James Turrell gestaltet Friedhofskapelle: Ein Altar wie Wassereis
Der göttliche Schein: Der amerikanische Lichtkünstler James Turrell hat die Kapelle des Dorotheenstädtischen Friedhofs neu gestaltet. Der Altar leuchtet jetzt in bunten Farben.
„Es werde Licht!“, steht am Anfang der Bibel geschrieben, bei der Erschaffung der Welt. Es werde Licht – vielleicht auch am Ende des irdischen Daseins. Auf diesen Gedanken können jedenfalls die Hinterbliebenen in der Dorotheenstädtischen Friedhofskapelle kommen, wenn sie dort einen Trauergottesdienst zelebrieren. Mit der Einweihung des Kirchleins am heutigen Mittwoch auf dem wohl berühmtesten Berliner Gottesacker, auf dem Hegel, Schinkel, Brecht, Eisler, Helene Weigel und viele mehr begraben sind, wird nicht nur ein sakraler Raum der Öffentlichkeit übergeben, sondern auch ein spektakuläres Kunstwerk. James Turrell, der amerikanische Lichtkünstler, hat hier eine dauerhafte Installation eingerichtet, eine kleine Sensation.
Jeweils eine Stunde vor Sonnenaufgang setzt die Show ein, das Licht beginnt in diversen Farben zu changieren. Eine eigene Lichtquelle bildet der Altar, ein Kubus aus mattiertem Acrylglas mit eingelassenen Leuchtdioden. Ihn umkränzt ein vorgeblendeter Bogen, ebenfalls von Licht hinterfangen. Hinzu kommen seitlich der Fenster platzierte schlanke Scheiben, die zusätzlich Licht absondern. Und der Altar beginnt zu leuchten, abwechselnd strahlend blau, mintgrün, safrangelb, leuchtend rot. Gemeinsam mit den anderen Lichtquellen im Raum entsteht eine bunte Melange.
Spezialeffekte mit Spiritualität
Der Eindruck ist phänomenal. Der Besucher befindet sich in einem von farbigem Licht erfüllten Raum und weiß nicht, ob er dies nun für großen Kitsch oder einen erhabenen Moment halten soll. Ketzerische Gedanken schleichen sich ein: Sieht der Altar nicht aus wie das Wassereis, das die Kinder gerade schlecken? Und jetzt wie Berliner Weiße mit Waldmeister? Wie Blue Curaçao? Das Staunen über die Technik, die ein übergangsloses Wechseln der Farben ermöglicht und schier endlose Variationen bietet, weicht einem Unbehagen über diese spirituell aufgeladenen special effects, die einen Raum in eine Discokugel verwandeln – um schließlich zu dem Schluss zu kommen: Ein Coup ist es allemal.
Der Evangelische Friedhofsverband Berlin-Stadtmitte hat sich da etwas Besonderes einfallen lassen. Die Sanierung des 250 Jahre alten Friedhofs vollzieht sich seit den 1990er Jahren. Die Gartendenkmalpflege ist am Werk. Zuletzt kommen nun die Gebäude an die Reihe, unter Federführung des Architekturbüros Nedelykov Moreira, das bereits das Dienstgebäude mit einer Wand für Urnenbestattungen vollendet hat und demnächst das Totengräberhäuschen wieder herrichtet. Plus Friedhofscafé in einer neuen gläsernen Halle. Der Architekt der Kapelle, Baujahr 1928, ist heute nicht mehr bekannt, sie musste sie nur in ihrer äußeren Erscheinung als tempelartiger Bau bestehen bleiben. Im Inneren war alles erlaubt, da Sanierungen in den 60er Jahren die Spuren des Ursprünglichen ohnehin getilgt hatten. Das bedeutete eine Carte blanche.
Was also tun, um einen „Beitrag zur zeitgemäßen christlichen Bestattungskultur“ zu leisten, wie Pfarrer Jürgen Quandt es formuliert? Die Idee kam dem Kunstbeauftragten der evangelischen Landeskirche, Christhard-Georg Neubert, der James Turrell einlud. Der Lichtkünstler reiste aus Texas an, sah sich die Sache zwei Stunden an und sagte zu. Berlin schenkt er damit nicht nur eine permanente Installation, sondern auch einen Solitär. Nur noch auf der japanischen Insel Naoshima und für die Quäkergemeinde in Philadelphia hat er bisher sakrale Räume gestaltet. Schon bald dürfte die Kunstgemeinde auf den Dorotheenstädtischen Friedhof pilgern, der Besuch ist nur mit Führungen möglich.
Dem Licht entgegen
Der 72-Jährige selbst ist Quäker, was seine besondere Beziehung zum Licht erklärt, denn Quäker glauben, dass Gottes Licht in jedem Menschen ist. Wer je einen seiner üblicherweise in Museen eingerichteten Lichträume besucht hat, kennt ihre mystische Qualität, wenn sich Oben und Unten verlieren und ein diffuser farblicher Schein ein Gefühl von Unendlichkeit vermittelt. Diese irritierende Wirkung spielt die Friedhofskapelle nicht bis ins Letzte aus, sie bleibt ein Gotteshaus mit klarer Orientierung nach vorn zum Altar hin, der an seiner Front ein Kreuz trägt. Da befindet sich das Kirchlein ganz in der Tradition der gotischen Kathedralen, die mit der Metaphysik des Lichtes operieren, dem göttlichen Schein, der sich über die Gläubigen ergießt. Die Kapelle besitzt eine ähnliche Dramaturgie, nur geht hier der Tote dem Licht entgegen, für die Gläubigen ist es die Hoffnung auf Wiederauferstehung.
In der Abenddämmerung allerdings, wenn die Kapelle aus sich heraus bläulich leuchtet, schiebt sich schon wieder ein ketzerischer Gedanke dazwischen: Am Filmset würden sie Draculas Bettstatt ähnlich inszenieren.
Anmeldung und Infos zu den Führungen: 030/612 02 714 oder info@evfbs.de
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