Streit um das Flüchtlingscamp: Lagerkoller in der Berliner Koalition
Nicht nur Innensenator Henkel will, dass das Zeltlager auf dem Oranienplatz geräumt wird: Auch ein Gericht griff die Forderung auf. Integrationssenatorin Kolat dagegen will lieber verhandeln, als das Camp räumen zu lassen.
Der Streit um das Flüchtlingscamp am Oranienplatz hat eine neue Facette. Für Monika Herrmann ist das Flüchtlingscamp nicht rechtswidrig. „Es ist ein Ort des Protestes, kein Campingplatz“, sagte die Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin dem Tagesspiegel. Das hat die Grünen-Politikerin auch dem CDU-Innensenator Frank Henkel mitgeteilt. Doch diese Argumentation hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts in einem Eilverfahren am Freitag verworfen. Das Bezirksamt müsse ein Einschreiten gegen das Flüchtlingscamp erneut prüfen, entschied das Gericht.
Ein Anwohner hatte auf Räumung des Platzes geklagt. Das Gericht verneinte zwar einen direkten Anspruch darauf, stellte aber klar, dass der Bezirk das Ausmaß der vom Camp ausgehenden Belästigungen prüfen und gegen die Belange des Anwohners abwägen müsse. Bislang habe das Bezirksamt die einhergehende Brandgefahr, die „Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs“ der öffentlichen Grünanlage am Oranienplatz und die Belästigungen durch Geräusche und Rauch „zu gering eingeschätzt“, urteilte die Kammer. Der Bezirk hatte argumentiert, dass das Versammlungsrecht höher zu bewerten sei als das Grünflächengesetz. „Wohnen und Schlafen ist aber kein Ausdruck einer Demonstration und nicht durch das Versammlungsrecht gedeckt“, sagte ein Gerichtssprecher dem Tagesspiegel.
"Rechtsbrüche je nach politischer Sympathie"
Innensenator Frank Henkel (CDU) hatte Herrmann im Tagesspiegel-Interview vorgeworfen, sie habe Vertrauen zerstört. Er könne es nicht akzeptieren, „dass sich eine interessengeleitete Verwaltungspraxis wie in Kreuzberg herauskristallisiert, die Rechtsbrüche je nach politischer Sympathie duldet“, sagte Henkel. Darauf ist auch die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts eingegangen. Sollte der Antragsgegner, also das Bezirksamt, mit den politischen Forderungen der Bewohner des Camps sympathisieren, stelle dies eine „sachfremde Erwägung“ dar, die nicht Grundlage seiner Entscheidung sein dürfe. Bis zum 20. Januar hat der Bezirk nun Zeit, den Sachverhalt erneut zu prüfen. Monika Herrmann war nach der Entscheidung am Freitagabend für eine Stellungnahme nicht mehr zu erreichen.
Innensenator Henkel rechnet mit einer Räumung des Camps. Wie berichtet, will das Verfahren an sich ziehen und eine Senatsvorlage einbringen, die am 7. Januar behandelt werden soll.
Kolat will sich weiter für Flüchtlinge einsetzen
Ob die SPD diese mitträgt, ist offen. Nachdem der Senat seine Teilnahme an einem Runden Tisch für Flüchtlingsfragen zunächst verweigert hatte, folgte am Freitag die Kehrtwende: Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) will nun doch mitreden. „Flüchtlingspolitik ist Integrationspolitik“ sagte sie am Freitag dem Tagesspiegel: „Ich habe mich ja auch schon gemeinsam mit meinem Parteifreund, dem Bundestagsabgeordneten Rüdiger Veit bei den Hungerstreikenden am Pariser Platz engagiert – auch da haben wir auf Dialog gesetzt. Und ich werde mich auch weiter für Flüchtlinge einsetzen.“
Allerdings dürfe man vom Runden Tisch nicht erwarten, dass er ungeklärte Problemfälle lösen könne, für die es bestimmte Zuständigkeiten gibt. „Man kann nicht die eigene Verantwortung an einen Runden Tisch delegieren“, sagte Kolat und meint damit auch das Camp am Oranienplatz. Die Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann habe den Fehler gemacht, den Flüchtlingen zu sagen, dass sie dort leben könnten. So etwas habe sie den Hungerstreikenden am Pariser Platz nie versprochen, sagte Kolat, auch kein Bleiberecht. Andere sinnvolle Forderungen habe sie aufgegriffen; einige davon seien auch im Koalitionsvertrag berücksichtigt worden.
Die Situation ist verfahren
Ob sie einer Vorlage des Innensenators zur Räumung des Camps am Oranienplatz zustimmen wird, will Kolat noch nicht sagen: „Das wäre zum jetzigen Zeitpunkt unfair, man muss erst sehen, was Schwarz auf Weiß in der Vorlage steht. Aber meine Linie ist eher der Weg über Gespräche.“ Damit stehe sie in der SPD nicht allein, sagte Kolat weiter: „Wenn ich am Runden Tisch teilnehme, ist das natürlich mit dem Regierenden Bürgermeister abgestimmt.“
Zwischen den Grünen und der CDU ist die Situation verfahren. Henkel warf im Tagesspiegel-Interview Herrmann vor, sie habe Vertrauen zerstört, weil sie sich nicht an die Abmachung gehalten habe und die Zelte nicht räumen ließ. Herrmann betont, sie habe mehrmals mit Henkel gesprochen. „Als wir die Zelte abbauen wollten, waren wieder Leute darin. Die wollten wir in Absprache mit der Polizei nicht aus den Zelten zerren.“ Und danach habe Henkel ein Ultimatum gestellt. Sie hofft auf ein Moratorium, denn „wir brauchen Zeit“.
Straßenschlachten müssen verhindert werden
Es geht bei dem Camp aber nicht mehr nur um das Anliegen der Flüchtlinge, sondern auch um die Auseinandersetzung mit Unterstützern aus dem autonomen Spektrum. Straßenschlachten in der Oranienstraße und Kreuzberger Ausnahmezustände wie in den 80er Jahren will die Grünen-Politikerin tunlichst verhindern und den Schauplatz des Geschehens verlagern.
Eine angedrohte Räumung durch den Innensenator hält auch Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop für „wenig zielführend“. Sie setzt auf Dialog, um in Gesprächen Lösungen zu finden. Sie sagte dem Tagesspiegel, dass „die Schlafzelte auf dem Oranienplatz keine dauerhafte Lösung sind. Das muss ein Ende haben“. Sie appelliert aber auch an die Unterstützer-Szene. „Die Aktivisten sollten nicht weiter darauf drängen, dass Leute in den Zelten übernachten.“
Sabine Beikler, Sandra Dassler