Multiresistente Keime: Krankenhaus-Hygiene ist nicht immer einfach
Sterilisieren und Desinfizieren sind aufwendig. Ein Gespräch mit dem Experten Christian Brandt von Vivantes über Mikroben und Maßnahmen.
Herr Brandt, wenn die Hygiene in Krankenhäusern in die Schlagzeilen kommt, sind dort meist Menschen an Infektionen gestorben. 30 Prozent dieser in der Klinik erworbenen „nosokomialen“ Infektionen seien vermeidbar, so ist dann oft zu lesen.
Eine Zahl, die für uns immer wieder ein Ansporn ist, es besser zu machen! Allerdings muss man auch sagen, dass sie aus Studien abgeleitet wird, die 15 bis 20 Jahre alt sind. Seitdem gab es deutliche Verbesserungen, etwa die Umstellung der Hände-Desinfektion von Wasser und Seife auf alkoholische Lösungen. Und je besser das Ausgangsniveau, desto weniger kann man verbessern.
Ist das Niveau denn in Deutschland hoch?
Wir haben in Deutschland, insbesondere auch in Berlin, derzeit tatsächlich einen hohen Standard. Was das Vermeiden von Wundinfektionen, Blutvergiftungen, Harnwegsinfekten und Lungenentzündungen bei unseren Krankenhaus-Patienten betrifft, so sind wir vergleichsweise gut aufgestellt. Der gefürchtete Erreger MRSA, der inzwischen gegen mehrere Antibiotika unempfindlich geworden ist, kommt allerdings zum Beispiel in den Niederlanden seltener vor. Sich zurückzulehnen wäre auf jeden Fall fatal: Man muss etwas tun, um den guten Standard zu erhalten.
Was kann geschehen, um die Patienten besser vor diesen multiresistenten Keimen zu schützen?
Prinzipiell geht es bei den Erregern, die gegen Antibiotika resistent sind, um Gefahren für den Patienten selbst und um die Weitergabe des Erregers an andere. Manchmal ist es nötig, Patienten, die schon mit ihnen besiedelt sind, von den anderen zu isolieren. Im Einzelfall kann das eine schwierige Entscheidung sein, die besonders gut abgewogen sein will. Wir haben auch die Verantwortung dafür, die Selektion von besonders gefährlichen und resistenten Erregern dadurch zu verhindern, dass wir Antibiotika gezielt einsetzen.
Dazu gibt es ja schon fachliche Empfehlungen und Leitlinien, zur Krankenhaushygiene allgemein existieren Verordnungen und Gesetze. Viele Kliniken haben ein einheitliches Vorgehen vereinbart. Ist es nicht eine undankbare Aufgabe, das medizinische und pflegerische Personal der Kliniken trotzdem immer wieder neu darauf einzuschwören?
Durch Krankenhaushygiene erschweren wir natürlich das Kerngeschäft der Gesundheitsversorgung. Uns ist durchaus bewusst, dass der Aufwand für das Sterilisieren, Desinfizieren und Isolieren hoch ist: Wir legen den Mitarbeitern Steine in den Weg. Aber es ist eine unserer Kernaufgaben, sie zu „coachen“ und dabei immer wieder über die Hygiene-Maßnahmen zu sprechen, die an sich schon bekannt sind. Weil allen bewusst ist, dass diese Maßnahmen kein Selbstzweck sind, und weil wir sie begründen können, ist der Widerstand dagegen sehr gering.
Aber gibt es nicht immer wieder Empfehlungen, über deren Sinn und Zweck man streiten kann?
Sicher, gelegentlich werden Maßnahmen vorgeschlagen, die zunächst einleuchtend erscheinen, sich letztlich aber als nicht sinnvoll erweisen. So nützt es leider nichts, in den Zimmern Möbel mit antibakteriellen Oberflächen bereitzustellen. Das haben Untersuchungen gezeigt. Auf längere Sicht möchten auch wir an solchen Studien teilnehmen. An erster Stelle aber haben wir den Auftrag, die Versorgung in unseren Krankenhäusern nach gesichertem Wissen zu gewährleisten.
Das Institut, das Sie seit dem 1. April leiten, trägt in seinem Namen auch die Umweltmedizin.
Umweltmedizinische Untersuchungen im engeren Sinn machen wir allerdings nicht. Bei allen Abläufen achten wir aber immer darauf, Kollateralschäden für die Umwelt möglichst gering zu halten. Dabei stehen auch Medizinprodukte wie Handschuhe oder Geräte im Fokus: Was muss man desinfizieren, was durch Sterilisieren keimfrei machen, was muss man wegwerfen?
Kann man eigentlich schon beim Betreten eines Krankenhauses ein Gefühl dafür bekommen, wie hygienisch in diesem Haus gearbeitet wird?
Wir müssen wegkommen von der Idee: Hygiene ist, wenn alles schön sauber aussieht. Eingangshallen oder Flure müssen nicht täglich desinfizierend gereinigt werden, Flächen in der unmittelbaren Umgebung des Patienten dagegen schon. Je näher Gegenstände mit dem Patienten in Kontakt kommen, desto relevanter ist dann auch die Hygiene.
Sie sind nicht nur Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin, sondern auch für Kinderheilkunde. Todesfälle auf Frühgeborenen-Stationen sorgen immer wieder für Schlagzeilen. Sind die Kleinsten besonders gefährdet, wenn es um die Belastung mit Keimen geht?
Sie sind extrem vulnerable kleine Menschen, die noch kein gutes Immunsystem haben. Aber es ist nicht möglich, sie dauerhaft steril zu halten. Und man muss unterscheiden: Einige von ihnen kommen schon mit Infektionsproblemen auf die Welt, das ist sogar oft der Grund für die Frühgeburt. Solche „vertikalen“ Übertragungen von der Mutter auf das Ungeborene sind kein „Hygieneskandal“. Unser Job ist es, die Infektionen danach zu verhindern und zu bekämpfen, unter anderem durch sorgsame Desinfektion von Händen und Flächen. Bei den Frühgeborenen ist es relativ leicht, die Umgebungsbedingungen zu kontrollieren. Aber auch für Menschen, die eine Hochdosis-Chemotherapie und Stammzelltransplantation brauchen, ist strenge Isolierung lebenswichtig.
Kann man überhaupt noch ruhig schlafen, wenn man für das alles die Verantwortung trägt?
Ja, denn wir überlegen im Team, welche Ausstattung und welche Maßnahmen sinnvoll sind, dabei richten wir uns nach den neuesten Empfehlungen. Wir müssen trotzdem damit leben, dass es gelegentlich Infektionen gibt. Schon weil heute auch bei sehr alten, mehrfach kranken Menschen immer mehr anspruchsvolle Behandlungen gemacht werden. Allerdings müssen wir uns auch auf die Suche nach möglichen Fehlern von Personen und im System machen. Auch dieses detektivische Nachspüren gehört zu unserer Arbeit. Wir tun das aber nicht, damit wir nicht negativ in die Medien kommen, sondern aus der Überzeugung, unsere Patienten besser zu schützen!
Das Gespräch führte Adelheid Müller- Lissner. Christian Brandt leitet seit April das Vivantes-Institut für Hygiene und Umweltmedizin.
Adelheid Müller- Lissner