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Alles Pizza und Gelato. Das Klischee der fröhlichen italienischen Migranten macht blind für die Probleme, die auch sie und ihre Kinder in Deutschland haben.
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Integration: Kultur ist doch nicht alles

Gibt es gute und schlechte Migranten? Die Lage von Deutschlands Italienern zeigt, wie wenig Ethnie und Integration zusammenhängen.

Türken, Araber, Muslime sowieso sind Integrationsversager, Asiaten dagegen, fleißig und bildungsorientiert, sind Migranten de luxe: So will es ein populäres Klischee, das im zu Ende gehenden Jahr gleich mehrfach Konjunkturschübe bekam. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) verstieg sich zu Urteilen über erwünschte Einwanderer und solche „aus fremden Kulturen“. Und auch in Thilo Sarrazins Jahresbestseller lebt die Legende: „Die südeuropäischen Einwanderer“, heißt es da, „sind, soweit sie hierblieben, gut integriert.“

So oft wiederholt, so falsch. Dass Leistung und Anpassung sich nicht zwangsläufig in Integration ummünzen, davon können auch asiatische Migranten berichten. Und dass ausgerechnet der Deutschen Lieblingsausländer, die Italiener, die höchste Quote von Sonder- und Hauptschülern aufweisen, ist in Fachkreisen schon länger bekannt, wenn auch noch kaum erforscht. Eine Berliner Pilotstudie hat jetzt versucht, dem Phänomen auf den Grund zu gehen. Die italienische Politologin Edith Pichler von der Humboldt-Universität befragte dafür in den alten Bundesländern 22 junge Italienerinnen und Italiener zwischen 17 und 32 Jahren nach Ausbildung, Zukunftswünschen und der Geschichte ihrer Familien (Edith Pichler: Junge Italiener zwischen Inklusion und Exklusion. Eine Fallstudie. Berlin 2010).

Dabei zeigt das Kulturargument wieder einmal seine engen Grenzen. Viel entscheidender als die ethnische Herkunft ist auch in den untersuchten Fällen – die Autorin hat sie nach für die italienische Arbeitsmigration typischen Familienhintergründen ausgewählt – ihre soziale Herkunft. Obwohl alle Bildungsehrgeiz bekunden, hat es nur einer auf geradem Wege aufs Gymnasium geschafft. Seine Eltern sind beide Akademiker.

Andere junge Italiener mussten Umwege einlegen oder sind auf der Strecke geblieben. Dass sie ihre Wünsche nicht verwirklichen konnten, erklärt Pichler mit falschen Prognosen beim Übergang auf eine weiterführende Schule und der Tatsache, dass die Eltern Entscheidungen der Schule wie eine ausbleibende Gymnasialempfehlung häufiger hinnähmen.

Überhaupt, die Schule. Pichler meidet jede direkte Kritik, doch auch ihre Befragungen zeigen die Folgen des stark selektiven deutschen Schulsystems. Zwei ihrer Gesprächspartner besuchten bis zum 14. Lebensjahr Schulen in Italien, „sie erlebten also“, schreibt Pichler, „nicht bereits nach dem vierten Schuljahr eine Sortierung in höher- und minderwertige Schulformen“. Beide studieren heute.

Dass eingewanderte Schüler im deutschen Schulsystem besser abschneiden, wenn sie nicht nur hier zur Schule gingen, haben schon die Pisa-Studien belegt. Und Pichler vermutet im Gespräch mit dem Tagesspiegel, dass auch die dramatische Bildungsbilanz aus Italien stammender Schüler mit den bevorzugten Zuzugsgebieten der Gastarbeitergeneration zu tun hat, den Industrieregionen in Süddeutschland. Bayerns und Baden-Württembergs Schulsysteme gelten als besonders selektiv. Tatsächlich Italienisches komme womöglich dazu, eine Familienmentalität, die auffange, wenn die Schule zum Ort der Niederlagen werde: „Macht nichts, kannst ja bei Onkel Pippo arbeiten.“ Paradoxerweise arbeite das Italieneridyll der Deutschen in dieselbe Richtung: „Der Pizzabäcker ist weithin akzeptiert“, sagt Pichler.

Die Bilanz der Wissenschaftlerin ist dennoch gelassen. Nicht nur hat die Zahl der Gymnasiasten und Realschüler auch unter italienischen Jugendlichen in den vergangenen 20 Jahren zugenommen. „Ich wollte auch die große Normalität zeigen“, sagt Pichler. Viele der Bildungsbiografien in ihrem Buch durchliefen deutsche Kinder ganz genauso. „Da muss man nicht immer skandalisieren.“

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