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Berliner Tradition: Werbung auf der Litfaßsäule.
© Mike Wolff

Litfaßsäulen in Berlin: Kleine Werbepause für die Hauptstadt

Auf Berlins Litfaßsäulen geht es derzeit spartanisch zu: die Plakate fehlen. Demnächst sollen die Werbesäulen durch neue ersetzt werden.

Es ist grau, rund und steht sinnlos in der Gegend rum, zur Verwunderung nicht nur der Anwohner. Zum Beispiel an der Sven-Hedin-Straße/Ecke Hartmannsweiler Weg in Zehlendorf. Schon gut zwei Monate, so schätzt ein älterer Mann, der gerade seinen Hund spazieren führt, sei die alte Litfaßsäule nackt, ohne jede Reklame. Aber warum? Er hat keinen Schimmer.

Grau und nackt stehen die Säulen da

Nicht mal der kleinste Plakatfetzen hat sich an dem verwitterten Betonkorpus erhalten, kein Hinweis auf einen Besitzer oder Vermieter, über den sich die unansehnliche Säule wieder ihrer Bestimmung zuführen ließe. Und sie steht keineswegs alleine da. In der Niklasstraße, nur wenige Meter von der Lindenthaler Allee entfernt, steht die nächste, und wenn man ein wenig herumfährt und die Augen aufsperrt, ob in Zehlendorf oder anderswo in Berlin, etwa in der Malmöer Straße in Prenzlauer Berg, wird man weitere solcher offenbar ausgemusterten Werbeträger finden.

Schon beginnt in den sozialen Medien das Rätselraten um diese unerwarteten Leerflächen.

Die Werbung im öffentlichen Raum soll neu geordnet werden

An sich waren sie auch in der Vergangenheit hin und wieder zu sehen – wenn nämlich solch ein mit vielen Plakatschichten beklebter Zylinder „geschält“ worden war, wie in der Werbebranche das Säubern der zu dick gewordenen Säulen heißt. Doch wurde die vorübergehende Nacktheit schnell wieder mit neuen Plakaten zugekleistert, diesmal aber immer öfter nicht mehr. Ein erster Erfolg der Initiatoren des Volksentscheids „Berlin werbefrei“?

Keineswegs, obwohl die aktuellen Litfaßsäulen der Stadt in absehbarer Zukunft verschwinden sollen, freilich nur, um für andere Modelle Platz zu schaffen. Hintergrund ist der Versuch des Senats, die Werbung im öffentlichen Raum neu zu ordnen und zugleich das jahrelange, vom Landesrechnungshof gerügte Koppelungsgeschäft mit der Wall AG zu beenden. Diese hatte den Betrieb von öffentlichen Toiletten und Brunnen übernommen und dafür Werberechte im öffentlichen Raum erhalten, unter anderem für die Litfaßsäulen.

Die Wall AG behält die Groß- und Standardvitrinen

Anfang dieses Jahres allerdings waren, wie berichtet, die Werberechte auf öffentlichem Straßenland nach einer Ausschreibung ab 2019 neu vergeben worden, nun ohne die bisherige Koppelung an den Betrieb der Toiletten. Die Wall AG behielt für 15 Jahre die freistehenden hinterleuchteten und digitalen Werbeträger, also Groß- und Standardvitrinen sowie Werbesäulen, wobei die Zahl der Großwerbeflächen um 30 Prozent, die der Kleinvitrinen um zehn Prozent sinken soll. Das Recht für die klassische geklebte Werbung an den Litfaßsäulen hingegen ging an die Stuttgarter Firma ILG-Außenwerbung.
Die vielen werbefreien Säulen seien eine Vorbereitung auf deren vorgeschriebenen Rückbau, heißt es bei der Wall AG. Sie betreibt die traditionsreichen Werbeträger über ihre Tochterfirma Draußenwerber. Auf deren Website ist von 1455 Standorten die Rede, die Senatsverkehrsverwaltung nennt dagegen „ungefähr 2500 Litfaßsäulen“.

Die Zahl der Säulen wurde auf 2500 begrenzt

Deren Zukunft ist – abgesehen von einigen denkmalgeschützten Exemplaren wie der eisernen, von 1905 stammenden Säule an der Ecke Frankfurter Allee/Samariterstraße in Friedrichshain – seit der Neuvergabe der Werberechte zeitlich begrenzt. Bis Mitte 2019, so heißt es in der Behörde, müssen die Säulen „nach dem alten Werberechtsvertrag“ abgebaut werden.

Die Standorte stehen dann für 15 Jahre dem künftigen Betreiber zur Verfügung, der neue Säulen errichten wird – „nach einer einheitlichen Designlinie“, wie es bei der Behörde heißt. Schon jetzt hat die ILG Werbesäulen unterschiedlicher Höhen und Umfänge im Sortiment. Von den in Berlin üblichen Modellen unterscheiden sie sich nur unwesentlich.

Laut dem mit der ILG geschlossenen Vertrag sei die maximale Zahl der Litfaßsäulen im öffentlichen Straßenland auf 2500 begrenzt worden, heißt es bei der Verkehrsverwaltung. Da schon einige Standorte im Vorfeld der Ausschreibung gestrichen worden seien, reduziere sich die Zahl um etwa zwei Prozent.

Ernst Litfaß sollte in seine Säulen Pissoirs einbauen

Toilettenbetreiber, nun getrennt vom Werbegeschäft und unter geänderten Modalitäten, bleibt die Wall AG. Wobei diese Verbindung in Berlin durchaus ein – allerdings nicht vollendetes – Vorbild hat.

Im Jahr 1854 schloss der damalige Polizeipräsident Karl Ludwig von Hinkeldey mit dem Druckereibesitzer Ernst Litfaß einen Exklusivvertrag zum Betrieb von 150 Werbesäulen. Öffentliche Toiletten hielt er für nicht so wichtig, was die Berliner zu einem spöttischen Dreizeiler animierte: „Ach, lieber Vater Hinckeldey, / mach uns für unsre Pinkelei / doch bitte einen Winkel frei.“ In den Litfaßsäulen sah Berlins oberster Polizist eine Lösung des pressierenden Problems. Mit Litfaß wurde vereinbart, in 30 der Werbesäulen Pissoirs einzubauen. Ein schöner Plan, leider nie verwirklicht.

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