WG-Suche in Berlin: Mein Mitbewohner spinnt!
Schnitzelverbot, Besuchssperre, Nudisten auf dem Sofa: Wer in Berlin ein WG-Zimmer sucht, braucht Nerven. Höchste Zeit, mal an ein paar zentrale Werte des Zusammenwohnens zu erinnern.
Ach Berlin, es war doch mal so schön mit uns. Mit 19 Jahren, kurz nach dem Abi, zog ich in dein Kreuzberger Herz. Manteuffelstraße, zweites Obergeschoss, zwei Zimmer, eines davon meins. Ein mit Kinosesseln und Doppelbett ausgerüstetes Zuhause für einige Wochen. Vermittelt hatte es mir eine Freundin aus München: Ja, eigentlich wohnt da ein schwules Pärchen, sind aber gerade auf Asien-Reise, für dich Bekannten-Bonus: fünf Euro die Nacht. Vier Tage später: Schlüsselübergabe, per Express nach Bayern geschickt. Von meinen Berliner Wochen nach dem Abitur weiß ich nicht mehr allzu viel, ich scheine viel gefeiert zu haben. Von meinem Zimmer und dem ganzen Drumherum weiß ich noch: Es war herrlich unkompliziert.
Unkompliziert ist auf dem Berliner WG-Markt schon lange nichts mehr. Wer ein Zimmer sucht, muss oft mehr Fragen beantworten als ein Terrorist, der in die USA einreisen will. Dazu kommen tausend andere Baustellen: zu teuer (im Schnitt gefühlte 600 Euro), zu versifft („wer hier einzieht, sollte mit Dreck kein Problem haben“), zu klein („gut geschnittene sechs Quadratmeter“). Es gibt Vermieter, die eigentlich gar keinen Mitbewohner suchen, sondern das Zimmer nur aus finanzieller Not abgeben. Es gibt Vermieter, die horrende Kautionen fordern. Oder fünf Jahre Mindestmietzeit. Ganz zu schweigen von vielen Berliner Subgruppen-WGs, die sich in ihrer Beschreibung als „total tolerant“ bezeichnen – bis man auf ihrem Herd ein Schnitzel braten möchte.
Fünf Jahre später, ich bin 24. Es wird ernst, der Job ist da, die Unterkunft nicht. Besichtigung eins, Neukölln, ältere Dame. Das Zimmer ist schön, das Bad so winzig, dass es schon für die Dame alleine zu klein ist. WG-Regeln? Keinerlei Besuch. Gar keiner. Begründung der Dame: „Sonst sieht mich noch wer im Bademantel!“ Aha. Besichtigung zwei, Kreuzberg, Tierliebhaber: „In deinem Zimmer würde mein Vogelspinnen-Terrarium stehen.“ Besichtigung drei, Charlottenburg, Studenten-WG: „Die Küche müsste mal renoviert werden, wir erwarten, dass du dich mit ein paar tausend Euro beteiligst.“
Es gibt Mitbewohner, die rasten aus, weil der neue Untermieter ihren Kochtopf benutzt
Bekannten von mir ergeht es kaum besser. Auf den einschlägigen Portalen werden zwar Zimmer angeboten, die teils bezahlbar sind, doch das dicke Ende versteckt sich oft in der WG-Beschreibung. Sehr beliebt sind derzeit übrigens Nudisten-WGs, in denen mindestens ein Bewohner hüllenlos über die Flure hüpft. Manche Anbieter gehen damit ganz offensiv um und posieren bereits in den Annoncen mit blankem Hinterteil.
Kritiker werden jetzt sagen: du Spießer, Berlin ist die Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten. Außerdem musst du da ja nicht einziehen. Stimmt. Richtig schwierig wird es erst, wenn man bereits eingezogen ist – und Macken des Mitbewohners erst dann zutage treten. Es soll schon WG-Bewohner gegeben haben, die einen Wutanfall bekamen, weil der neue Untermieter ihren Kochtopf benutzt hat. Geht’s noch? Einem meiner Bekannten wurde nach zweimonatiger „Probezeit“ gekündigt, weil er beim Putzen „Schlieren auf dem Spiegel“ hinterlassen hatte. Sein Argument, die Mitbewohnerin hätte das doch sofort sagen können, dann hätte er das Problem behoben, verhallte ungehört.
Wer in einer WG wohnt oder wohnen will, lässt sich auf Kompromisse ein. Das gilt für den, der einzieht, genauso wie für den, der bereits auf der Couch fläzt. Nur: Die Couch-Potatoes sitzen am längeren Hebel. Sie haben ihr Hab und Gut schon im Trockenen und vergessen darüber oft die obersten WG-Prinzipien: Toleranz, Verständnis, Miteinander statt Gegeneinander. Es heißt schließlich „Wohngemeinschaft“.
Aber: Es gibt noch Hoffnung. Nach mehr als zehn katastrophalen Castings habe ich jetzt einen Mitbewohner, wie man ihn sich besser nicht wünschen könnte. Gleich beim Kennenlernen futterten wir eine Packung Gummibärchen leer und einigten uns auf wenige Punkte des entspannten Zusammenlebens. Wir wollen zusammen wohnen, nicht heiraten. Mein Mitbewohner züchtet keine Vogelspinnen und genehmigt mir Besuch. Manchmal, an besonders schönen Abenden, braten wir sogar gemeinsam ein Schnitzel.
Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.
Tatjana Kerschbaumer