Biografien der NS-Zeit: Marlene Dietrich verleugnete ihre Schwester
Die eine war Star und Hitler-Gegnerin, die andere NS-Mitläuferin: Heute wird ein Buch über Marlene Dietrich und ihre Schwester Elisabeth vorgestellt.
Das Haus Bundesallee 135 in Friedenau, Ecke Kundrystraße, ist nicht gerade ein architektonisches Kleinod. Ein dem Stil nach wohl in den frühen Achtzigern entstandenes Wohn- und Geschäftsgebäude, die Fassade durch erkerartige Vorbauten zerklüftet, um außerhalb der Grundfläche weiteren Raum zu gewinnen, Fensterbänder als verspätete Bauhaus-Anleihe, dazu weiterer postmoderner Schnickschnack. Immerhin: Es ist intakt.
Im September 1945 sah es hier noch ganz anders aus: „Nr. 135 hat nur noch Mauern, ist ganz ausgebrannt, der Balkon hängt herunter, und Mutti hat tagelang in den Trümmern gesucht, und nur oben drauf in Schutt und Asche lag die Bronze-Maske von meinem Gesicht. Unversehrt! Da hat sie dann tagelang gesessen und geweint.“ Marlene Dietrich war schockiert, als sie zum ersten Mal nach dem Krieg ihre Heimatstadt besuchte.
Die gemeinsame Kindheit
Das andere Haus in der Kaiserallee 54 – so hieß die Bundesallee damals – stehe immerhin noch und „trotzdem Schüsse das Haus beschädigt haben, sind Geranien auf unserem Balkon“, schrieb sie ihrem Ehemann Rudi Sieber, mit dem sie dort in den 20er Jahren gewohnt hatte.
Auch das 1943 ausgebombte Haus Nr. 135 war eine Zeitlang ihr Zuhause gewesen, von 1917 bis 1919, gemeinsam mit der Mutter und ihrer zwei Jahre älteren Schwester Elisabeth, die dort noch bis 1939 wohnte. Ein gelungene Konstellation also, wenn genau im Nachbarhaus am Donnerstag eine Doppelbiografie vorgestellt wird, die die schwierige, weitgehend unbekannte Beziehung zwischen Marlene Dietrich und ihrer Schwester zum Thema macht.
Das Interesse an der Dietrich ist ungebrochen, das ist schon an der nicht nachlassenden Buchproduktion ablesbar. Neuestes Werk: „Fesche Lola, brave Liesel. Marlene Dietrich und ihre verleugnete Schwester“ von Heinrich Thies, das der Autor nun in der Literarischen Buchhandlung „Der Zauberberg“ vorstellt, vis-à-vis der gemeinsamen alten Adresse der so ungleichen Schwestern.
Das waren sie schon optisch: Hier Marlene, von strahlender Schönheit, Inkarnation des Glamour mit einer Tendenz zur Frivolität, entschiedene Gegnerin des Hitlerregimes, das sie mit ihren Mitteln bekämpfte, als Werberin für die Zeichnung von Kriegsanleihen, im Radio und vor allem als Truppenbetreuerin, selbst an vorderster Front. Dort Liesel, von eher plumper Figur und einer besonderen Begabung, sich unvorteilhaft zu kleiden, naiv, verzagt und ein geduldiger Blitzableiter für die Launen ihres dominanten Mannes, dazu wie dieser Mitläuferin des Regimes, schlimmer noch: ab 1939 wohnhaft auf dem Kasernengelände von Bergen-Belsen, in dessen Nähe erst sowjetische Kriegsgefangene in einem Lager krepierten und wo die SS von 1943 an ein Konzentrationslager betrieb, dessen berühmteste Insassin Anne Frank war.
Obwohl Elisabeths Ehemann Georg Will daran nicht direkt beteiligt war – das von ihm und ihr in der Kaserne betriebene Truppenkino diente doch den Mördern als Ort des Amüsements. Und wenngleich es von Elisabeth kaum schriftliche Zeugnisse aus dieser Zeit gibt – das Leid der zu Tode geschundenen Kriegsgefangenen und Juden kann ihr nicht verborgen geblieben sein.
Besuch in Bergen-Belsen
Am 7. Mai 1945 hatte Marlene Dietrich ihre Schwester in Bergen-Belsen besucht, die da von den Briten bereits aus der Dienstwohnung geworfen worden war und nun auch an dem allgegenwärtigen Mangel litt. Und wenngleich Marlene ihre Schwester trotz allem weiterhin liebte, sie kräftig unterstützte, bei Europa-Tourneen zu Besuchen einlud – bekennen wollte sie sich zu Elisabeth nicht länger, untersagte ihr Interviews, suchte sie von der öffentlichen Bildfläche zu tilgen, was nicht immer gelang. Doch noch gegenüber Maximilian Schell, der sie für einen Dokumentarfilm 1982 in Paris besuchte, antwortete sie auf die Frage, ob sie Geschwister habe, mit „Nein“, sie sei allein aufgewachsen.
Heinrich Thies konnte bei seinen minutiösen Recherchen auch auf den in der Marlene Dietrich Collection der Stiftung Deutsche Kinemathek lagernden Briefwechsel der Schwester zurückgreifen, schildert die beiden Lebensläufe im Wechsel, im Stil bisweilen vielleicht ein wenig romanhaft, doch nennt er stets präzise die Quellen, gibt auch schon mal den Hinweis: „Die szenische Gestaltung des Kapitels ist fiktiv.“
In dem Buch findet sich auch ein Familienfoto von 1906: In der Mitte die Eltern, links Elisabeth, rechts Marlene. Dasselbe Foto fand sich schon in Marlene Dietrichs Autobiografie „Ich bin, Gott sei Dank, Berlinerin“. Allerdings war die Aufnahme beschnitten, die hartnäckig verschwiegene Schwester auch auf diese Weise aussortiert worden. Und als Elisabeth 1973 in Bergen nach einem Brandunfalls starb, hatte Marlene gerade Auftritte in London. Zur Beerdigung fuhr sie nicht.
Am 7. Dezember, 20 Uhr, liest Heinrich Thies in der Buchhandlung „Der Zauberberg“, Bundesallee 133. Eintritt fünf Euro. Anmeldungen unter Tel. 56 73 90 91.