Mittlerer Schulabschluss in Berlin: Koalition gibt Gymnasien einen Korb
Auf ihre Bitte um neue Lösungen für den Mittleren Schulabschluss erhalten die Gymnasien eine deutliche Absage.
Die einen nennen es einen „Affront“, die anderen einen „unfreundlichen Akt“ oder auch nur eine „Stilfrage“: Die bildungspolitischen Sprecherinnen der Koalition haben den Gymnasien auf ihre Bitte um eine Reform des Mittleren Schulabschlusses (MSA) am Montag eine Absage erteilt – und zwar ausgerechnet im Grußwort zum 25-jährigen Bestehen des Berliner Gymnasialverbands, der Vereinigung der Oberstudiendirektoren (VOB).
„Die Vertreterinnen der Regierungskoalition sind sich einig, dass die Durchlässigkeit des Berliner Schulsystems und die Gleichwertigkeit der Abschlüsse gegenüber der Erleichterung der Situation in der 10. Klasse für Gymnasialschüler Vorrang haben“, schreiben Maja Lasic (SPD), Regina Kittler (Linke) und Marianne Burkert-Eulitz (Grüne), nachdem sie einen „ganz herzlichen Glückwunsch“ an die VOB und ihren Vorsitzenden Ralf Treptow vorausgeschickt hatten.
10.000 Gymnasialschüler legen jährlich MSA-Prüfungen ab
Viel Verwunderung produziert dieses Vorgehen inzwischen allerdings nicht mehr. „In vielen Gymnasien überwiegt jetzt das Gefühl, dass ihnen die Luft abgeschnürt wird“, fasst ein erfahrener Schulleiter die Stimmung an der Basis zusammen. Die Tatsache, dass weiterhin jährlich 10.000 Gymnasialschüler jeweils mehrere MSA-Prüfungen in Klasse 10 ablegen sollen, obwohl diese Prüfungen für sie zu leicht sind und obwohl dies ungeheure Mehrarbeit für die Gymnasiallehrer bedeutet, vervollständigt jetzt nur noch den „vorherrschenden Eindruck, dass die Belange der Gymnasien nicht mehr zählen“.
Den Gymnasialleitern fällt eine Menge ein, wenn man sie fragt, woher denn dieser Eindruck kommt: „ein gepflegtes Desinteresse“ der Bildungsverwaltung, Reduzierung der Beförderungstellen, keine geplante Kooperation mit Sekundarschulen ohne Oberstufe und schließlich die Ankündigung der Koalition, als Reaktion auf den Schülerzuwachs keine Gymnasien, sondern nur noch Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen zu gründen. Ein Übriges tut die neuerdings gemeinsame Ausbildung von Gymnasial- und Sekundarschullehrern.
„Einerseits werden an den Sekundarschulen Lehrer mit Oberstufenerfahrung gesucht, andererseits wird durch die Einführung des einheitlichen Studienganges und des verkürzten Referendariats verhindert, dass angehende Lehrer sich für den Unterricht in der gymnasialen Oberstufe sowie die Abnahme des Abiturs angemessen qualifizieren“, bedauert auch der ehemalige Lehrer des Jahres Robert Rauh, der selbst Lehrer ausbildet und an einem Lichtenberger Gymnasium unterrichtet.
Sorge um "schleichende Standardabsenkung"
Was Rauh und viele andere Gymnasialvertreter mit Besorgnis erfüllt, ist zudem die „schleichende Standardabsenkung“, wie es der Leiter des John-Lennon-Gymnasiums, Jochen Pfeiffer, ausdrückt: Wie berichtet, wird es immer leichter, nach der zehnten Klasse in die gymnasiale Oberstufe aufzusteigen. Parallel werden die Anforderungen – insbesondere in Mathematik – gesenkt, was nicht nur die Sekundarschulen, sondern auch die Gymnasien betrifft, da es in Berlin ein Zentralabitur für alle Schulformen gibt.
Bei der Jubiläumsfeier am Montagabend ging es aber nicht mehr um diese Sorgen, sondern um einen unterhaltsamen Rückblick mit den drei Vorgängern von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD): Allen Dreien - Jürgen Klemann (CDU), Klaus Böger und Jürgen Zöllner (beide SPD) - bescheinigte die VOB, gut mit ihr zusammengearbeitet zu haben. Über Scheeres wurde dergleichen nicht gesagt. Sie hatte zu Beginn der Veranstaltung betont, dass es in Klasse 10 der Gymnasien zwar einige Veränderungen geben werde, wofür eine "Arbeitsgruppe" eingesetzt werde, aber beim MSA in Klasse 10 der Gymnasien müsse es bleiben.
"Jürgen Zöllner war ein Befürworter der zwei Säulen Gymnasium und Sekundarschule, die derzeitige Regierung überlegt, wie sie die Gymnasien auf kaltem Wege abschaffen kann", lautete am Montag die Einschätzung von Treptows Vorgänger im Amt, Harald Mier. Das "krampfhafte Festhalten" an der sogenannten Gleichwertigkeit verhindere "gute Lösungen" zum MSA für die Gymnasien.
Am Dienstag früh konterte der VOB den "Glückwunsch": "Die VOB setzt sich nicht, wie es die drei bildungspolitischen Sprecherinnen der Regierungsfraktionen darstellen, für eine 'Erleichterung der Situation in der 10. Klasse für GymnasialschülerInnen' ein. Im Gegenteil: Die VOB tritt stets dafür ein, an Berlins Gymnasien allererst anspruchsvolle gymnasiale Bildungsgänge anzubieten, klare Lernziele zu verfolgen, Möglichkeiten für den Beweis erworbener Fähigkeiten einzuräumen und eine vielfältige Persönlichkeitsbildung, die dem Humanismus verpflichtet ist, in einem vielseitigen Schulleben zu eröffnen", heißt es in einem Offenen Brief, der noch nach der Festsitzung von den Gymnasialleitern formuliert wurde.
„Linke, Grüne und Teile der SPD würden das Gymnasium am liebsten abschaffen und in Gemeinschaftsschulen überführen. Was die SPD-Führung noch von diesem Schritt abhält, ist die Erfahrung aus Hamburg und vor Jahren in Nordrhein-Westfalen, dass man damit Wahlen verlieren kann“, schreibt der langjährige Leiter des Lankwitzer Beethoven-Gymnasium, Wolfgang Harnischfeger, in einem aktuellen Beitrag für die Berliner Lehrerzeitung der GEW.
Susanne Vieth-Entus