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Verkehr der Zukunft? Bei der Fahrradsternfahrt kann man die Stadt ohne Auto ausprobieren.
© Jörg Carstensen/dpa

Ideen für eine weiblichere Verkehrswende: Je fahrradfreundlicher eine Stadt, desto mehr Frauen auf der Straße

Der klassische Radfahrer? Männlich, um die 30, kampferprobt. Ein Panel nur aus Frauen hat zum Thema Gender und Verkehrswende diskutiert.

Von Laura Hofmann

Die meisten Straßen werden von Männern geplant, viele Frauen sterben auf ihnen. Zwei Drittel der bei einem schweren Abbiegeunfällen mit schweren Lkw beteiligten Radfahrer waren laut einer Auswertung der GDV-Unfalldatenbank von 2017 Frauen, 40 Prozent von ihnen über 65 Jahre alt. Die meisten Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln werden von Frauen zurückgelegt, aber nur 22 Prozent der Mitarbeiter im ÖPNV sind EU-weit Frauen.

Ein Blick auf diese Zahlen zeigt, dass die soziale Rolle der Geschlechter, im Englischen als "Gender" bezeichnet, auch beim Thema Verkehr und Verkehrsplanung eine Rolle spielt.

Um die Visionen von Frauen für eine nachhaltige Mobilität ging es deshalb am Donnerstagabend im Felleshus in den Nordischen Botschaften in Berlin. Auf dem Podium: nur Frauen - ein sehr seltener Anblick. Der Stargast: Marianne Weinreich aus Kopenhagen, Managerin bei Ramboll, dem Unternehmen, das in Kopenhagen für etwa jeden zweiten Radweg verantwortlich ist und nun auch in Berlin für die Planung von sechs Radschnellverbindungen gewonnen wurde.

Noch sei der klassische Radfahrer in der Stadt männlich, in seinen Dreißigern und eine Art urbaner Kämpfer. "Nur mit Radwegen, auf denen sich alle sicher fühlen, bekommen wir massenhaft Menschen aufs Rad", sagt Weinreich.

In ihrer Heimat Dänemark fahren deutlich mehr Frauen Fahrrad als in Berlin. Woran das liegt? An einem Netzwerk von geschützten Radwegen zum Beispiel, sagt Weinreich. Sie weiß: "Frauen haben andere Bedürfnisse, Herausforderungen und Prioritäten im Verkehr." Deswegen gibt sie Jan Garrard von der Deakin University in Melbourne recht, der sagt: Frauen sind gute Indikatoren dafür, wie fahrradfreundlich Städte sind. Denn: Sie und ihre Kinder fahren Fahrrad, wenn das sicher ist.

Dann auch gerne in High Heels. "Ich fahre in Heels Fahrrad, denn das ist viel einfacher als darin zu laufen", sagt Weinreich, die ihre Stilettos mit goldenen Schnüren über roten Strümpfen trägt. Sie fordert: "Wir brauchen mehr Frauen in der Politik und in der Stadt-und Verkehrsplanung!"

Hate Speech beim Thema Radverkehr auf Twitter

Mit Regine Günther hat Berlin eine Frau als Verkehrssenatorin. Und eine, die sich traut, den Kampf für eine autofreie Stadt zu kämpfen - auch wenn sie damit beim Regierungspartner SPD aneckt. Eine andere dieser Frauen ist Antje Kapek. Sie ist sowohl Fraktionsvorsitzende der Grünen in Berlin als auch studierte Verkehrsplanerin. Und sie hat eine Vision: Eine Stadt, in der ihre 65-jährige niederländische Schwiegermutter mit ihrer fünfjährigen Tochter ganz ohne Angst von Kreuzberg nach Treptow-Köpenick radeln kann, währenddessen braust die Mutter Kapek, mit einem schicken Elektroroller durch die Stadt und macht mal was für sich.

Dass die Verkehrswende kommen muss, darin sind sich an diesem Abend alle einig. Denn Berlin wurde seit den 60er Jahren vor allem für Autos geplant. Die gemeinsamen Feinde: Die Auto-Liebhaber in Opposition und Regierung, die Verwaltung, die das Mobilitätsgesetz zu langsam umsetzt und einzelne Bezirke, die es am liebsten gar nicht umsetzen wollen.

"Das Mobilitätsgesetz ist seit einem Dreivierteljahr in Kraft und wir haben erst zweieinhalb fertige neue Radwege", ärgert sich Lara Eckstein vom ADFC Berlin. Dass alles zu langsam geht, auch darauf können sich an diesem Abend alle einigen, der politische Wille sei aber vorhanden, betont Kapek, die "sofort bereit" wäre, "in den harten Straßenkampf" zu ziehen.

Der findet in Berlin nicht nur auf der Straße, sondern auch im Netz statt. "Das grenzt beim Thema Radverkehr auf Twitter manchmal schon an Hate Speech", sagt Kapek. Viel Kritik muss dort auch Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) einstecken.

Doch die Zivilgesellschaft müsse auch Mut machen und den Verantwortlichen den Rücken stärken, findet Hille Becik, Architektin und Mit-Initiatorin des Radentscheids. Deswegen schlägt sie vor, einen Fanclub für Regine Günther zu gründen. Damit erntet sie ein paar Lacher, doch ihr ist es ernst. "Sobald es den ersten autofreien Kiez in Berlin gibt, bin ich dabei", schließt sich Eckstein vom ADFC an.

Die Architektin Bekic gibt zu bedenken: Frauen denken Mobilität für Menschen von 8-80 Jahren eher als Männer, weil sie häufiger Sorgearbeit für Kinder und alte Menschen leisten. Auch deshalb fehle die weibliche Perspektive in der Verkehrsplanung.

Eine der wenigen Frauen in einer Führungsposition im Bereich Verkehr ist neben der BVG-Chefin Sigrid Nikutta auch U-Bahn-Chefin Nicole Grummini. Sie gehört zu den Berlinerinnen, die sich eher nicht aufs Rad trauen und fährt daher mit ihrem eigenen Produkt: der U-Bahn. "Wir wissen, was wir anbieten", kann sie daher sagen. Und das ist "leider nicht immer schön".

Sie wünscht sich, dass die BVG noch umweltfreundlicher wird und es auch in den U-Bahnen Platz für Fahrräder gibt. "Aber dafür brauchen wir mehr Fahrzeuge und eine engere Taktung." Gut, dass die Politik "wie die Bescheuerten" (Kapek) in den ÖPNV investiert: 28 Milliarden Euro in den kommenden 15 Jahren.

Parken als Schlüssel zum Erfolg

Und die Autos? "Wir müssen ihnen den Platz wegnehmen", fordert Eckstein. Schließlich könne es nicht sein, dass eine Fläche von fast 3000 Fußballfeldern in Berlin von Pkw blockiert sei. "Es gibt Leute, die denken, es sei ein Menschenrecht, direkt vor ihren Haustüren zu parken."

Das Parken ist auch für Kapek der Schlüssel zum Erfolg. "Wer dauerhaft keinen Parkplatz findet und dafür richtig viel zahlen muss, steigt irgendwann auf andere Verkehrsmittel um", hofft sie. Und fordert: "Das Parken gehört privatisiert, nicht in den öffentlichen Raum."

Gegen Ende der Diskussion vergleicht Marianne Weinreich die Verkehrswende mit dem Rauchverbot: Am Anfang gab es einen Riesenaufschrei, heutzutage kann es sich keiner mehr ohne vorstellen. "Deshalb brauchen wir mutige Entscheidungen", folgert sie. "Manchmal muss man Menschen auch gegen ihren eigenen Wunsch glücklich machen."

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