Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Berlin: Leiter der Ballettschule muss gehen, weil er kein Lehrer ist
Ralf Stabel hätte laut Schulgesetz nie Leiter der Eliteschule werden dürfen, sagt das Arbeitsgericht. Die Verantwortung trägt die Bildungsverwaltung.
Mit einer Überraschung ist am Mittwoch das Verfahren um zwei Kündigungen des Leiters der Staatlichen Ballettschule vor dem Berliner Arbeitsgericht in erster Instanz beendet worden. Die Kammer entschied, dass Ralf Stabel auf die Position, die er über zwölf Jahre innehatte, nicht zurückkehren könne, weil er mangels Lehrerausbildung gar nicht hätte Schulleiter werden dürfen.
Allerdings müsse das Land ihn in anderer Funktion beschäftigen. Insofern erreichte Stabel nicht das Ziel, das er mit seiner Klage erreichen wollte, nämlich die Weiterarbeit als Ballettschulleiter. Aber auch die Senatsverwaltung für Bildung erhielt einen Dämpfer, denn ihre Begründung für die Kündigung wurde vom Gericht nicht anerkannt: Die Verwaltung habe nicht dargelegt, inwiefern Stabel direkt daran beteiligt war, dass Kinder von Lehrkräften gemobbt oder in anderer Weise schlecht behandelt worden seien.
„Sie haben nicht Ross und Reiter genannt“, sagte Richter Thomas Kühn an die Anwälte der Bildungsverwaltung gewandt. Zudem führte Stabels Anwalt Jens Brückner aus, dass Stabel tätig geworden sei, nachdem es im November 2019 einen Brandbrief hinsichtlich einer „Kultur der Angst“ an der Schule gegeben habe. Stabel habe sogar ein Institut beauftragt, die Vorwürfe auszuwerten.
Das Land habe die Kündigungsgründe „nicht ausreichend konkret vorgetragen“, ergänzte das Arbeitsgericht in einer anschließenden Mitteilung. Der Hinweis auf ein „Gesamtklima“ reiche ebenso wie auf etwaige Missstände an der Schule nicht aus. Es müsse zur Begründung einer Kündigung dargelegt werden, „wann es zu welcher konkreten Verfehlung des Klägers persönlich gekommen“ sei. Diesen Anforderungen sei die Behörde nicht gerecht geworden.
Die Behörde prüfte die Vorwürfe zu lange
Auch hinsichtlich des Vorwurfs, dass den Ballettschülern zu kurze Ruhezeiten nach Auftritten eingeräumt wurden, drang die Verwaltung nicht durch: Vielmehr habe nicht Stabel selbst, sondern seine Stellvertreterin die Stundenpläne verfasst, trug Brückner erfolgreich vor. Stabel selbst war zu dem Gerichtstermin nicht erschienen.
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Das Gericht folgte Brückner auch darin, dass es mit einer fristlosen Kündigung nicht vereinbar sei, wenn die Vorwürfe – wie im konkreten Fall – seit Monaten bekannt waren. Es gehe nicht an, dass die Verwaltung sich dermaßen lange für die Prüfung der Vorwürfe Zeit lasse, wenn doch das Gesetz nur eine 14-tägige Frist zwischen dem Kündigungsgrund und der fristlosen Kündigung vorsehe.
All diese Überlegungen und Argumente traten allerdings für die Arbeitsgerichtskammer in den Hintergrund angesichts der Tatsache, dass bei der Stellenbesetzung gegen Paragraph 71 des Schulgesetzes verstoßen wurde. Der besagt, dass als Schulleiter nur bestellt werden kann, wer Fähigkeiten nachweisen kann, „die über die Ausbildung für das Lehramt hinausgehen". Das Gericht schloss daraus, dass bei Stabel schon die Grundvoraussetzung fehle, nämlich die Lehrerausbildung. Ausnahmen seien im Gesetz nicht vorgesehen.
Stabel ist eigentlich Tanzhistoriker
Wie berichtet, ist Stabel Tanzhistoriker. Zu diesem Thema hat er jahrelang geforscht. Die Senatsverwaltung für Bildung wollte ihn dennoch unbedingt für die Leitungsposition an der Ballettschule haben und versah die Ausschreibung extra mit einer entsprechenden Fußnote, wonach auch ein Bewerber ohne Lehrerlaufbahn eingestellt werden könne. Zudem wurde der Landespersonalausschuss bemüht, der für die Regelung von Sonderfälle zuständig ist. Dieses Gremium sei aber nicht befugt, Gesetze auszuhebeln, betonte Richter Kühn zur Überraschung der Anwälte. Ob diese Ansicht von einer nächsten Instanz geteilt würde, gilt unter Juristen als zweifelhaft.
Da es die Bildungsverwaltung war, die Stabels Einsetzung als Schulleiter durchsetzte, obwohl er keine Lehrerausbildung hatte, müsse sie ihn – dann in anderer Position – weiterbeschäftigen, so der Richter. Gegen die Entscheidung kann Berufung eingelegt werden. „Herr Stabel wird nicht an die Schule zurückkehren. Dieses Ziel wollten wir mit der fristlosen Kündigung erreichen, und das hat das Gericht nun auch so gesehen“, kommentierte ein Sprecher von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) die Entscheidung. Bei der Kündigung habe die Behörde „das Wohl der Schülerinnen und Schüler im Blick“ gehabt. Nun gelte es „zunächst einmal die weiteren Verfahren abzuwarten“.
Beim nächsten Verfahren geht es um Dienstreisen
Über die Kündigung wegen Stabels zahlreiche Dienstreisen wird am Freitag bei einem Gütetermin verhandelt. Wie berichtet, hatten Wirtschaftsprüfer im Auftrag der Senatsverwaltung festgestellt, dass Stabel sich seine Dienstreisen vorschriftswidrig von seiner Stellvertreterin anstatt von der Schulaufsicht abzeichnen ließ. Allerdings verweist Brückner darauf, dass dieses Vorgehen jahrelang geduldet und alle Dienstreisen auch bezahlt worden seien. Insofern ist fraglich, ob die Verwaltung in dieser Sache vor Gericht mehr Erfolg haben wird.
Zu dem Vorwurf einer Abrechnung einer kombinierten Dienst- und Privatreise, die Stabel sich laut Prüfbericht als reine Dienstreise anrechnen ließ, sagte Brückner dem Tagesspiegel, dass es sich hierbei nur um einen „formalen“ Fehler gehandelt habe, der keine finanziellen Auswirkungen gehabt habe. Zum Hinweis der Prüfer, dass Stabel eine Reise nach Malaga als Dienstreise abrechnete, ohne Belege für einen dienstlichen Grund beigebracht zu haben, konnte Brückner nichts beitragen: Der Bericht der Prüfer sei ihm nicht zur Verfügung gestellt worden; diese Reise spiele jetzt im Verfahren auch keine Rolle. Dass es Verfehlungen bei der Abrechnung von Bonusmeilen gegeben haben soll, wie die Prüfer nahelegen, bestritt Brückner allerdings.
Rücktrittsforderung aus der CDU
Als Reaktion auf die „Verfehlungen“ an der Staatlichen Ballettschule forderte die Vorsitzende des Bildungsausschusses, Emine Demirbüken-Wegner (CDU), am Mittwoch den Rücktritt der Senatorin:. „Seit mehr als einem halben Jahr kommen die Verfehlungen der Leitung der Staatlichen Ballettschule nur häppchenweise ans Licht. Diese hätten jedoch von einer ordentlich arbeitenden und pflichtbewussten Schulaufsicht schon längst geahndet werden müssen", begründete die CDU-Abgeordnete die Forderung.
Der Senat habe "ohne Rücksicht auf Fehlverhalten die Augen zugedrückt, um sich im internationalen Lichte dieser Schule sonnen zu können". Da hätten selbst "eklatante Verstöße gegen den Kinderschutz" keine Rolle gespielt, was "unverzeihlich und besonders scharf zu verurteilen" sei.
"Die Schonzeit für Nichtwissen, sehr geehrte Frau Senatorin, ist schon längst abgelaufen!!! - Deshalb: treten Sie zurück, Frau Scheeres!", hieß es in einer Erklärung Demirbüken-Wegners vom Mittwoch.
"Liederliche Haushaltsführung"
Aber auch die Liste der anderen Vorwürfe sei beachtlich: "Liederliche Haushaltsführung, Reisen auf Kosten der Steuerzahler, Zweckentfremdung der Arbeitszeit für persönliche Belange, selbstherrliches Vorbeiagieren an den Schulgremien, despotisches Verhalten gegenüber Lehrern und Schülern", listete Demirbüken-Wegener die Gründe für ihre Rücktrittsforderung auf.
Als Stabel ins Amts geholt wurde, stand zwar nicht Scheeres an der Spitze der Bildungsverwaltung, sondern ihr Vorgänger Jürgen Zöllner (SPD). Die mangelnde Kontrolle durch die Schulaufsicht sowie die Vervielfachung der Reisekosten und die mangelnde Reaktion auf Hinweise der Schulinspektion fällt allerdings in Scheeres Amtszeit: Sie ist seit 2011 Bildungssenatorin.
Das Landesjugendballett verstärkte die Probleme
Zudem verschärften sich viele Probleme an der Schule - etwa hinsichtlich der Belastung der Schüler - durch die Gründung des Landesjugendballetts. Diese Gründung wurde von Scheeres 2017 unterstützt und als Teil der Berliner Talenteförderung von ihr bekannt gegeben. Später gab Scheeres zu, dass sie sich unter einem Landesjugendballett etwas ganz Anderes vorgestellt habe, als Stabel und der Ballettleiter Gregor Seyffert daraus machten.
Denn Scheeres war nach eigenen Angaben davon ausgegangen, dass das Ballett auch Tänzer aufnehmen sollte, die nicht die Staatliche Ballettschule besuchen. Dass dies nicht der Fall war, erfuhr sie demnach erst, als im Frühjahr 2020 die Probleme an der Schule und im angeschlossenen Landesjugendballett bekannt wurden.
Dokumente in chronologischer Reihenfolge
- Brief aus dem Ballettschul-Kollegium von 2008. HIER als PDF-Datei herunterzuladen. Aus Gründen des Datenschutzes wurden die 15 Unterschriften entfernt.
- Bericht der Akkreditierungskommission zum Bachelor-Studiengang "Bühnentanz" von 2016. HIER als PDF-Datei herunterladen.
- Bericht über eine "Kultur der Angst" von 2019. HIER als PDF-Datei herunterladen. Aus Gründen des Datenschutzes wurden die 63 Unterschriften entfernt.
- Zwischenbericht der Expertenkommission vom April 2020. HIER als PDF-Datei herunterzuladen.
- Petition der Initiative "Save the Dance" vom Mai 2020 zur Unterstützung der Schulleitung. HIER als PDF-Datei herunterzuladen.