ Wie sich die SPD intern aufstelle, müsse sie selbst entscheiden. Der Union sei aber wichtig, dass die Regierungsarbeit in Berlin nicht erneut unter den SPD-internen Machtkämpfen leide, so Wegner. Er erinnerte daran, dass bei der Berliner CDU alle Führungsentscheidungen schon getroffen worden seien, und pries die Union als „verlässlichen Partner für eine stabile Regierung“ an.