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Die innerdeutschen Reisebeschränkungen könnten der öffentlichen Gesundheit am Ende mehr schaden als nützen.
© Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dpa

Schafft das Beherbergungsverbot wieder ab!: Keine Ferien in Brandenburg machen dürfen, aber in der Toskana? Irrsinnig!

Gerade jetzt kommt es auf nachvollziehbares Handeln an. Die unübersichtliche Kleinstaaterei beim Reisen aber stiftet größtmögliche Unordnung. Ein Kommentar.

Angela Merkel hat ihren Sommerurlaub dieses Jahr nicht traditionell in Südtirol verbracht, sondern: zu Hause – in Deutschland. Fast mantraartig wiederholen Politiker seit Monaten, die Deutschen sollten im Pandemiejahr lieber Harz und Rhön erkunden statt Himalaya und Rhonedelta. Wer auf sie hörte, darf sich jetzt durch Stornorichtlinien quälen.

Fast vorsintflutlich erscheint die innerdeutsche Reise-Kleinstaaterei, auf die sich Bund und Länder am Mittwoch geeinigt hatten. Viele deutsche Hoteliers dürfen Reisenden aus innerdeutschen Risiko-Gebieten seitdem keinen Schlafplatz mehr bieten: Beherbergungsverbot.

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Berliner dürfen deshalb momentan keine Nacht im brandenburgischen Frankfurt (Oder) verbringen, aber locker auf der anderen Oderseite im polnischen Słubice . Eine Flugreise in die Toskana wäre für die Menschen aus der täglich wachsenden Zahl an Risikogebieten ohne Test möglich, aber keine Übernachtung in den bayerischen Alpen. Das klingt nicht nur irrsinnig, die Umsetzung der Regeln ist in der Realität auch kaum prüfbar – zumal private Übernachtungen auch noch davon ausgenommen sind.

Warum sollen Infektionszahlen steigen, wenn eine Berliner Familie in eine einsame Brandenburger Ferienhütte fährt? Wem ist damit geholfen, Urlaube zwar zu untersagen, private Besuche aber von den Regeln auszunehmen? Familienfeste gelten neben Infektionen in Großbetrieben und Partys immerhin als besondere Treiber der Pandemie. Verhältnismäßig schwere Eingriffe in persönliche Freiheiten dürften deshalb für wenig Ertrag sorgen.

Die Regelung könnte der öffentlichen Gesundheit schaden

Aufheben lässt sich das Beherbergungsverbot durch einen höchstens 48 Stunden alten negativen Corona-Test. Aber wo gibt’s den? In Berlin versuchen jetzt Tausende symptomfreie Menschen, sich testen zu lassen, um irgendwie ihren Herbsturlaub zu retten. Weil die Labore ohnehin schon an der Belastungsgrenze arbeiten, könnten deshalb auch ernsthaft kranke Menschen künftig länger auf ihre Test-Ergebnisse warten.

Anlaufstellen für solche freiwilligen Tests gibt’s bislang ohnehin kaum – die Hausärzte werden überrannt. Die Regel ist deshalb nicht nur wenig durchdacht, sie könnte sogar der öffentlichen Gesundheit schaden.

Sicher, es beteiligen sich nicht alle Bundesländer am Übernachtungsstopp. Fünf von 16 haben sich eigene Regeln oder Bedenkzeit erbeten. Aber das innerdeutsche Durcheinander verbessert die Lage nicht, sondern stiftet zusätzlich Verwirrung: Bremen berät noch immer, wie man mit Gästen umgehen soll, NRW weiß auch noch nicht so recht, in Berlin hält man Beherbergungsverbote zwar für denkbar, aber noch nicht jetzt.

Schließlich ist man selbst Risikohauptstadt. Nur Thüringen lehnt ein Beherbergungsverbot komplett ab – und wird zum Sehnsuchtsziel für die wachsende Gruppe der Risikodeutschen.

Statt gemeinsam gegen die Pandemie zu kämpfen, gehen die Länder auf Abstand

Statt mit gesundem Sicherheitsabstand und im Kampf gegen das Virus zusammenzurücken, gehen die Länder also auf Distanz zueinander. Die Berliner würden zum Risiko für ganz Deutschland polterte etwa CSU-Generalsekretär Markus Blume vor einigen Tagen – und unterschlug, dass die Infektionszahlen in München schon Wochen zuvor ähnlich hoch waren wie in der Partyhauptstadt.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Erfrischend ehrlich positionierte sich dagegen der mecklenburgische CDU-Chef Michael Sack: Die Einheimischen seien selbst Schuld am Anstieg der Infektionen, sagte er, nicht ein paar Urlauber aus Risikogebieten.

Die undurchsichtigen Urlaubsregeln jedenfalls haben das Zeug, die Akzeptanz für andere, sinnvolle Corona-Maßnahmen zu senken. Sie sollten deshalb schleunigst wieder abgeschafft - oder wenigstens stark vereinfacht werden. Die stark steigenden Infektionszahlen könnten ohnehin bald ganz Deutschland zur Risikozone werden lassen.

Das Wichtigste ist: Es kommt es in dieser Phase der Pandemie mehr denn je auf nachvollziehbares und einiges politisches Handeln an – damit ein zweiter Lockdown verhindert werden kann. Die unübersichtliche Kleinstaaterei stiftet stattdessen größtmögliche Unordnung. Immerhin: Thüringen im Herbst soll ja auch ganz schön sein – und recht dünn besiedelt.

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