Tempolimit gegen Stickstoffdioxid?: Luft in Berlin ist dreckiger als die EU erlaubt
Es befördert Asthma, vielleicht sogar Krebs: Das Gift Stickstoffdioxid verpestet die Luft in Berlin. Vor allem Dieselautos und Busse stoßen es aus. Die EU ist alarmiert – nun werden Tempolimits diskutiert.
Während vor einigen Jahren der Feinstaub das Hauptproblem war, ist es jetzt Stickstoffdioxid (NO2). Seit 2010 gilt für auch für dieses Luftgift ein verbindlicher Grenzwert, der an allen sechs Luftmessstationen an Berliner Hauptverkehrsstraßen überschritten wird. Berlin ist eine von 55 deutschen Regionen, die bei der EU-Kommission eine Verlängerung der alten Verordnung bis Ende 2014 beantragt hatte – und eine von 33, für die dieser Antrag kürzlich abgelehnt wurde, weil aus Sicht der Brüsseler Behörde hier zu wenig gegen das Problem getan wird. Im schlimmsten Fall drohen nun der Stadt hohe Strafzahlungen.
Die höchsten Werte wurden im vergangenen Jahr vom Hardenbergplatz am Bahnhof Zoo gemeldet, über den pausenlos Busse und Taxis rollen. Womit die Hauptursache genannt ist: NO2 stammt ganz überwiegend aus Dieselfahrzeugen. Und zwar ganz besonders aus denen, die mit Rußpartikelfiltern ausgestattet sind. Ein technischer Kollateralschaden im Kampf gegen den Feinstaub. Im Unterschied zu diesem konzentriert sich Stickstoffdioxid aber nur sehr lokal. In Wohn- und Waldgebieten lagen die Mittelwerte dort im vergangenen Jahr nur zwischen 13 und 28 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Erlaubt sind 40. Am Hardenbergplatz allerdings waren es 60, gefolgt von der Karl-Marx-Straße mit 56 Mikrogramm.
Im Luftreinhalteplan des Senats ist von etwa 50 000 Menschen die Rede, die als Anwohner von Hauptstraßen von den Überschreitungen betroffen sind. Doch auch für Passanten ist NO2 schädlich. In mehreren Studien wurde ein Zusammenhang zwischen erhöhter NO2-Belastung und Sterblichkeit, insbesondere wegen Herz-Kreislauf-Problemen, nachgewiesen. Außerdem kann das Gift Asthma befördern und steht in Verdacht, langfristig Krebs zu verursachen. Auch Pflanzen und Fassaden setzt es zu.
Nach Auskunft von Bernd Lehming, der in der Umweltverwaltung das Referat Immissionsschutz leitet, wartet der Senat nach der allgemeinen Beschwerde der EU jetzt auf die konkrete Kritik an Berlin. In einer kürzlichen Beratung zwischen Bund und Ländern habe man die Auffassung vertreten, dass alles Angemessene bereits getan worden sei.
Um das Problem in den Griff zu bekommen, müsste der Fahrzeugverkehr in manchen Hauptstraßen um die Hälfte reduziert werden, was der Senat als unverhältnismäßig verworfen hat. Da allerdings die anderen NO2-Quellen wie private Heizungen für „vernachlässigbar“ befunden werden, kann die Lösung nur vom Straßenverkehr kommen. Auf Anfrage der Grünen Silke Gebel teilte der Senat jetzt mit, dass die Anordnung von Tempo 30 auf Schildhorn- und Beusselstraße dort die NO2-Belastung um etwa 15 Prozent gesenkt habe. Angesichts dieser Erfahrungen soll nach Auskunft von Lehming Tempo 30 für die besonders belasteten Hauptstraßen als Beitrag zur Luftreinhaltung geprüft werden. Das gehöre zur Abwägung aller im Luftreinhalteplan beschriebenen Maßnahmen.
Andere Möglichkeiten habe die Stadt allein nicht. Die BVG trägt nach Auskunft ihres Sprechers Klaus Wazlak einen Teil zur Entlastung bei, indem sie in diesem Jahr 91 ihrer 1200 Busse mit so genannten Ad-Blue-Filtern nachrüstet, was den NO2-Ausstoß senken soll. Gut 500 Busse erfüllen bereits den relativ strengen Standard EEV und „alle Busse, die wir neu beschaffen, haben die Norm Euro 6“, sagt Wazlak und fügt hinzu: „Damit liegen wir wieder vorn.“
Im Vergleich zum sonstigen Fuhrpark stimmt das auf jeden Fall. Denn verbindlich wird die Euro-6-Norm mit ihrem strengen Grenzwert erst ab 2015, also mit Ablauf der beantragten Fristverlängerung. Noch erfüllen nur wenige Neuwagen den Standard. Der Duisburger Autowirtschaftsprofessor Ferdinand Dudenhöffer prophezeit sogar, dass sich das Problem noch verschärft, weil der Marktanteil der Dieselfahrzeuge stetig wächst und sie vor allem von Vielfahrern gekauft werden. Der Boom der spritfressenden Geländewagen verschärfe das Problem der Belastung mit Stickstoffdioxid zusätzlich.
Umweltverbände fordern nun, die Umweltzone zu verschärfen, die sich bisher am inzwischen veralteten Abgasstandard Euro 4 orientiert. Der Senat verweist darauf, dass dazu allerdings die bundesweite Plakettenverordnung geändert werden müsste. Das Umweltbundesamt empfiehlt, die Einführung der Euro-6-Norm um ein Jahr vorzuziehen. Und alle schimpfen auf die Brüsseler Bürokratie, die – wie einst beim Feinstaub – zunächst den Kommunen strenge Luftgrenzwerte aufbrummt und erst danach die Abgasstandards für die Autohersteller verschärft. „Wir sind doch das letzte Glied in der Kette“, klagt Bernd Lehming von der Umweltverwaltung. Er wirft der EU vor, mit der späten Einführung strengerer Abgaswerte einmal mehr die Autolobby geschont zu haben.