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Die Füße von Läufern
© picture alliance / Paul Zinken

Berlin-Marathon: „Langstreckenläufer sind eigentlich keine großen Stylisten“

Vor dem Lauf kommt die Literatur. Eine Woche vor dem Großereignis gibt's traditionell den Literatur-Marathon. Ein Gespräch mit dem Autor Uwe Prieser.

Uwe Prieser ist der Autor des Buchs „Der Lauf meines Lebens. Oder ein Echo des Glücks“ (Kleine Fische Verlag, 2018). Er liest mit anderen Lauf-Autoren am Sonntag beim Literatur-Marathon in der Kunstfabrik Schlot, quasi als Einstimmung zur Marathon-Woche. Felix Hackenbruch sprach mit ihm über Gemeinsamkeiten zwischen Literatur und Laufen, den Weltrekordlauf einer Japanerin in Berlin 2001 und warum Sportbücher ein unterschätztes Genre sind.

Herr Prieser, in Ihrem Roman sucht eine Profiläuferin, die durch einen Unfall nie wieder laufen kann Zuflucht in der Bibliothek, weil der Ort am weitesten von der Welt des Laufens entfernt sei. Haben Literatur und Laufen also nichts gemein?
Das wollte ich damit nicht sagen. Die Figur flieht aus einer Welt der Bewegung und der Aktivität in einen statischen, rein gedanklichen Raum. Sie tauscht Natur gegen Bücher, wo die Phantasie alles bewegt. Laufen und Literatur haben durchaus etwas gemeinsam: In beidem erlebt man sich selbst.
Sie sind langjähriger Läufer. Was macht für Sie den Reiz aus?
Ich konnte schon immer ganz gut laufen. In meiner Jugend waren die erfolgreichen Langstreckenläufer Helden, denen ich nacheiferte. Später habe ich zwar festgestellt, dass aus mir kein Profi wird, aber bei jedem Lauf bin ich immer dicht an meine Grenzen gegangen. Noch heute komme ich immer mit dem vorletzten Tropfen Benzin an. Der Schmerz gehört dazu. Wenn man den überwindet, ist der Lauf eine Befriedigung und ein Gefühl wie früher mit 20.

„Laufen ist Disziplin und Willensschule“

Hilft das Laufen bei Ihrer Arbeit als Autor?
Laufen ist Disziplin und Willensschule, die man fürs Schreiben braucht. Eine Stunde vor einem leeren Blatt Papier zu sitzen ist zwar auf andere Weise, aber nicht weniger anstrengend als einen Marathon an der Leistungsgrenze zu laufen. Hier wird ebenfalls ein physischer Widerstand gebraucht, um diese innere, wie auch körperliche Spannung durchzuhalten.

Grenzen gibt's auch beim Schreiben

Welche Gemeinsamkeiten gibt es beim Schreiben und beim Laufen?
Die Grenzen. Beim Laufen merkt man, wenn es ein Ende der Ausdauer und der Geschwindigkeit gibt. Grenzen erlebe ich aber auch beim Schreiben. Jeder Autor würde gerne einen Roman schreiben wie Ernest Hemingway oder Joseph Conrad. Ich natürlich auch, doch das ist ein Ziel, das ich nicht erreichen kann. Wer ehrgeizig ist, kann erfolgreich sein. Aber für den ganz großen Erfolg braucht es die Liebe zu dem, was man tut. So ist es beim Laufen, Schreiben, in der Musik, eigentlich überall.
Sie sind bereits Halbmarathon gelaufen: Welcher Kampf ist größer: Der bei Kilometer 18 oder der gegen die Schreibblockade?
Im Marathonlauf kann man sich eine schwache Phase leisten. Dann ist am Ende nur die Zeit nicht so gut - und beim nächsten Lauf ist man eben wieder schneller. Bei einem Buch, besonders wenn es ein Roman ist, kann man sich im Grunde überhaupt keine Schwäche leisten. Nach dem Druck ist nichts mehr revidierbar, der Roman ist ein Stück meines Lebens. Kurz: Einen lausigen Marathonlauf kann ich verschmerzen. Ein lausiger Roman schmerzt mich mein Leben lang.

Uwe Prieser ist der Autor des Buchs "Der Lauf meines Lebens. Oder ein Echo des Glücks".
Uwe Prieser ist der Autor des Buchs "Der Lauf meines Lebens. Oder ein Echo des Glücks".
© Promo

Sie waren Sportjournalist und erzählen in Ihren Romanen immer wieder Geschichten aus dem Sport. Ist das ein unterschätztes Genre?
Das wird in den Kulturkreisen gar nicht ernst genommen. Das finde ich vollkommen falsch und schade. Im Sport bildet sich das Leben unmittelbar ab.

Was hat Sie dazu gebracht ein Buch über die japanische Läuferin Naoko Takahashi zu schreiben?
Ich habe einen alten Artikel von mir über ihre Konkurrentin gefunden. Ich erinnerte mich an Takahashis Erfolg bei den Olympischen Spielen in Sidney und schaute mir ihren Lauf nochmal auf Youtube an. Ich war fasziniert. Im Lauf hat sie eine Anmut und einen Rhythmus, der durch ihren ganzen Körper geht. Schnelle, aber ganz leichte Schritte und ein vollkommen entspanntes Gesicht. Langstreckenläufer sind eigentlich keine großen Stylisten. Eigentlich wollte ich sie dann nur als Vorbild für einen Charakter in meinem Buch, doch dann habe ich immer mehr über sie gelesen und eine komplexe Person entdeckt. Ich fragte für ein Interview an und hatte einen Tag später eine Einladung nach Tokio.
Wie war Ihr Eindruck?
Sie ist sehr japanisch. Sie nimmt ihr eigene Person zurück, haut nicht auf den Putz, aber erzählt mit Temperament. Ihre Zurückhaltung und starke Zuwendung zum Gegenüber hat mich sehr berührt. Die große Bescheidenheit ist Teil der japanischen Kultur aus dem Konfuzianismus. Erst in diesem Gespräch habe ich gemerkt, dass mein Buch auch Teil ihres Lebens ist. Die Zeit nach ihrer Kariere und die Suche nach einem neuen Leben. Das thematisiere auch ich, deswegen hat sie sich einen ganzen Nachmittag Zeit genommen.

„Wie die Samurai - durchhalten und bestehen“

2001 lief sie in Berlin als erste Frau den Marathon unter 2:20 Stunden. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Lauf?
Ich habe den Lauf gar nicht gesehen, ich erinnere mich nur an ein Foto vom Zieleinlauf. Im Zuge der Recherche habe ich mir den Lauf aber angeschaut. So schön kann Laufen sein! Das ist eine Art Bewegungsharmonie. Mich hat fasziniert, wie man an der Leistungsgrenze noch so schön laufen kann.
55 Millionen Japaner haben den Lauf von Berlin am TV verfolgt. Woher kommt diese Begeisterung?
Japan und Ausdauer passt von der Lebensphilosophie zusammen. Wie die Samurai - durchhalten und bestehen. Das spielt in der japanischen Kultur eine große Rolle. Die Japaner haben Jahrzehnte auf einen Marathon-Sieg gewartet. In Naoko Takahashi sahen sie plötzlich einen Menschen, der das schaffen kann.
Sie haben Bücher über eine Läuferin, eine Eiskunstläuferin und über ein Radrennen geschrieben. Welche Sportart wollen Sie als nächstes bedienen?
Ich hatte nie vor, ein Laufbuch zu schreiben, aber dann sah ich Naoko Takahashi. Man weiß nie, was einen berührt. Im nächsten Buch sind die drei Hauptprotagonisten ein ehemaliger Boxchampion, eine junge Balletttänzerin und ein Wildhüter in der afrikanischen Savanne. Das Entscheidende und weshalb ich überhaupt schreibe, sind die Menschen von denen ich erzählen will. Eine Geschichte, aus dem Kreis menschlicher Erfahrung: Hoffnungen und Ängste, Erfüllungen und Leiden, dem Glücksverlangen, Enttäuschungen, der Trauer um Verluste und meistens spielt darin Liebe eine entscheidende Rolle. Ein Erfahrungsfeld für alle diese Dinge ist für mich der Sport.

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