Mieten in Berlin: Kaum noch Billigwohnungen mit Minimalstandard
Vor zwei Jahren gab es noch 140.000 Wohnungen ohne Küche oder Bad: mit "Substandard" dafür billig. Der neue Mietspiegel enthält nur noch 24.000 davon.
Über die Ziellinie sind sie schon rüber, trotzdem sammeln die Initiatoren des Mietenvolksentscheids weiter unermüdlich Stimmen: „Je mehr wir haben, desto stärker das politische Signal“, sagt Sprecher Rouzbeh Taheri. 20.000 gültige Stimmen brauchen sie, 28.000 hatten sie bereits Anfang voriger Woche, aber erst am 1. Juni reichen sie dann stellvertretend für ganz sicher weit mehr als 30.000 Berliner ihren Antrag für ein Volksbegehren zur Neuausrichtung von Berlins Wohnungspolitik beim Landeswahlleiter ein.
Vom neuen Mietspiegel fühlen sie sich bestärkt. Dieser zeige, „dass die Mieten weiter steigen und zwar stärker als die Reallöhne“, sagt Taheri. Die Übersicht darüber, wer alles wo Unterschriften sammelt, hat er verloren. Gut so, findet er, denn der Mietenvolksentscheid hat sich verselbstständigt: Unterschriftenlisten kursieren, von der Wohnungsnot Betroffene sammeln in der Nachbarschaft und in der Familie. Der Mieterverein druckte eine Unterschriftenliste in seinem Magazin. Das gibt der Initiative Auftrieb, mehr noch als die etwa 15 Stände, die an Wochenenden in der Stadt verteilt sind.
Inititative wird positiv aufgenommen
Am gestrigen Dienstag war Taheri bei der Linkspartei im Bundestag. Mit den Grünen und den Piraten hat er auch schon diskutiert. „Überall wird wird unsere Initiative positiv aufgenommen“, sagt er. Nur die Regierungsfraktionen kommen nicht aus der Deckung: CDU und SPD ahnen vermutlich, dass sich da etwas zusammenbraut. Aber die Initiatoren des Mietenvolksentscheids haben ohnehin Zeit: „Konkrete Verhandlungen machen vor Abschluss der ersten Stufe ohnehin keinen Sinn“. Deshalb setzen sie sich vorerst auch nicht mit den Korrekturen auseinander, die unter Grünen angeregt wurden, damit sich deren Berliner Fraktion hinter den Volksentscheid stellt.
Dass einige den gemäßigten Anstieg der Durchschnittsmiete im Mietspiegel bereits als Erfolg feiern, kann Stadtsoziologe Andrej Holm so gar nicht nachvollziehen: „Das waren wieder 30 Cent – so wie beim letzten Mal.“ Und wichtiger noch als der Durchschnittswert sei die Nachricht, dass „sich die Zahl der Wohnungen mit Substandard drastisch reduziert hat“. Das sind Wohnungen mit Kohleheizung, ohne Küche oder Bad, die deshalb zu minimalen Mieten vergeben werden.
Berliner ziehen kaum noch um
Bis zum Mietspiegel aus dem Jahr 2011 gab es so viele davon, dass sie eine eigene Spalte in der Preistabelle hatten. Vor zwei Jahren habe es noch 140.000 dieser Billigwohnungen gegeben – „jetzt zählt der Mietspiegel nur noch 24.000 in dieser Kategorie“, sagt Holm.
In Berlin wird eben viel saniert und investiert, seit Wohnhäuser als lukrative Kapitalanlage gelten. Schlecht ist das für das Viertel der Berliner, die von Armut bedroht sind und keine Chance mehr haben, eine Wohnung auf dem freien Markt zu bezahlen. Zumal auch das ein neuer Trend ist: Die Berliner ziehen kaum noch um, weil sie am Markt keine günstigen Mietwohnungen mehr finden. Einen „erzwungenen Mobilitätsstreik“ nennt das Holm, eine Art kollektive Verteidigungsstrategie gegen die steigenden Mieten.