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Angekommen. Italiens Migranten (hier beim Autokorso auf dem Ku'damm während der WM 2006) schätzen Berlins Lebensqualität.
© dpa

Migration: Italiener in Berlin: Prekär, aber glücklich

Berlin ist mit Abstand die deutsche Lieblingsstadt der neuen italienischen Auswanderer. Zwei Sozialwissenschaftler haben sich angesehen, wie sie hier leben.

Italien in Berlin, das war schon immer etwas Besonderes. Während italienische Migranten in Westdeutschland – die meisten waren Männer – den Arbeitskräftebedarf der Industrie deckten, wanderten sie ins westliche Berlin vor allem in Gastronomie und Handel ein. Und oft aus denselben Gründen, die junge Westdeutsche in die geteilte Stadt zog: größere Freiheit, die Faszination der Insel. Dem handfesteren Motiv junger Bundesbürger, dem Wehrdienst zu entgehen, entsprach bei manchen der italienischen Migranten die Notwendigkeit, sich der „bleiernen Zeit“ der Jahre nach 1968 zu entziehen.

26000 Berliner haben italienische Wurzeln

Einige Muster sind geblieben, haben die italienische Sozialwissenschaftlerin Edith Pichler und ihr Kollege Oliver Schmidt herausgefunden, als sie jetzt Italiens Berliner befragten, um mindestens Trends herauszufinden – für eine repräsentative Umfrage reichten die 148 Fragebögen nicht aus, die die Wissenschaftler von der Universität Potsdam im Auftrag von Comites auswerteten, der Vertretung der Auslandsitaliener. Der „Mythos Berlin“ (Pichler) lebt und er zieht, anders als in früheren Jahrzehnten, mehr Italienerinnen und Italiener an denn je: Wohnten Mitte der 1980er Jahre noch etwa 8000 von ihnen in Berlin, sind es inzwischen weit über doppelt und sogar gut dreimal so viele, wenn man auch die Berliner mit italienischem Migrationshintergrund einrechnet, die nicht selbst eingewandert sind - alles in allem mehr als 26.000 Menschen. Berlin ist  ihr bevorzugtes Ziel in Deutschland. Selbst in wirtschaftlich starken Regionen wie Hessen und Bayern wächst die italienische Bevölkerung dagegen nur wenig.

"Mobile Europäer, keine wandernden Ausländer"

„Lebensqualität“ gaben die meisten als Grund für ihre Übersiedlung nach Berlin an, mit weitem Abstand zu den Motiven – in dieser Reihenfolge - Familie, Arbeit und Studium. Am liebsten leben sie übrigens in Friedrichshain-Kreuzberg, die übrigen gut verteilt aufs ganze Stadtgebiet, bevorzugt in den Innenstadtbezirken. Ihre Beschäftigungsmuster ähneln den früheren. Wie die, die vor ihnen kamen, verdienen sich auch Berlins neue Italiener ihren Lebensunterhalt vor allem im Dienstleistungssektor, nicht zuletzt in Gastronomie und Handel, aber auch als Journalisten, Grafikdesigner oder im Kulturbetrieb.

Bau und Industrie, schreiben Pichler und Schmidt, sind praktisch „nicht relevant“, was mit der Struktur der Berliner Wirtschaft zu tun habe, aber auch einer insgesamt veränderten europäischen Migration, die andere Zuzügler fördere. Für diese „neue europäische Mobilität“ hat gerade das Wirtschaftsforschungsinstitut DIW Zahlen geliefert: Demnach lebten 2012 7,4 Millionen EU-Bürger außerhalb ihres Heimatlandes, rund 30 Prozent mehr als noch fünf Jahre zuvor. Man solle diese Migranten, schreiben Pichler und Schmidt, denn auch besser „nicht mehr als wandernde Ausländer“ betrachten, „sondern mehr als mobile EU-Bürger“.

Kreative Prekäre 

Und diese Mobilität könnte sie auch wieder weg aus ihrer Traumstadt führen. Obwohl die Mehrheit der Befragten sich als Berliner auf Dauer bezeichneten: Immerhin 80 Prozent gaben an, sie würden umziehen, wenn sich anderswo bessere Arbeitsmöglichkeiten böten. Das dürfte für gut gestellte Wissenschaftlerinnen, Architekten, Ingenieurinnen wohl ebenso zutreffen wie für die, die die Autoren als „kreative Prekäre“ bezeichnen: Die Mehrheit der Befragten arbeite und habe sogar Hochschulabschlüsse, aber: „Trotz besserer Ausbildung und höherem kulturellem Kapital“ schreiben Pichler und Schmidt, „verweisen nicht selten die Beschäftigungsverhältnisse der jungen italienischen Berliner/-innen auf prekäre Lebensbedingungen.“ Dafür spreche etwa, dass immer mehr von ihnen in Branchen mit hohem Niedriglohnanteil arbeiteten. Auch der große Anteil Selbstständiger verschleiere womöglich bei einigen ein Leben im Prekariat.

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