Der wachsende Zustrom an Asylbewerbern: Kommunen überfordert, Unterkünfte überbelegt
Die Zahl der Asylbewerber steigt rasant an. Es gibt nicht genug Unterkünfte, das erzeugt Frust - drinnen und draußen. Welche Probleme ergeben sich daraus für die Kommunen?
Gewalttätige Übergriffe von Sicherheitspersonal in Asylbewerberheimen in Nordrhein-Westfalen haben ein Schlaglicht auf die Situation geworfen: Die Kommunen greifen angesichts des wachsenden Zustroms zunehmend auf private Dienstleister zurück, um den Betrieb der Unterkünfte zu sichern. Das birgt Risiken.
Wie hat sich die Zahl der Asylsuchenden entwickelt?
Im Sommer veröffentlichte der UN- Flüchtlingskommissar (UNHCR) einen traurigen Rekord. Zur Jahreswende waren weltweit so viele Menschen auf der Flucht wie nie seit Ende des Zweiten Weltkriegs: 51 Millionen Männer, Frauen und Kinder. Nur der kleinere Teil erreicht die Länder der ersten Welt, 33 Millionen Menschen sind sogenannte Binnenvertriebene, suchen also Schutz im eigenen Land. Von den übrigen 18 Millionen, die außer Landes flüchten, strandet der weitaus größte Teil, nämlich 81 Prozent, in einem Entwicklungsland. Dennoch: Auch nach Deutschland und Europa kommen immer mehr Menschen. In drei Jahren hat sich die Zahl der Asylanträge hierzulande mehr als verdoppelt. Schutz in Deutschland – das kann außer Asyl auch ein Bleiberecht nach der Genfer Flüchtlingskonvention sein – erhielten 47 Prozent derer, über deren Antrag entschieden wurde. Drei Jahre zuvor waren es erst 30 Prozent.
Wie ist die Unterbringung geregelt?
Während die Anerkennung von Asylbewerbern in der Verantwortung des Bundes liegt – entschieden wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg beziehungsweise dessen Außenstellen –, ist deren Unterbringung Sache der Länder. Während der ersten drei Monate sind alle Flüchtlinge verpflichtet, in einer sogenannten „Erstaufnahmeeinrichtung“ zu leben, die ihnen die Behörden zuweisen und für deren Kosten die Länder direkt aufkommen. Das gilt auch für Flüchtlinge, die in einer Stadt Verwandte oder Freunde haben, die sie – bei deutlich geringeren Kosten für die öffentlichen Haushalte – bei sich wohnen lassen und versorgen könnten. Aber auch nach Ablauf der drei Monate müssen sie, so heißt es im Asylverfahrensgesetz „in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften“ darauf warten, dass über ihren Antrag entschieden wird. Wohin sie kommen, entscheidet der „Königsteiner Schlüssel“, mit dessen Hilfe die möglichst gleichmäßige Verteilung auf alle Bundesländer berechnet wird. Dort sind dann meist die Kommunen oder Landkreise für sie verantwortlich, die Länder zahlen Pauschalen für die Unterbringungskosten der Flüchtlinge.
An Unterbringung und Verteilung gibt es seit vielen Jahren harte Kritik: Die Flüchtlinge sind kaserniert und praktisch ohne Kontakt zur Bevölkerung. Das monate-, manchmal jahrelange Warten, das sie zu Untätigkeit verdammt, macht viele depressiv, führt zu Konflikten auch unter Heimbewohnern. Es gibt inzwischen allerdings Ansätze, die Fristen des Arbeitsverbots zu verkürzen oder die „Residenzpflicht“ aufzuweichen, die Flüchtlinge im Anerkennungsverfahren bisher hindert, ihren Landkreis zu verlassen.
Wie sind die Übergriffe zu erklären?
Gewalt gegen Flüchtlingsunterkünfte sind leider nichts Neues: Die Amadeu-Antonio-Stiftung und Pro Asyl zählten allein im Januar und Februar dieses Jahres 21 Fälle, neben Brandstiftungen auch tätliche Angriffe auf Flüchtlinge. Jetzt allerdings sind die in die Schlagzeilen geraten, die sie schützen sollten. Der Oppositionschef im nordrhein-westfälischen Landtag und frühere Integrationsminister Armin Laschet (CDU) warf dem Land mangelnde Aufsicht vor; außerdem komme Düsseldorf nicht ausreichend für die Kosten auf, die den Städten und Gemeinden durch Flüchtlinge entstehen.
Im Arnsberger Regierungspräsidium, in dessen Zuständigkeit die Einrichtung in Burbach im Siegerland fällt, betont man, dass die Bewältigung des Ansturms von Asylbewerbern ohne die Hilfe verschiedenster Organisationen nicht möglich wäre. Man arbeite mit der ins Gerede gekommen Firma European Homecare (EHC) genauso zusammen wie mit dem Roten Kreuz, den Maltesern oder der Kolping Gruppe. Der Vorwurf, private Organisationen arbeiteten preiswerter als karitative Vereine, wird verneint: Die Preise variierten nach Problemlage – und Geld verdienen wollten alle.
Die Polizeigewerkschaft und Linke sehen das Problem in seltener Eintracht dennoch in der Auslagerung staatlicher Dienste. Die Linken-Flüchtlingsexpertin Ulla Jelpke forderte mehr Hilfe für Städte und Gemeinden. „Kommunen müssen in der Lage sein, Asylsuchende selbst zu versorgen und zu schützen, statt solche Aufgaben in die Hände profitorientierter Unternehmen zu geben.“
Was ließe sich ändern?
Gari Pavkovic, langjähriger Leiter der städtischen Stabsstelle Integration in Stuttgart, sieht die Lösung in der kontinuierlichen Zusammenarbeit mit erfahrenen Partnerorganisationen. Das seien in Stuttgart die Migrationsdienste der freien Wohlfahrtspflege, etwa von Diakonie und Caritas: „Wir wollen die Leute kennen, die da arbeiten“, sagte Pavkovic dem Tagesspiegel. „Das Problem, auf private Dienste zurückgreifen zu müssen, haben wir nicht.“ Wenn mehr Menschen kämen, stellten die Wohlfahrtsorganisationen Personal ein. Lange gute Zusammenarbeit schließe Kontrolle durchaus nicht aus, ergänzt der Vizechef des Stuttgarter Sozialamts, Stefan Spatz: „In Stuttgart sind keine Subunternehmer erlaubt, wir verlangen Beschäftigung nach Verordnung über das Baugewerbe einschließlich eines polizeilichen Führungszeugnisses und Tarifzahlung.“ Seine Leute und er wüssten, „was in den Unterkünften läuft und auch, was schiefläuft“, sagt Pavkovic. Geholfen habe auch, dass die Stadt vorzusorgen versuchte und bereits in den letzten Haushalt 20 Millionen mehr für die Versorgung von Flüchtlingen eingestellt hatte. Auch Unterkünfte, so Pavkovic, „waren da, bevor die Flüchtlinge kamen“. (mit zur)