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Essen steht auf einem Tisch der Einrichtung der Kältehilfe in der Seestraße.
© Maurizio Gambarini/dpa

Schlafmöglichkeiten für Obdachlose: Kältehilfe will weniger Plätze anbieten

Seit 30 Jahren gibt es inzwischen die Kältehilfe in Berlin. Die Verbände stellen ihr Programm für diesen Winter vor und plädieren für mehr Wohnungen.

Der kleine Altar mit den beiden weißen Kerzen steht direkt hinter der Glasfront. Die Scheibe trennt den Vorraum vom langgezogenen Mittelschiff der Tabor-Kirche. Den Altar trägt Pfarrer Stefan Matthias im Winter in den Vorraum, in dem jetzt ein Sofa und ein schwarzes Klavier platziert sind. Hier wird in der kalten Jahreszeit Gottesdienst gefeiert, der Pfarrer muss dann nicht die ganze Kirche heizen. Vor allem aber hat der Vorraum, das sogenannte Taborium, eine Fußbodenheizung, das ist ganz wichtig.

Vom 15. Oktober an übernachten auf dem Boden des Taboriums rund 40 Obdachlose auf dünnen Matten und unter farbigen Decken. Jeden Dienstagabend öffnet die Kirche in Kreuzberg dann für Menschen, die sonst kein Dach über dem Kopf haben. Sie erhalten dort eine Suppe, Frühstück und viel menschliche Wärme.

Die 40 Plätze gehören zu den rund 1150 Plätzen, die die Kältehilfe seit 1. Oktober anbietet. Im Taborium haben Vertreter der Kältehilfe am Dienstag ihr Angebot für diesen Winter vorgestellt. Die Kältehilfe arbeitet bis 30. April 2020, täglich erreichbar von 19 bis 23 Uhr per Telefon (030-810560425) und per E-Mail (kaeltehilfe-berlin@gebewo.de).

Seit 30 Jahren gibt es die Kältehilfe, sie ist von Jahr zu Jahr ausgebaut worden. 2009/2010 gab es noch 534 Notübernachtungsplätze, bis zum Winter 2017/2018 war die Zahl auf 1033 hochgeschnellt, aufgeteilt auf 28 Notübernachtungseinrichtungen und 15 Nachtcafés. Und jetzt noch mal rund 100 Plätze mehr.

Die Senats-Sozialverwaltung engagiert sich enorm in der Frage der Obdachlosenbetreuung, aber organisiert wird die Kältehilfe von verschiedenen sozialen Trägern. Der Caritasverband für das Erzbistum Berlin gehört dazu. Und Caritas-Direktorin Ulrike Kostka verkündete die eigentliche Botschaft dieser Träger: „Die rasante Ausweitung der Kältehilfe muss ein Ende haben.“

Das eigentliche Problem ist aus Kostkas Sicht der Wohnungsmangel

Weniger Kältehilfe? Wirklich? Genau, so lautet das Ziel von Kostka, aber auch von Barbara Eschen, Direktorin der Diakonie Berlin-Brandenburg, und Oliver Bürgel, Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Berlin. Sie saßen neben Kostka, und sie alle hielten leidenschaftliche Plädoyers für eine Eindämmung der Kältehilfe. Barbara Eschen sagte sogar: „Die Hälfte der Plätze, also rund 500, müssten eigentlich reichen.“

Hinter diesen Sätzen steckt die ganze seelische Qual der Verbands-Verantwortlichen. Das eigentliche Problem aus ihrer Sicht ist der Wohnungsmangel. „Wenn wir die Kältehilfe weiter ausbauen, verlagern wir das Problem nur“, sagt Ulrike Kostka. „Notübernachtungen sind keine Wohnungen.“

Und ein Ausbau der Kältehilfe hätte Alibi-Charakter. „Dann könnte man sagen, wir haben ja eine gute Kältehilfe, also haben wir das Problem im Griff.“ Aus Sicht von Barbara Eschen müsste die entscheidende Frage lauten: „Weshalb gelingt es nicht, die Zahl der Plätze in der Kältehilfe zu halbieren?“.

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Weil Mieten so hoch sind, fordert Barbara Eschen: „Man sollte sofort preisgünstige Wohnungen für Wohnungslose zur Verfügung stellen. Und man sollte die ganzjährigen Notübernachtungsplätze – als äußerte Nothilfe – mit ordentlichen personellen und räumlichen Standards sowie sozialer Bearbeitung vor Ort ausbauen und im Gegenzug die Kälftehilfeangebote zurückfahren.“ Ulrike Kostka will mehr Wohnungen mit preisgünstigen Mieten auf öffentlichem Grund.

Doch ausgerechnet beim Stichwort Mietendeckel reagiert sie kühl. „Hier fällt die Politik in Aktionismus. Da soll etwas schnell durchgepeitscht werden, für das man sich lieber Zeit nehmen sollte.“ Man sollte mal an Vermieter denken, die nur eine Wohnung oder zumindest wenige Unterkünfte anbieten. „Vermieter fragen sich: Kann ich mir eine Vermietung überhaupt erlauben?“ Am Ende, lautet die Befürchtung der Caritas-Direktorin, könnte noch weniger Wohnraum entstehen, und dann wären vor allem jene Menschen betroffen, für die sich Kostka und ihre Kollegen so sehr einsetzen: die Obdachlosen.

Zum Beispiel jener Mann, der am Dienstagmittag eingehüllt in einen Schlafsack auf einer Parkbank vor der Taborkirche schläft. Ab 15. Oktober kann er jeden Dienstagabend ein paar Meter gehen. In die räumliche Wärme der Taborkirche und zur menschlichen Wärme von Pfarrer Matthias’ fürsorglichen Worten.

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