Flüchtlingsproblematik in Berlin: Die Kreuzberger Grünen sind ratlos
Die Flüchtlingsproblematik in Berlin überfordert selbst die Kreuzberger Grünen. Nicht einmal Hans-Christian Ströbele möchte sich zum Thema äußern. Für den Oranienplatz gibt es unterdessen bereits eine „Lösung“: Peu à peu soll die Infrastruktur abgebaut werden.
Die Kreuzberger Grünen stecken in der Zwickmühle: Ideologisch solidarisiert sich die Parteilinke mit den Flüchtlingen. Aber die Situation auf dem Oranienplatz und im Flüchtlingshaus in der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule ist für die Grünen wie für die anderen Parteien auch nicht mehr haltbar. Was tun? Schrittweise sollen Lösungen her, wird überlegt – erst für das Camp auf dem Oranienplatz, dann für die besetzte Schule. Die „Lösung“ für den Platz heißt: Nach der Salamitaktik peu à peu die Infrastruktur abbauen.
Unterdessen protestierten am Mittwoch erneut etwa 200 Personen gegen die europäische Asylpolitik und Abschiebungen. Der Umzug vom Roten Rathaus zum Brandenburger Tor verlief friedlich. Im Vorfeld beschmierten Unbekannte allerdings eine Wand zwischen zwei Säulen des Tores. Mit großen schwarzen Buchstaben schrieben sie dort: „No nation, no borders, stopp deportation.“
Der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele holte das Direktmandat zum vierten Mal in Friedrichshain-Kreuzberg. Zu der Flüchtlingssituation möchte sich der Parteilinke aber nicht äußern. „Wir nähern uns einer Lösung“, sagt die Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus, Antje Kapek. Sie ist im grünen Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg beheimatet. Sie sehe „täglich die Auswirkungen“ und unterstütze die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann. Diese setzt auf Gespräche, will eine Räumung verhindern.
Infrastruktur auf dem Oranienplatz soll verschwinden
Stattdessen soll auf dem Platz wie ursprünglich vereinbart die Infrastruktur von Toilette bis zum Schlafzelt verschwinden und nur das Info-Zelt bleiben. „Wir wollen weiter über Flüchtlingspolitik diskutieren, suchen aber mit den Flüchtlingen neue Formen des Protestes und einen Ort, wo der Protest zusammengehalten wird“, sagt die Kreuzberger Grünen-Fraktionschefin Paula Riester. Sie hofft, dass darüber auch beim Runden Tisch, zu dem am heutigen Donnerstag Caritas und Diakonie einladen, gesprochen wird.
Der zweite „Problemort“ ist das sogenannte Flüchtlingshaus: Seit vergangenem Dezember befindet sich in der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule an der Ecke Ohlauer Straße/Reichenberger Straße eine provisorische Unterkunft. Damals wurde das leer stehende Gebäude aus Protest gegen die Asylpolitik der Bundesregierung von etwa 40 Personen besetzt. Aus dem einstigen Provisorium ist mit Duldung des Bezirksamts eine dauerhafte Einrichtung geworden. Inzwischen hat Monika Herrmann verkündet, das selbstverwaltete Flüchtlingsheim sei gescheitert. Sie erklärte, es gebe dort „keine Strukturen, keine Ansprechpartner“. Räumen lassen will sie dort aber auch nicht.
Auf dem Gelände der ehemaligen Schule ist schon seit längerem ein kiezorientiertes „Projektehaus“ mit den Schwerpunkten Soziales, Bildung, Kultur geplant. Seit September verhandeln Mitarbeiter des Bezirksamts mit den Bewohnern, wie es weitergehen soll. Mit den bisherigen Treffen ist Herrmann aber nicht zufrieden. Die Bewohner kämen nur selten, würden nicht kooperieren, klagt sie.
Polizei kritisiert Aktionismus einiger Protestler
Nach einer Messerstecherei am Montag, in die – wie berichtet – Bewohner des Hauses verwickelt waren, fordert der CDU-Abgeordnete Kurt Wansner, zugleich Kreischef in Friedrichshain-Kreuzberg, Bürgermeisterin Herrmann auf, „ihre verantwortungslose Tatenlosigkeit zu beenden“. Bezirk und Bezirksbürgermeisterin seien verpflichtet, „für Sicherheit und Ordnung zu sorgen“. Auf der Bezirksverordnetenversammlung am Mittwochabend sollte ein Antrag der CDU in den Fachausschuss verwiesen werden. Grünen-Fraktionschefin Riester sagt, man wolle über das Flüchtlingshaus im nächsten Jahr sprechen.
Für die Polizei ist die ehemalige Gerhart-Hauptmann-Schule kein unbekannter Ort. Die Messerstecherei am Montag – der tatverdächtige 23-Jährige erhielt am Mittwoch Haftbefehl – war nicht die erste. Bereits im November hatte es einen ähnlichen Vorfall gegeben. Zu 30 Einsätzen musste die Polizei bisher hierherkommen, die Anlässe reichten von ruhestörendem Lärm bis zu Körperverletzung oder dem Verdacht einer Sexualstraftat, heißt es. Um sorgfältig zu ermitteln, müsse die Polizei in die Unterkunft hinein, sagt Polizeisprecher Stefan Redlich. Bei Einsätzen an der Gerhart-Hauptmann-Schule sei aber ein erheblich höherer Kräfteaufwand nötig als andernorts. „Dort versammeln sich schnell Sympathisanten, die Unmut äußern und die polizeiliche Arbeit behindern“, sagt er – obgleich die Aufklärung einer Straftat eigentlich auch im Interesse der Bewohner und der Sympathisanten sein sollte.
Selbst im grünen Kreuzberg kommt man inzwischen zur Einsicht, dass manche allzu fanatischen Eiferer der angeblich von ihnen vertretenen Sache längst schaden. Das sei der Fall, wenn im Zusammenhang mit Flüchtlingen immer wieder über Straftaten berichtet würde. Die Demonstration am Mittwoch war hingegen geprägt von Tanz, Trommelwirbeln und Sprechchören. Etwa die Hälfte der Teilnehmer gehörten zu den Flüchtlingen, die anderen waren Unterstützer.
Lesen Sie hier auch den Kommentar "Kontrollierte Eskalation" von unserem Autor Werner van Bebber.