Egon Bahr wird heute beigesetzt: Letzte Ruhe an der Chausseestraße
Egon Bahr wird heute auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt. Eine Spurensuche zwischen den Grabstätten berühmter Persönlichkeiten.
Wenig Sonne. Wolkentürme. Regenschauer. Blätterlaub, das von den Bäumen fällt. Die beiden schwarzen Katzen, dieses lebende Inventar vom Dorotheenstädtischen Friedhof in der Chausseestraße 126, laufen von rechts nach links an der neuen Kapelle vorbei. Hier werden heute gegen 12 Uhr Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Axel Schmidt-Gödelitz vom Ost-West-Forum das Leben und die Verdienste von Egon Bahr würdigen, am Grab spricht Pastor und Publizist Friedrich Schorlemmer, ehe der Sarg in der Gruft verschwindet.
Aber wo wird das sein? Der Prominentenfriedhof vereint viele klangvolle Namen aus alter und neuer Zeit, allein 45 Ehrengrabstätten werden auf einem Zettel hinter Glas am Eingang genannt, vom Lyriker Erich Arendt bis zum Schriftsteller Arnold Zweig. Ehrenbürger erhalten ohnehin ein Ehrengrab, das durch einen roten Ziegelstein als „Ehrengrab Land Berlin“ mit dem Bären-Wappen gekennzeichnet ist. Im Friedhofsbüro ist man von unserem Wunsch, etwas über Egon Bahrs letzte Ruhestätte zu erfahren, geradezu entsetzt, „von höchster Stelle“ sei man zum Schweigen angehalten worden, man könne sich ja selbst auf Spurensuche begeben. Egon Bahr, der pfiffige Journalist, hätte da nur gelacht und wäre losgezogen.
Was wäre ihm begegnet? Ein Gästeführer, der angeblich keine Ahnung hat. Ältere Damen, die die Gräber ihrer dahingegangenen Männer pflegen. Eine Familienrunde, die am Findling ihres Verwandten Willy A. Kleinau mit Plastikbechern und Sekt auf den einstigen Filmstar anstößt. Japaner, die die Findlinge mit den Namen Brecht und Weigel fotografieren. Und Liebespaare, die fest umschlungen das Leben feiern. Wolf Biermann dazu: „Dann freuen wir uns und gehen weiter / Und denken noch beim Küssegeben: / Wie nah uns manche Tote, doch / Wie tot sind uns manche, die leben“.
Das hat Egon Bahr bestimmt gefallen. Er wollte auf diesem Friedhof begraben sein, aber davon war sicher 2012 noch keine Rede, als der frühere Tagesspiegel-Chefredakteur Walther Stützle im Willy-Brandt-Kreis Egon Bahr zum 90. Geburtstag gratulierte und sagte: „Von Willy Brandt und Egon Bahr haben wir gelernt, dass die Macht des Geistes stärker ist als die der Waffen.“ Einheit statt Trennung – Versöhnung statt Spaltung. Egon Bahr bedankte sich damals mit den Worten „Eignet sich als Nachruf“. Der Zimmermann der Ostpolitik Willy Brandts hat viele Ehrungen erfahren – nun werden die Besucher und Sucher der Gräber auf dem „Dorotheenstädtischen“ andächtig an Egon Bahrs Grab stehen, vielleicht seine Radiostimme von damals im Rias vernehmen, an die Verhandlungen über menschliche Erleichterungen denken, an die Größe kleiner Schritte und an den Wandel durch Annäherung statt Konfrontation.
Sein Grab? Vom Eingang gradezu, vorbei am Martin-Luther-Denkmal, bis zur Mauer. Hier trennt ein rot-weißes Sperrband eine Grünfläche, in der eine Grabstelle ausgehoben ist. Nur ein Sandweg trennt dieses Grab von dem des einstigen Bundespräsidenten Johannes Rau. Rechts und links liegen ganz normale Leute, Konditormeister Eugen Mraschny und ein Walter Rösler. Aber ganz in der Nähe: Regisseur Benno Besson, der einstige „Regierende“ Dietrich Stobbe, Schriftsteller Wolfgang Herrndorf, Carl Friedrich Schinkel und etwas weiter Heiner Müller, Wolf Kaiser, Lothar Bisky, Bärbel Bohley, Christa Wolf, Günter Gaus. Und Fritz Teufel.