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Private Sicherheitsleute sind in vielen Flüchtlingsunterkünften unverzichtbar.
© dpa
Update

Flüchtlinge in NRW: Pro Asyl nennt Misshandlungen Folter

Der Skandal um Gewalt gegen Flüchtlinge durch private Sicherheitsunternehmen weitet sich offenbar aus. Der Polizei liegen neue Anzeigen vor. Die Kritik ist massiv und kommt von allen Seiten. Das Land NRW kündigt Konsequenzen an.

Nach den Misshandlungsvorwürfen gegen Sicherheitskräfte in nordrhein-westfälischen Flüchtlingsheimen ermittelt die Polizei auch in Essen. "Uns liegen drei Strafanzeigen wegen einfacher Körperverletzung vor", sagte ein Sprecher der Essener Polizei am Montag. Die Anzeigen stammten aus einem Heim, die Ermittlungen liefen. Auch in Essen soll es Übergriffe von Mitarbeitern eines privaten Sicherheitsdienstes gegeben haben.

Nach Auskunft der für die Flüchtlinge zuständigen Bezirksregierung in Arnsberg wird das Essener Heim vom gleichen privaten Betreiber geführt wie die Unterkunft in Burbach im Siegerland. Dieser habe dort auch denselben Sicherheitsdienst engagiert. In der Notunterkunft in Burbach sollen Wachmänner einen etwa 20 Jahre alten Algerier misshandelt und gedemütigt haben.

Bundesregierung reagiert alarmiert

In Burbach wurde die Befragung der dort lebenden Asylbewerber fortgesetzt. Die Ermittler wollen klären, ob es noch weitere Übergriffe von Wachleuten gegeben hat. Am Wochenende seien zunächst 96 Flüchtlinge befragt worden, die das Heim im Laufe des Montags planmäßig verlassen sollten, sagte ein Polizeisprecher in Hagen. Inzwischen hätten die Ermittler weitere 30 Asylbewerber befragt. In der Unterkunft leben rund 700 Flüchtlinge.

Sicherheitskräfte eines Nürnberger Unternehmens misshandelten den Flüchtling in einer Unterkunft in Burbach schwer - und hielten die Taten auf ihren Mobiltelefonen fest.
Sicherheitskräfte eines Nürnberger Unternehmens misshandelten den Flüchtling in einer Unterkunft in Burbach schwer - und hielten die Taten auf ihren Mobiltelefonen fest.
© Polizei

Die Bundesregierung reagierte alarmiert auf die Berichte. Regierungssprecher Steffen Seibert forderte am Montag, die Vorwürfe müssten vor Ort rasch und gründlich aufgeklärt werden. "Wenn sich bestätigen würde, was diese Bilder nahelegen, wenn also Flüchtlinge dort tatsächlich misshandelt und gedemütigt worden wären, dann wären das widerwärtige Taten", unterstrich er. Deutschland sei ein menschenfreundliches Land, im dem die Würde des Menschen geachtet werde. Wenn sich die Vorwürfe bewahrheiten sollten, müssten die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Allerdings könnten die Vorgänge nicht von Berlin aus aufgearbeitet werden. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums verwies ebenfalls auf die Zuständigkeit der Bundesländer für die Asylbewerber. Die Aufklärung und die Konsequenzen aus solchen Taten lägen bei ihnen. Das gelte auch für die Beantwortung der Frage, welche hoheitlichen Aufgaben an private Dienstleister übertragen werden könnten.

"Wir müssen noch mehr kontrollieren"

Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) will sofort mehr Personal zur Überwachung der Standards in Flüchtlingsheimen bereitstellen. "Wir müssen feststellen, dass wir noch mehr kontrollieren müssen, dass unsere Vertragspartner nicht alle vertraglichen Bedingungen eingehalten haben", sagte Jäger am Montag in Essen. Das Kontrollpersonal sei bereits in der Vergangenheit deutlich aufgestockt worden. "Wir tun das jetzt noch mal mit dem klaren Auftrag, die vereinbarten Qualitätsstandards kontinuierlich kontrollieren zu können."

Dass so viele Flüchtlinge nach NRW kämen, dürfe nicht dazu führen, die Standards und die Verpflichtung, eine menschliche Unterkunft zu bieten, zu vernachlässigen, sagte der Minister. "Dazu gehört auch, dass sie in den Einrichtungen geschützt sind", fügte er hinzu. Der Minister erklärte, überwiegend hätten die Vertragspartner, darunter auch viele karitative, in den vergangenen Jahren seriöse Arbeit abgeliefert. "Aber was nicht geht, ist, dass diese Unternehmen sich Subunternehmen bedienen, deren Tätigkeit sie nicht kontrollieren, und wir anschließend feststellen müssen, dass sich unter dieses Personal auch Kriminelle gemischt haben."

"Das stimmt etwas grundsätzlich nicht"

European Homecare ist einer der größten Betreiber von Flüchtlingsunterkünften in Deutschland. Allein in NRW betreibt er sechs der zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen. Laut WDR-Recherchen hält sich das Unternehmen auch nicht an die vom Land geforderten und vertraglich vereinbarten Standards für den Betrieb von Flüchtlingswohnheimen. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl zeigte sich entsetzt über die Berichte. Offenbar habe es keinerlei Kontrolle gegeben, kritisierte Pro Asyl in Frankfurt. Flüchtlingsunterkünfte dürften kein rechtsfreier Raum sein. "Wenn in Flüchtlingslagern zwei Wochen lang durch einen privaten Sicherheitsdienst gefoltert wird, dann stimmt etwas grundsätzlich nicht", so Pro Asyl.

CDU-Landeschef Armin Laschet macht auch die rot-grüne Landesregierung für die Vorfälle verantwortlich. „Die Regierung hat die Aufsichtspflicht nicht wahrgenommen wie das erforderlich wäre“, sagte Laschet. „Was diese privaten Sicherheitsdienste da machen, das erfordert jetzt eine schnelle Aufklärung.“ Laschet beklagte ferner, Nordrhein-Westfalens Kommunen würden mit der Flüchtlingsbetreuung alleingelassen. So gebe es - anders als etwa in Bayern - keine komplette Kostenerstattung durch das Land.

Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, kritisierte den Einsatz privater Wachdienste in Flüchtlingsunterkünften. "Zynisch möchte man sagen: Willkommen im schlanken privatisierten Staat", sagte Wendt am Montag im ZDF. "Hier wird eine hoheitlich Aufgabe auf ein gewinnorientiertes Unternehmen übertragen und gleichzeitig der Kardinalsfehler begangen, die Tätigkeit von Subunternehmen im Vertrag nicht zu verbieten." Damit seien die "Scheunentore weit geöffnet" für Kriminelle.

Der Bundesvorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, zeigte sich empört. "Das muss die NRW-Landesregierung vollständig aufklären. Sie führt die Aufsicht", sagte Riexinger dem Handelsblatt (Online- Ausgabe) und fügte mit Blick auf SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hinzu: "Die politische Gesamtverantwortung für systematische Menschenrechtsverletzungen liegt letztlich bei der politischen Führung des Landes." Nichtstun sei unterlassene Hilfeleistung. Die Vorgänge müssen aus Riexingers Sicht ein "Weckruf" sein. "Wir müssen weg von der geschlossenen Unterbringung von Flüchtlingen. Das ist inhuman und öffnet Tür und Tor für Machtmissbrauch", sagte der Linken-Chef. "Die dezentrale Unterbringung muss der Regelfall werden." (Tsp/dpa/rtr)

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