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© Doris Spiekermann-Klaas

Mittlerer Schulabschluss: Die ungeliebte Prüfung

Sollen die Tests für den einheitlichen Mittleren Schulabschluss an den Gymnasien abgeschafft werden? Ein Pro & Contra.

Die Gymnasien wollen die Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss (MSA) loswerden. Mit dieser Forderung überraschte der Verband der Berliner Oberstudiendirektoren in dieser Woche. Hauptargument: Die Prüfungen in Mathematik, Deutsch und erster Fremdsprache seien zu leicht und stellten daher „keine hinreichende Herausforderung“ dar. Deshalb seien sie „verzichtbar“, schlussfolgerte der Verbandsvorsitzende Ralf Treptow. CDU und FDP pflichteten ihm bei, die SPD-geführte Bildungsverwaltung, Grüne und Linkspartei widersprachen.

Tatsächlich zeigt die mehrjährige Erfahrung, dass der MSA für Gymnasiasten kaum eine Hürde bedeutet: 99 Prozent von ihnen bestanden 2009 die Prüfungen. Viele Lehrer halten den Aufwand mehrstündiger Klausuren daher für verfehlt. Zum Vergleich: Von den Realschülern sind 89 Prozent erfolgreich, von den Gesamtschülern 93 Prozent. An den Hauptschulen nehmen nur diejenigen an den Prüfungen teil, bei denen man sich Chancen ausrechnet, dass sie es schaffen könnten. Von ihnen haben dieses Jahr 59 Prozent die Hürde genommen.

Der Verband der Oberstudiendirektoren erwartet, dass sich die Leistungen der Gymnasiasten ab 2010 noch weiter von den übrigen Schülern entfernen werden. Denn die jetzigen Zehntklässler stellen den ersten Jahrgang, der in nur zwölf Jahren das Abitur ablegen soll. Das bedeutet laut Treptow, dass Gymnasien den Stoff der bisherigen zehnten Klasse künftig zum Teil schon in die neunte Klasse vorziehen. Die MSA-Prüfung muss sich aber an den Lehrplaninhalten der Sekundarschüler der zehnten Klassen orientieren. Es mache keinen Sinn, dass die Gymnasiasten sich zur Vorbereitung auf die MSA- Prüfung auf den Stoff ihrer neunten Klasse zurückbesinnen müssten. Stattdessen sollte die Versetzung in die elfte Klasse die MSA-Prüfungen ersetzen. Das werde auch in Sachsen so gehandhabt.

Die Bildungsverwaltung hat auf dieses Ansinnen offiziell nicht reagiert. Inoffziell ist zu hören, dass man von Treptows Vorschlag nicht überzeugt ist und an den MSA-Prüfungen für alle festhalten will, die auch als Instrument zum Leistungsvergleich aller Schulen dienen. So fielen etliche Gymnasiasten durch die Mathematikprüfung und bestünden den MSA nur, indem sie eine Mathe-Fünf mit einer guten Note in Deutsch oder Englisch ausgleichen. Und viele Gymnasiasten wüssten zu schätzen, dass sie sich durch den MSA auf eine Prüfungssituation vorbereiten könnten, wie sie sie im Abitur erwartet.

Der Oberstudiendirektoren-Verband schlägt für Gymnasiasten der zehnten Klasse nur eine Präsentationsprüfung und die mündliche Prüfung in der ersten Fremdsprache vor – und schulinterne Vergleichsarbeiten in den Hauptfächern, die als Klassenarbeiten angerechnet werden. Nur versetzungsgefährdete Gymnasiasten sollten an allen MSA-Prüfungen einer Sekundarschule teilnehmen.

Für den bildungspolitischen Sprecher der Linkspartei, Steffen Zillich, verfehlt das Ansinnen das Ziel der Schulstrukturreform, gleichwertige Schulen und Abschlüsse zu schaffen sowie mehr Durchlässigkeit im Schulsystem zu erreichen. Eine Aufteilung nach Abschlussperspektive solle gerade nicht mehr erfolgen. Ein neuer „Sonderweg des Gymnasiums wäre für die Ziele der Reform kontraproduktiv“. Ob CDU oder FDP das Thema im Schulausschuss absprechen, bleibt abzuwarten. Susanne Vieth-Entus


PRO
Wahrscheinlich sind auch Bildungspolitiker froh, nicht mehr zur Schule gehen zu müssen. Die Schüler heutzutage sind die Versuchskaninchen ihrer mannigfachen Reformen im Bildungswesen. Nach jahrelangen Versäumnissen wurden die meisten Neuerungen übereilt eingeführt. Dazu gehört, dass die Prüfungen des mittleren Schulabschlusses für ausnahmslos alle Schüler obligatorisch sind, die mehr erreichen wollen als den Hauptschulabschluss. Und damit auch für Gymnasiasten. Dabei sind diese doch gar nicht die Zielgruppe. Wie der Name sagt, geht es um den mittleren Schulabschluss, den man auf ein einheitliches Niveau heben wollte. Bei Gymnasiasten, die nach der zehnten die Versetzung in die elfte Klasse geschafft haben, muss man davon ausgehen, dass sie dieses Level überschreiten. Das zeigen auch die Ergebnisse: Welchen Erkenntniswert hat es noch, wenn 99 Prozent der Gymnasiasten die Prüfungen bestehen? Warum muss man die Schüler damit belasten? Ihre Stundenpläne sind durch das Turboabitur voll genug. Außerdem nimmt man den Schülern die Möglichkeit, ein Jahr im Ausland zu absolvieren, ohne ein Schuljahr wiederholen zu müssen. Von Schulzeitverkürzung kann dann keine Rede mehr sein. Also: Überflüssiges abwerfen und den MSA an den Gymnasien abschaffen. Sigrid Kneist

CONTRA
Prüfungen machen nie Spaß. Nicht nur den Prüflingen, sondern auch den Prüfern, die mehr Arbeit haben. Aber um Spaß geht es nicht beim Mittleren Schulabschluss. Prüfungen gehören zum Leben, zum Erwachsenwerden dazu. Für die Jugendlichen sind die Klassenarbeiten zum Mittleren Schulabschluss in der Regel die erste wirkliche Prüfung, auf die sie sich vorbereiten müssen, die sie bestehen müssen. Das gilt für die Hauptschüler ebenso wie für die Gymnasiasten. Zugleich ist der MSA für das Land Berlin ein Werkzeug für eine einheitliche Leistungsstandkontrolle aller Schulzweige. Es ist nicht verwunderlich, dass Gymnasiasten die Prüfung zu einem weit höheren Prozentsatz bestehen als Hauptschüler; nur das Gegenteil wäre es. Für ihre Abschaffung an Gymnasien gibt es dennoch keinen Grund. Schließlich weisen auch die Schulen selbst in Qualität und Leistungsfähigkeit deutliche Unterschiede auf. Die MSA-Ergebnisse geben deshalb nicht nur den Schülern einen Hinweis, wo sie stehen; auch die Schulleiter müssen sich den Ergebnissen stellen. Das ist manchem Pädagogen nicht recht, der bei Vergleichbarkeit sofort an Rankings denkt. Aber für die Eltern, die für ihre Kinder nach der richtigen Schule suchen, sind auch die Ergebnisse der MSA ein ganz nützlicher Fingerzeig. Gerd Nowakowski

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