Wahlkampf in Berlin: Klare Worte, harte Kanten - gerne weiter so
Berlin erlebt gerade einen der spannendsten Wahlkämpfe seit langem. Der Ton ist schneidig. Was reitet Müller? Was will Henkel? Warum haben die Grünen eine Option vergeben? Ein Kommentar.
Es kann auch ganz anders ausgehen: Die CDU gewinnt knapp vor Grün, Rot und Rot, findet aber zunächst keinen Koalitionspartner; die SPD setzt ihren als Regierenden verlorenen Michael Müller ab, will aber nicht unter der Spitzen-Grünen Ramona Pop in den Senat einziehen – schließlich handeln CDU, Grüne und FDP Berlins Überraschungskoalition aus. Wahrscheinlich ist das Szenario nicht.
Aber dass diese Gedankenspiele möglich sind, zeigt: Wir erleben gerade einen der spannendsten Berliner Wahlkämpfe seit langem. Vier Parteien liegen vier Wochen vor der Abstimmung in den Umfragen fast gleichauf. Und die Rechtspopulisten von der AfD dürfen auch in der Vielvölker-Hauptstadt mit einem zweistelligen Ergebnis rechnen; sie machen damit selbst eine große Koalition zu klein zum Regieren zu zweit.
Wer mit wem – und wenn ja, wie viele? Diese Frage bewegt Bürger und Politiker aller Couleur in diesen Tagen bereits intensiv. Seit Michael Müller sich in einem Tagesspiegel-Gastbeitrag in deutlichen Worten von der „Henkel-CDU“ verabschiedet hat (nicht aber so ganz von einer CDU ohne Frank Henkel) und den Grünen ein offenes Koalitionsangebot unterbreitet hat (für das derzeit aber die Mehrheit fehlt), ist Berlins Wahlkampf von gepfefferten Worten ebenso geprägt wie von taktischen Finessen.
Umgehend bildeten sich Lager, die den Wählerinnen und Wählern nun zumindest die taktische Entscheidung leichter machen: Soll die Stadt bald lieber mit Links regiert werden? Oder dringt der auch von seiner Bundespartei in der Burka-Debatte ziemlich allein gelassene Frank Henkel mit seinem Sicherheitswahlkampf noch bis zu den potenziellen AfD-Wählern durch? Diese Fragen sind so offen wie das Ergebnis, aber sie werden jetzt diskutiert.
Die Grünen gingen umgehend auf Müllers Angebot ein
Die Grünen, die als Quartett noch nicht ihr Großthema gefunden haben, gingen jedenfalls umgehend auf Müllers Angebot ein, forderten aber die Stimmen aller Rot-Grün-Fans für sich ein. Der Linke Klaus Lederer hielt sich schlau bedeckt. Henkel schließlich verglich in seinem Debattenbeitrag die dauerregierende „Müller-SPD“ und ihre Qualifikation für einen Neuanfang mit dem korrupten Fußball-Weltverband Fifa. Der Ton ist inzwischen schneidig – vielen Berlinern, denen marode Schulen, teure Wohnungen oder langsame Bürgerämter wichtiger sind als vorgezogene Koalitionsverhandlungen, mag das schrill vorkommen. Die Unterschiede werden nun aber deutlich. Und das ist ein Wert für die Wahl.
Mit Blick auf die Machtoptionen lässt sich über den Wert der Aussagen natürlich streiten. Ist es klug von Michael Müller, als Regierender Bürgermeister weit vor der Entscheidung eine Koalitionsaussage zu treffen? Will er damit rot-grüne Wechselwähler gewinnen – oder ging es ihm eher um ein Zeichen an die eigene, links eingestellte Partei, deren Landesvorsitzender Müller wieder ist? Immerhin das taktische Ziel, die Grünen aus der Reserve zu locken und diese umgekehrt auf die SPD festzulegen, hat geklappt. Ist es also klug von Ramona Pop, eine Koalition mit der CDU (egal, ob mit Henkel oder ohne) auszuschließen?
Bis dahin geht es rund im Wahlkampf
Der politische Rahmen spricht im Gegensatz zu anderen Bundesländern nicht für ein grün-schwarzes Bündnis: Berlins CDU hat sich bisher nicht überwunden, die Homo-Ehe zu befürworten, sie setzt sich heftig von allen Kreuzberger Multikulti-Träumen ab. Aber machttaktisch haben die Grünen eine Option aus der Hand gegeben, zumindest eine theoretische, zumindest vorerst. In vier Wochen kann das schon wieder anders aussehen. Bunt wird der Wahlabend auf jeden Fall.
Bis dahin geht es rund im Wahlkampf. Den Parteien und ihren Protagonisten bleibt noch ein Monat Zeit, sich nicht nur aneinander, sondern noch stärker an den Inhalten abzuarbeiten. Gerne weiter mit klaren Worten und harten Kanten. Aber eben auch nah dran an den Alltagssorgen der Menschen, die ihre Stimmen zu vergeben haben. Diese sollten die Parteien nicht unterschätzen. So ausrechenbar wie eine Koalition sind Wähler nicht.