Berlins FDP-Chef zur Wohnungspolitik: „Jeder muss ein Stück Freiraum abgeben”
Mietendeckel und Enteignungen schaffen keine neuen Wohnungen, meint Christoph Meyer. Doch schnelleres Bauen sei möglich. Ein Gastbeitrag.
Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen - jedenfalls sagt man so. Seit Jahren steigen die Mieten in der Stadt, 200.000 Wohnungen fehlen, seit zehn Jahren lebt Berlin die Ausnahme. Wissen Sie noch, wann Berlins SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit den berühmten Spruch gebracht hat, dass Berlin arm, aber sexy sei? 2003 war das. Wowereit hatte Recht. Denn schon damals entschieden viele tausende Menschen, dass Berlin ihre neue Heimat sein soll. Die Stadtpolitik hat sich dem Boom leider nicht angepasst.
Wir können die Mieten deckeln, Mietpreisbremsen einziehen oder die alte Ostplatte dem freien Markt entziehen. Das bringt allerdings nicht eine neue Wohnung für die Stadt. Aber was wird aus denen, die nach Berlin kommen wollen? Wollen wir denen sagen, dass kein Platz mehr für sie ist? Diese Menschen haben ein Recht, ihren Wohnort frei zu wählen und wenn sie die Möglichkeiten haben, werden sie versuchen, eine Wohnung in der Stadt zu bekommen. Das ist der einzige Grund, warum die Mieten in der Stadt steigen. Es fehlen 200.000 Wohnungen in der Stadt, und Rot-Rot-Grün im Senat, aber auch in den Bezirken fantasieren sie über Enteignungen. Die wiederum sind teuer, schaffen keine neue Wohnung und sie sind vor allem rechtswidrig.
Sozial ist der Mietenmarkt, wenn für jeden Geldbeutel was zu haben ist
Sozial wäre der Mietenmarkt sodann, wenn für jeden Geldbeutel was dabei wäre. Dachgeschoss am Potsdamer Platz, Drei-Zimmer-Altbau in Steglitz, Neubau-Parterre in Tempelhof. Die Frage ist, wie wir das erreichen und ob wir anerkennen können, dass sich Gesellschaft und Berlin verändert. Bis in die späten 1980er Jahre hinein war Kreuzberg alles andere als attraktiv. Junge Familien zog es weg, sie bauten in Rudow, nur um diesem Bezirk zu entkommen. Heute ist das anders. Die Fragestellungen sind heute also andere: Wenn aber selbst Burkard Dregger von der Berliner CDU zwei Anläufe benötigt, um zu verstehen, dass die geplanten Enteignungen vor allem eines, nämlich verfassungswidrig, sind, dann steuern wir auf einen gefährlichen Mentalitätswechsel zu, der den sozialen Frieden in der Stadt und die Grundlagen unseres volkswirtschaftlichen Wohlstand gefährdet.
Wo der Anfang gemacht ist, sind weitere Sozialisierungspläne auch nicht weit. Der rot-rot-grüne Senat schafft es einfach nicht, das Problem zu lösen. Anstatt den Neubau in der Stadt anzukurbeln, hießen die Maßnahmen Mietpreisbremse und Milieuschutzgebiete. Die Berliner Landesregierung versucht, den Ist-Zustand aufrechtzuerhalten. Für einige wenige Mieter werden die Preise auf absehbare Zeit vielleicht stabil gehalten. Aber die Bausubstanz leidet und für die anderen verschärft sich der Wettbewerb um eine Bleibe umso mehr. Googeln Sie mal den Fotografen Harald Hauswald und schauen sich an, wie der Ostteil in den 90ern aussah: heruntergekommene Häuser, Klo auf halber Treppe, Kohleöfen.
Wohnungsneubau geht nicht ohne die großen Freiflächen der Stadt
Das Gute ist, es gibt andere und bessere Lösungen: Dafür braucht es allerdings den Mut, an allen zur Verfügung stehenden Stellschrauben zu drehen. Denn es gibt nicht die eine Lösung, die den Wohnungsengpass in der Stadt auf einen Schlag löst.
Schon heute müssen wir über die großen Brachflächen der Stadt sprechen. Dabei geht es um viel, mitunter auch um Opfer, die Berliner bringen müssen: Das Tempelhofer Feld und die Elisabeth-Aue in Pankow stehen für die vielen ungenutzten Brachflächen in der Stadt. Aber auch die vielen Kleingarten-Areale gehören auf den Prüfstand.
Dort, wo Menschen heute die Freiheit ihrer Lebensart bedroht sehen, geht es nur über Dialog. Dabei geht es nicht darum, die genannten Flächen komplett zuzubauen, sondern behutsam bestimmte Teilareale für den Wohnungsneubau freizumachen. Damit das mit den dringend benötigten Wohnungen in der Stadt auch wirklich klappt, muss also jeder ein Stück abgeben. Hören wir auf, einige wenige zu bevorzugen, wenn wir die Situation für alle Berliner verbessern können.
Dazu müssen auch insbesondere die Grünen Politiker mit der Mär der Kaltluftschneise aufhören. Denn immer dann, wenn in dieser Stadt gebaut werden soll, könnte es sich um eine Kaltluftschneise handeln. Eine Brache macht noch keine kalte Luft. Der Grunewald, der Tegeler Forst oder der Tiergarten – das sind Berlins Kaltluftschneisen. Durch die Verdunstung von Blättern und Gehölzen kühlt sich die Luft beim Passieren ab. Zählen Sie doch einfach mal den Baumbestand auf dem Tempelhofer Feld. Unbestritten ist, dass ein bestimmter Teil des alten Flughafenareals wichtig für das Stadtklima und die Luftzirkulation ist. Deshalb geht es in der gesamten Debatte ausschließlich um eine behutsame Randbebauung, damit die Stadt weiter atmen kann. Neue Parks könnten und sollen trotzdem in der Stadt entstehen. Unter anderem könnten Verkehrsflächen überbaut werden – etwa die von uns vorgeschlagenen Überdeckelung von Teilen des Stadtrings.
Die Überdeckelung von Teilen des Stadtrings kann Baufläche bringen
Dazu kann Berlin künftig sprichwörtlich über sich hinauswachsen: Mitte muss nicht aussehen wie Manhattan, der Prenzelberg nicht wie Paris. Aber allein dadurch, dass wir ein zusätzliches Stockwerk in der Innenstadt ermöglichen, könnte das schon für die angesprochenen 200.000 Wohnungen reichen. Dafür müssen wir darüber nachdenken, ob wir die Traufhöhe auflösen. Damit diese Idee ihre volle Wirkung entfaltet, könnte man ein Programm aufsetzen, das eine fünfjährige Privilegierung von Aufstockungen in Ausnahmen oder gar die Errichtung von Ersatzbauten vorsieht. Konkret hieße das: Das erste Stockwerk wird auf Antrag zugelassen und in Ausnahmefällen können sogar zwei genehmigt werden. Gibt die Statik das nicht her, kann auch anstelle der Aufstockungen ein Ersatzbau errichtet werden.
Wer sehenden Auges durch die Stadt geht, erspäht immer wieder Baulücken oder Nachverdichtungsmöglichkeiten. Die Bezirke probieren sich im Klein-Klein. Eine Antwort: das digitale Baulückenkataster. Auf einen Klick wäre klar, wo in der Stadt noch Potentiale schlummern. Damit in der Stadt nachverdichtet und Baulücken systematisch geschlossen werden, braucht es eine Gesamtübersicht.
Es fehlt ein digitales Baulückenkataster
Städtebauliche Verträge machen Genehmigungsverfahren dazu willkürlich und langsam. Mit den individuellen Sonderabsprachen zwischen Bauherren, dem Land oder dem Bezirk wollen wir Schluss machen. Wir wollen einen einheitlichen Bebauungsplan, aus dem klar wird, was erfüllt werden muss, damit gebaut werden kann.
Doch damit nicht genug, auch Mietern könnte die Berliner Politik sofort unter die Arme greifen. Die Grundsteuer könnte für die kommenden fünf Jahre auf die Hälfte reduziert werden. Bauwillige könnten ferner in Höhe von bis zu 500.000 Euro von der Grunderwerbssteuer befreit werden. Berlin kann auch Zukunft. Deshalb machen wir uns auch für die Ausrichtung der Internationalen Bauausstellung (IBA) 2025 stark. Dieses Initial wird dabei helfen, neue Stadtquartiere zu ermöglichen und so zu einem schlüssigen Stadtentwicklungskonzept 2030 zu kommen, damit neue Arten des Bauens auch für Berlin gedacht werden.
Zu einem modernen Wohnungsbau in der Stadt gehört auch die Reform des Planungsrechts. Im alten Westteil der Stadt brüten Projektentwickler immer noch über dem Bebauungsplan aus dem Jahr 1961. Im alten Ost-Teil sind die Pläne kleinteiliges Stückwerk. Hier brauchen wir einheitliche Lösungen. Damit die Zeit bis zur Umsetzung nicht ungenutzt bleibt, könnten die bestehenden Regelungen vorerst außer Kraft gesetzt werden. Rechtlich wäre es dann möglich, bis zu 20 Prozent mehr Wohnfläche als bisher auszuweisen.
Standardbauten sind schneller genehmigungsfähig
Auch die Verwaltung täte übrigens gut daran, sich in Sachen Baurecht an Vorbildern zu orientieren. Eine Möglichkeit wären „faktische Typengenehmigungen“: Ähnliche Bauvorhaben werden schneller zugelassen. Das macht nicht nur den Standardwohnungsbau günstiger, sondern sorgt auch für ordentlich Tempo.
Wenn wir jetzt an der anderen Stellschraube drehen und den Mut aufbringen, dass wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren 200.000 wirklich zusätzliche Wohnungen in der Stadt bauen, anstatt nur darüber zu sprechen, dann entspannt sich auch der Berliner Mietenmarkt.
Berlin und Brandenburg müssen Potenziale gemeinsam erschließen
Auch könnte ein Blick über die Stadtgrenze hinaus lohnen. Berlin kann mit Brandenburg gemeinsame Sache machen und den Speckgürtel der Stadt mitdenken. Was sind die Wachstumsachsen an den Rändern der Stadt? Wenn ich die S1 in Oranienburg um eine Station oder einen Bahnhof erweitere, kommen die Menschen von dort auch schneller in die Stadt. Dort wiederum könnten neue Baupotentiale erschlossen werden.
In der ganzen Diskussion um Wohnraum in der Stadt geht es oft darum, was der Markt für Berlin tun kann und was er auf keinen Fall tun soll. Die Mietsteigerungen in Berlin werden oft damit erklärt, dass der Wohnungsmarkt in der Hauptstadt außer Rand und Band sei. Immer wieder fällt das Wort Mietenwahnsinn. Das stimmt so nicht. Der Markt funktioniert in Berlin geradezu mustergültig. Die Nachfrage wird knapp, die Preise steigen. Jeder Versuch, die Preise zu begrenzen, hat in der Vergangenheit weder zu mehr Wohnungen, noch zu niedrigeren Preisen geführt.
Neue Ideen sind gefragt, nicht Enteignungsfantasien
Zur Mietendiskussion gehört allerdings auch, dass das Mietpreisniveau in Berlin steigen musste. Das ist seit 20 Jahren klar. Ehrliche Politik sollten das den Menschen nicht verschweigen. Besonders Denkverbote oder rückwärtsgewandte Lösungsansätze werden den Mietendruck in der Stadt nur weiter erhöhen. Unsere Lösungen sind vielschichtig, sie sind konsequent und sie werden Druck aus dem Markt nehmen. Nicht neu ist der avisierte Volksentscheid, er hängt einer Idee aus der Geschichte nach, die gescheitert ist. Dass von Seiten der Linken nicht ehrlich argumentiert wird, verwundert an dieser Stelle weniger. Dass SPD und Grüne diesen Volksentscheid in großen Teilen mittragen, ist mehr als unanständig. Er ist verfassungswidrig und mit der Berliner FDP nicht zu machen.
Weitere Beiträge zur Debatte über die Wohnungsbaupolitik lesen Sie auf unserer Themenseite "Wohnen in Berlin".
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