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In Berlin ist es schwierig, eine Hebamme zu finden. Das Problem beschäftigt auch die Politik. Foto: Kitty Kleist-Heinrich
© Kitty Kleist-Heinrich

Schwangerschaft in der Hauptstadt: Mehr Hebammen für Berlin

Berlin hat zu wenige Geburtshelferinnen und zu wenig Platz in den Kreißsälen. Nun sind mehr Ausbildungsplätze und bessere Arbeitsbedingungen geplant.

So viele Geburten wie 2017 gab es seit den Babyboom-Zeiten in den Sechzigern nicht mehr: Fast 41 000 kleine Berliner wurden im vergangenen Jahr in der Hauptstadt geboren. „Allein in 2016 hatten wir 5 000 Geburten mehr als im Jahr davor. Dieses Jahr gehen wir von einer ähnlichen Steigerung aus und ein Ende des Zuwachses ist nicht in Sicht“, sagt Susanne Rinne-Wolf, Vorsitzende des Berliner Hebammenverbandes.

Das hat natürlich Folgen, und nicht erst, wenn das Kind einen Kita- oder Schulplatz braucht, sondern schon, bevor es überhaupt das Licht der Welt erblickt: Für werdende Mütter und Väter wird es immer schwieriger, eine Hebamme für die Nachsorge zu finden, erst recht eine Beleghebamme im Kreißsaal.

Acht von 19 Geburtskliniken begrenzen schon jetzt die Anmeldezahlen, vier weitere planen diesen Schritt. Im vergangenen Jahr wurden zahlreiche Frauen, die bereits in den Wehen lagen, von Kreißsälen abgewiesen, auch, wenn sie sich dort Monate im Voraus angemeldet hatten.

Geburt auf dem Parkplatz

In mindestens 15 Geburtskliniken wurde im ersten Halbjahr 2017 eine Sperrung für Gebärende an die Feuerwehr weitergegeben, durchschnittlich 32 Mal pro Krankenhaus. Die übrigen vier Häuser erfassen die Häufigkeit der Meldungen nicht. Der häufigste Grund für die Sperrungen waren räumliche Engpässe im Kreißsaal, gefolgt von zu wenig verfügbaren Hebammen.

So auch am Vivantes-Klinikum im Friedrichshain: Im vergangenen Jahr kamen dort 3331 Kinder zur Welt, über 400 mehr als 2015. An bis zu 90 Tagen im Jahr herrscht in der Geburtsstation eingeschränkter Betrieb: „Wir haben in erster Linie ein Kapazitäts-, nicht ein Hebammenproblem“, sagt Vivantes-Sprecherin Kristina Tschenett.

Für gewöhnlich werden abgewiesene Frauen in eine andere Klinik gebracht, in der es noch freie Betten gibt. Aber eben nicht immer: Im Juli brachte eine Frau, die vom Neuköllner Vivantes-Klinikum nicht aufgenommen werden konnte, ihr Kind auf einem Parkplatz zur Welt – in ihrem eigenen Auto, weil die Klinik nicht einmal einen Transport zu einem anderen Haus organisiert hatte.

Auch, wer einen Platz im Kreißsaal ergattert, erfährt dort oft Ernüchterndes: Häufig müssen sich Hebammen um vier oder fünf Gebärende gleichzeitig kümmern, nebenbei Telefon und Aufnahme betreuen. Das birgt Risiken und mache mitunter Interventionen nötig, die eigentlich vermeidbar gewesen wären, sagt Rinne-Wolf.

Ein bundesweites Problem

Nicht nur in Berlin steckt die Geburtsmedizin in der Krise, sondern in ganz Deutschland. Im Sommer dieses Jahres veröffentlichte die Bundeselterninitiative Mother Hood e.V. eine „Reisewarnung“. Schwangere wurden dazu aufgerufen, Regionen zu meiden, in denen besonders viele Hebammen fehlen. Auf der Karte sind Bayern, Hessen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin tiefrot markiert, der Großteil des übrigen Bundesgebietes orange.

„Eigentlich hätten wir ganz Deutschland rot einfärben müssen“, sagt Katharina Desery. „Aus allen Regionen hören wir die gleichen Klagen von Eltern.“ Mother Hood fordert, dass eine Eins-zu-Eins-Betreuung während der Geburt gesetzlich festgeschrieben werden müsse.

„Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass dies der sicherste Weg ist, ein Kind zu bekommen“, sagt Desery. Dass sich tatsächlich nur eine Hebamme um eine Gebärende kümmert, sei nur noch in Geburtshäusern üblich. In Deutschland werden aber 98 Prozent aller Kinder in Kliniken geboren – weil die Mütter sich dort sicherer fühlen, sollte es zu Komplikationen kommen.

Nicht nur die steigenden Geburtenzahlen sind für die schlechte Betreuungssituation werdender und frischgebackener Eltern verantwortlich, sondern auch politische Faktoren: Seit 2005 können Krankenhäuser die Versorgung ihrer Patienten nicht mehr tageweise abrechnen, sondern erhalten Pauschalen.

Das bedeutet, dass Leistungen pro Behandlungsfall vergütet werden, unabhängig von der Behandlungsdauer. Seither sind natürliche Geburten für Krankenhäuser wirtschaftlich uninteressant – höchstens mit Kaiserschnitten lässt sich noch Geld verdienen. Für eine komplikationslose vaginale Geburt bekommt eine Klinik in Berlin gut 1700 Euro, tatsächlich kostet eine Geburt das Krankenhaus zwischen 1500 und 2100 Euro. Die Konsequenz: Bundesweit werden immer mehr Kreißsäle geschlossen, vor allem in kleineren Krankenhäusern.

Hebammen sind überlastet und werden schlecht bezahlt

Hinzu kommen schlechte Arbeitsbedingungen für die Hebammen: Überlastung, schlechte Bezahlung, hohe Versicherungsprämien vor allem für Geburtshelferinnen, die freiberuflich nicht nur Nachsorgen leisten, sondern auch Geburten betreuen. In einigen Kliniken müssen Hebammen zudem auch die Kreißsäle putzen.

Der Deutsche Hebammenverband beklagt, dass sich immer mehr Kolleginnen aus der Vollzeit-Beschäftigung zurückzögen. Das macht sich für Eltern auch bemerkbar, wenn das Baby auf der Welt ist: Nach der Geburt haben junge Mütter für acht Wochen einen gesetzlichen Anspruch auf Hebammen-Betreuung zu Hause.

Eine Hebamme zu finden, bleibt den Eltern überlassen, und die Berliner Hebammen sind überlastet: 2015 gab es nur 417. In vielen Bezirken klagen Schwangere darüber, keine Hebamme zu finden, die sie im Wochenbett betreut – gerade für Erstgebärende ist das kritisch. Der Senat will jetzt gegensteuern: Die Kapazitäten der Hebammenschulen sollen zeitnah weiter erhöht werden. Am 1. November gab es in Berlin drei Hebammenschulen mit insgesamt 192 Ausbildungsplätzen, die alle besetzt sind. Gegenüber 2013 ist das eine Erhöhung von immerhin 70 Plätzen. Und der Berufsstand wird gerade akademisiert: Seit 2013 gibt es auch in Berlin einen Studiengang für Hebammenkunde, an der Evangelischen Hochschule.

Bei einem Runden Tisch zum Thema Geburtshilfe im September, unter der Leitung von Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD), wurde deutlich, dass sich die meisten Kliniken um bessere Arbeitsbedingungen bemühen: „Die Hälfte übernimmt die Kosten der Berufshaftpflichtversicherung ganz oder teilweise, elf Standorte bieten außertarifliche Leistungen, und an 16 Standorten werden Hebammen von berufsfremden Aufgaben entlastet“, heißt es in einem Bericht. Zudem würden fünf Kliniken die Erweiterung ihrer Kreißsäle „konkret planen“.

„Die gute, wohnortnahe und individuelle Versorgung der Familien sollte in jedem Fall im Vordergrund stehen und nicht betriebswirtschaftliche Interessen“, sagt Susanne Rinne-Wolf vom Hebammenverband. Und sie weist darauf hin, dass auch andere Bereiche sich in Zukunft auf die vielen Neuberliner einstellen müssen: „Wir Hebammen sind nur diejenigen, bei denen sich das Thema zuerst zeigt.“

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