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Überwuchert. Nicht für alle Deutschen ging es nach 1989 aufwärts.
©  Foto: Jens Wolf/p-a/dpa

30 Jahre nach dem Mauerfall: Liebe Ossis, opfert nicht rum

Der Westen soll sich mehr für den Osten interessieren – fordert der Osten. Schon wieder. Immer noch. Denn sonst passiert was. Eine Polemik.

Liebe Ostdeutsche, ihr habt es nicht leicht gehabt. So wird es jetzt wieder erzählt. Denn 2019 feiern wir 30 Jahre Mauerfall, gerade in Berlin wird es etliche Veranstaltungen, Ansprachen und Festivitäten geben. 1989 – erinnert sich wer? Einige sind über Ungarn in den Westen, andere hörten in der Prager Botschaft Hans-Dietrich Genscher: „Wir sind heute zu Ihnen gekommen …“ Dann die Montagsdemos in Leipzig, am 9. November fiel die Mauer.

Dann kam die Nachwendezeit, Betriebe wurden geschlossen, viele Menschen verloren ihren Job. Nicht nur Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping von der SPD sieht darin den Grund, warum viele Ostdeutsche heute AfD wählen – wohl auch 2019, bei den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Köpping hat eine Streitschrift verfasst: „Integriert doch erst mal uns!“ Der Ossi von Herings- über Hellersdorf bis Heidenau – stigmatisiert, gekränkt, unverstanden? Heimatlos geworden, der Ossi als Migrant, der schon wieder von anderen was will – integriert werden nämlich?

Diktatur ist keine Heimat

Hört auf, Ossis zu Opfern zu machen! Diktatur ist keine Heimat, Identitätspolitik für den Osten ist so DDR. Wie wäre es stattdessen mit politischer Bildung? Soziale Marktwirtschaft heißt nicht: Der Staat kümmert sich um alles. Helmut Kohls D-Mark war doch nur ein Zahlungsmittel, viel wichtiger ist der Stimmzettel bei freien Wahlen. Schon vergessen?

Nach dem Mauerfall habt ihr euch im bunten Westen wie in der DDR in lange Schlangen gestellt, für 100 D-Mark Begrüßungsgeld. Westen, Wohlstand, Warenwelt. Das war dann doch nicht so rosig, musstet ihr feststellen. Erst Freiheit rufen, sich aber nicht erinnern, was ihr in der Schule von Karl Marx über den Kapitalismus gelernt habt. Ich war damals ein 14 Jahre alter Brandenburger, meine Eltern wurden auch erst einmal arbeitslos.

Das Lamentieren hat seit 1989 nie aufgehört. Anstatt heute leere Landstriche zu beklagen, verlassen von jungen Menschen mit Wissensdurst und Tatendrang, solltet ihr euch daran erinnern, wie es vor der künstlichen DDR-Industrialisierung in „Ostelbien“ aussah.

Der Ostdeutsche, ewig benachteiligt und ungeliebt? Unterschiede bei Lohn, Arbeitszeit, Rente und der Ossi-Mangel auf Chefposten sollen schuld sein am geringen Vertrauen in die Institutionen von Demokratie und Rechtsstaat? Und daran, dass so viele Ossis die AfD wählen? AfD-Wähler, Pegida-Sympathisanten, alles Opfer?

Die Straßen sind neu, die Dörfer herausgeputzt

Ja, Opfer eines Missverständnisses. Statt zu begreifen, dass Streit, Wettbewerb der Ideen und Pluralismus das Herz der Demokratie sind, haben selbsternannte Opfer-Ossis darauf vertraut, dass Politiker ihnen eine kleine DDR einrichten – den Fürsorgestaat mit der Behaglichkeit der Diktatur samt Annehmlichkeit des Westens.

Anstatt euch jetzt zu beklagen: Integriert doch erst mal euch selbst! Eure Straßen sind neu, die Dörfer herausgeputzt, da reibt sich manch’ Westdeutscher die Augen. Trotzdem wählt der selbst in Städten, die schlimmer aussehen als Bitterfeld ’89, nicht so häufig AfD wie ihr.

Also, liebe Ossis: Opfert nicht rum. Drei Jahrzehnte sind genug.

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