Spazieren mit Sarah Kuttner: Keine Angst vor Kaffeesahne
Einst wurde Sarah Kuttner als „TV-Frau der Zukunft“ gehandelt, heute schreibt sie vor allem Bücher. Ein Spaziergang um die Halbinsel Stralau.
Nun holt sie tatsächlich eine kleine, durchsichtige Plastiktüte aus ihrem großen schwarzen Lederbeutel, eine mit so einem wiederverschließbaren Zippding, worin man jetzt bewusstseinsverändernden Substanzen erwarten könnte. Doch Sarah Kuttner, Moderatorin, Autorin, Podcasterin, Medienmensch, hat einfach ein bisschen Zucker mitgebracht, ordinären weißen Zucker.
Dazu Pappbecher, Thermoskanne, Löffel – alles kramt sie aus ihrer harrypotteresken Wundertasche. „Ich wusste ja nicht, wie ihr euren Kaffee trinkt“, sagt sie und guckt, als sei das der selbstverständlichste Satz der Welt. Dafür ist jede Menge Kaffeesahne schon drin, „da konnte ich leider keine Rücksicht nehmen“, ach, und: Es ist natürlich Filterkaffee. Kuttner gibt’s nur ohne Chichi, damit das gleich mal klar ist.
Sarah Kuttner hat mal wieder ein Buch geschrieben
Was für eine Vorbereitung! Sarah Kuttner, gerade 40 geworden, hat gern alles im Griff, was vielleicht spießig und unentspannt sei, doch bei der Stralauer Infrastruktur eher gut durchdacht erscheint. Nüscht gibt es hier am Uferweg – und nicht mal der ist da, als Kuttner kurz zuvor angehüpft kommt, äußerst pünktlich, äußerst gut gelaunt, mit Hund und Hoodie, grau karierter Mantel, zerrissene schwarze Jeans, rote Mütze, olle weiße Turnschuhe, etwas zu optimistische Sommersöckchen für diesen frühlingshaften Wintertag, an dem einmal rund um die Halbinsel spaziert werden soll. Denn Sarah Kuttner hat mal wieder ein Buch geschrieben, das will ausgiebig besprochen werden und hier ist Platz, hier ist Zeit, hier wird noch ordentlich spaziert.
Dort, wo der Dora-Benjamin-Park in den Uferweg an der Spree münden sollte, schließt allerdings gerade ein Bauarbeiter den Bauzaun ab. „Mist, hier kommt man ja gar nicht weiter“, ruft Kuttner schon aus 20 Metern Entfernung. Dann eben einmal rum um die fast fertige nächste Neubaureihe und bei der nächsten Gelegenheit runter zum Wasser. Sie kommt alle paar Wochen her, doch „das verändert sich rasend schnell“, sagt Kutter, als sie im Profitempo loshechtet und -plappert.
"Ich neige zum Helikoptern"
Der mitgebrachte Hund kackt gleich munter drauflos. Sie hat den älteren der beiden gewählt, Jack Russell, etwa 13, der, dessen Name nicht genannt werden darf. „Das ist der Rest Privatsphäre, den ich ihm gönne“, sagt Kuttner, die inzwischen gar nicht mehr weiß, warum eigentlich. Die neue Hündin, Penny – bei Zweitgeborenen ist man nachlässiger –, ein Jahr alt, sei gerade „hart pubertierend“, weshalb Kuttner sie lieber zu Hause gelassen hat, „ich neige zum Helikoptern“, sagt sie, „dann unterhält es sich schlecht.“
Bekannt wie, ähm, bunte Hunde sind die beiden, ob mit oder ohne Namen, sie sind das wenige Private, das Kuttner überhaupt von sich preisgibt in sozialen Netzwerken, obwohl sie ständig online ist. „Das ist der Trick“, sagt sie grinsend und holt eine Rolle Kacketüten aus ihrer Manteltasche. „Irrelevantes Privates, aber davon sehr viel.“ 353 000 Follower bei Twitter, 150 000 Likes bei Facebook, 42 000 Abonnenten bei Instagram erreicht sie damit. Praktisch, wenn man neben all dem Unsinn, der ihr den ganzen Tag so einfällt, ein Buch promoten will.
Rauf auf den Friedhof, rein ins Thema. „Kurt“ heißt ihr vierter Roman, der als plätschernde Patchworkgeschichte im gewohnten Kuttner-Stil beginnt: Ich-Erzählerin mit Allerweltsnamen (diesmal Lena), die der Autorin ziemlich ähnlich scheint in Lebensphase und Lustigkeit.
Und dann fällt Kurt vom Klettergerüst.
Kuttner hat einen Deal mit sich selbst: nur noch E-Zigaretten kaufen, den Rest zusammenschnorren
Die Nüchternheit, mit der sie danach Brandenburger Bestattungsvorschriften beschreibt, ist ebenso schwer zu ertragen wie überhaupt alles, was da noch kommen kann und muss. Wie kann man so was schreiben, ohne Kind und Todesfall?
Ach, sagt sie, Todesfälle gebe es ja zuletzt genügend, ist vielleicht das Alter, „vielleicht fängt jetzt das Sterben an“.
Gleich da vorn, sagt sie und deutet in eine vage Richtung auf dem Friedhof, liege eine gute Freundin. „Auch deswegen komme ich gern zum Spazieren hierher.“ Kurz Tach sagen, den Hund pinkeln lassen, seine Art, „Hallo“ zu sagen. Sie setzt sich auf eine Bank am Wasser. „Dieser Ort ist so unfassbar schön“, sagt sie, „hier möchte ich wirklich gern begraben werden.“ Hanglage, keine Tannen, Blick aufs Wasser. „Natürlich weiß ich, dass man nirgendwohin sieht, wenn man tot ist, aber die Vorstellung ist doch schön.“
Sarah Kuttner an ihrer zukünftigen Grabstelle, auch eine schöne Bildunterschrift, sagt sie, wie um diese plötzliche Ernsthaftigkeit zu durchbrechen. Und dann: „Schmeißt du noch mal ’ne Runde Kippen?“ Sie hat neuerdings den Deal mit sich selbst: nur noch E-Zigaretten kaufen, den Rest zusammenschnorren.
Wo ruft man an, wenn man ein Grab buchen möchte?
Müsste sie sich wirklich mal drum kümmern, um die Grabstelle, sagt sie filterzigarettenrauchend – aber: Wo ruft man an, wenn man ein Grab buchen möchte? Ihr Ex-Freund ist Bestatter geworden, weshalb sie nun alles weiß über Wiesen-, Baum- und Urnenbestattung, anonym oder nicht.
Der kleine Kurt ist an einem Baum begraben, eine Buche im Friedwald Mühlenbecker Land.
Dass das Kind stirbt, sei irgendwie so passiert, sagt sie dann. Der erste, unbeschwerte Teil war lange fertig, aber sie wusste nicht weiter: „Ich habe kein Kind, auch kein Patchwork-Kind. Wenn ich ein ganzes Buch über dieses Thema schreiben wollte, sollte ich ein bisschen mehr Ahnung haben.“ Depression, Erwachsenwerden, Verarbeiten der Elternbeziehungen, in zehn Jahren und vier Romanen hat sie einiges durch. Immer sind es Themen, die sie selbst bewegen, im Freundeskreis passiert sind, „ich bin sehr schlecht im Ausdenken“, sagt sie. Es sind die Alltagsdinge, die sie in ihren Büchern verarbeitet, die Musik, die Kindheitserinnerungen, die Oma in der Schorfheide, der Grapefruitlöffel im harten Eis. „Da steckt schon sehr viel von mir drin“, sagt Kuttner. „Nur nicht die relevanten Sachen.“ Nicht Männer, Liebe und Traurigkeit und tote Kinder.
Jeden Sonntag geht Kuttner mit Stefan Niggemeier spazieren
„Moment, ist das Manfred Bofinger?“, ruft sie plötzlich. Genau gegenüber der Bank, auf der sie sitzt, liegt er, der Grafiker, Karikaturist, Cartoonist, verstorben am 8. Januar 2006, den schlichten Grabstein ziert eine Strichzeichnung mit Bart und Brille. „Ach, guck mal, die Bank heißt Bofi-Bank. Familie Bofi hat ’ne Bank gebaut, wie toll ist das denn bitte?!“ Noch ein Grund mehr für die Hanglage in bester Gesellschaft.
Der Hund beginnt Erde zu fressen, „weil dir langweilig ist, was? Los, wir müssen weiter“. Runter vom Friedhof, einmal an der Straße entlang. Wieder alles voller Neubauten. „Ja, schön ist das nicht“, sagt Kuttner. Etwa 3000 Leute wohnen auf Stralau auf gut einem Quadratkilometer, hat ein bisschen was von Bettenburgen auf Fuerteventura. Wasserlage ist auch bei Lebenden sehr beliebt.
Hier endet die Buslinie 104, Endstation Tunnelstraße, die Idylle ist komplett. Hier geht der Uferweg in einen kleinen Park über, schöner wird Berlin nicht, und voll ist es trotzdem nie, auch nicht am Freitagnachmittag bei Sonne. Mit Stefan Niggemeier geht sie jeden Sonntag spazieren, hier oder im Volkspark Friedrichshain, „mit allen 800 Hunden“. Seit zwei Jahren moderieren sie den Podcast „Das kleine Fernsehballett“, in dem sie über Serien und Sendungen sprechen. Kriegen sie Geld fürs Fernsehgucken, hatten sie gedacht, und nicht bedacht, dass Fernsehen, auch das dümmste Unterhaltungsprogramm, seither irgendwie Arbeit ist.
Vor fünf Jahren hat sie sich ein Wochenendhaus in Oranienburg gekauft
Aber für Ruhe ist Sarah Kuttner eh nicht so zu haben. Vor fünf Jahren hat sie sich ein Wochenendhaus gekauft in der Nähe von Oranienburg, wo gestern Abend ihre lange Leserreise beginnen sollte. Weil dort eben auch das Kurt-Patchwork-Häuschen steht. „Der Garten macht mich unfassbar glücklich“, sagt sie, ihre Art der Entspannung: Sachen wegschaffen. Häkchen machen an eine Liste, die nie zu Ende ist. Wie ihre Protagonistin schleppt Kuttner Rhododendren, googelt, wie man Rosen schneidet, werkelt und baut, kommt niemals zur Ruhe, obwohl sie doch eigentlich auf der Decke liegen und Klatschzeitschriften lesen wollte. „Ich bin so ungeduldig und habe nicht den Nerv, Sachen gut zu machen“, sagt sie. Schnell und okay, das kann sie.
Karrieremäßig könnte man sagen: ziemlich schnell und ziemlich okay.
Dass Kuttner nicht die „TV-Frau der Zukunft“ geworden ist, als die sie vor fast 20 Jahren gehandelt wurde, liegt vermutlich zu gleichen Teilen am fehlenden Mut der Fernsehmacher und ihr selbst. „Ich glaube nicht, dass ich je eine Riesenshow auf einem Riesensender haben werde“, hat sie schon 2004 gesagt. „Ich bin den Leuten zu anstrengend.“ Heute sagt sie: „Ich bin eben auch recht speziell, nichts für die große Quote, nichts für den breiten Geschmack.“ Und sie macht nur Sachen, die ihr passen.
Sie bestellt immer Latte macchiato ohne Schaum
Die „Schaumlöfflerin“ sollte sie vor ein paar Jahren werden, großer Kaffeehersteller, großes Ding. Aber geht das denn? Sie, die immer Latte macchiato ohne Schaum bestellt, weil sie den geschmacklosen Fluff obendrauf hasst, weil sie das Ding bis obenhin voll mit Milch haben will? „Ich glaube, dass man da nicht der Schaumlöffler sein sollte.“ Die Schaumlöfflerin wurde dann Barbara Schöneberger, die bekanntlich öffentlich-rechtlich alles wegmoderiert. Kuttner bleibt bei ihrer Kaffeesahne und hat zwei Konzepte in der Schublade, „aber ich bin auch so ziemlich zufrieden mit meinem Leben, weniger Fernsehen bricht mir nicht die Beine“.
„Kaffee oder Glühwein gegen Spende“, ruft es plötzlich hinter der Kurve hervor, dort, wo der Weg vom Kap wieder ins Wohngebiet führt. Da steht auf einmal ein Typ mit einem Lastenrad, darin zwei riesige Kaffeekannen. „Soja- oder Hafermilch?“ Sag noch mal einer was über Stralaus Infrastruktur. Kuttner gibt ihm fünf Euro und dem Hund mit dem Namen Tofu ein Leckerli. „Ist da Getreide drin?“, fragt der Typ, sie antwortet: „Natürlich nicht! Das ist so Fancy-Zeug, nur Fleisch.“ Kommt morgen wieder, ruft er noch im Weiterfahren, „dann hab ich auch Bio-Kinderkakao im Angebot für die ganzen Muddis hier.“ Und weg ist er schon. Kuttner sieht ihm hinterher, „wie cool ist der Typ denn bitte? Der kleinste Kaffeestand der Welt.“
"Ich bin schon auf Krawall"
Letzte Kurve, der Weg führt auf einen trostlosen Platz, eingerahmt von Beton der älteren Generation. Zumindest ist hier mal etwas Leben auf der Insel: Kita Kinderhafen Spreeräuber, Frisierstübchen Stralauer Nixe, das maritime Motto wird ausgereizt. Und endlich: Die Backnixe scheint eine Pipi-Möglichkeit zu eröffnen nach all dem Kaffee, und mit der Kuttner kann man ja schließlich nicht an den nächstbesten Baum pinkeln. Mooooment, sagt sie, die vor ein paar Jahren mit einem Tweet über pinkelnde Kinder einige Aufregung verursacht hat, „das bezog sich auf fünfjährige Kinder, die von ihren Prenzlauer-Berg-Eltern an Bäume vor Cafés abgehalten werden“, sagt sie.
„Das hier wäre doch eine Notsituation!“ Die Heftigkeit der Reaktionen überrascht sie immer noch, nach all den Social-Media-Jahren. „Die Leute lesen gar nicht mehr, um zu gucken, was wirklich gesagt wurde, sondern fühlen sich an einem Punkt berührt, an dem sie schon oft berührt wurden, obwohl ich was ganz anderes gesagt habe.“
Kuttner drückt die Glastür zum Backshop auf, ein kleiner Laden mit Regalen voller Spaghetti und Zeitschriften. Die müssen Toiletten anbieten, wenn sie Sitzplätze haben, murmelt sie leise und grüßt dann sehr freundlich. Bieten sie, Glück für uns, Glück für die Backnixe. „Ich war schon wieder kurz davor, rumzupöbeln: Rein rechtlich müssen Sie aber, dädädäd … So jemand bin ich! Es ist furchtbar“, sagt sie später. Sie neigt dazu, Leute immer direkt auf ihre Fehler hinzuweisen. „Ich bin schon auf Krawall. Ich arbeite nur daran, weil ich es gerne nicht wäre. Diese Direktheit, die alle immer so toll finden an mir, ist eigentlich echt nervig und anstrengend.“
Geschäft erledigt, jetzt aber schnell zum pubertierenden Hund nach Hause. Am Ende der letzten Townhouse-Reihe steht ihr kleiner schwarzer VW. „Der Hund müsste aber angeleint sein“, murmelt ein vorbeikommender Passant. Sie hört es zum Glück nicht.
„Kurt“, 240 Seiten, S. Fischer, 20 Euro. Kuttner liest daraus am Donnerstag, 14. März, 20 Uhr im Pfefferberg Theater, Schönhauser Allee 176, Prenzlauer Berg.
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