Italienklischees: Damals faul, jetzt dolce vita
Positive Vorurteile sind auch nicht besser als negative – und können immer wieder andere treffen. Hier das Beispiel Italien anhand einer Tagung in Berlin.
Ihr Ruf ist schlecht, aber man braucht sie: Hätten wir keine Vorurteile, die die Kompliziertheit der Realität reduzieren, würde die uns jeden Tag überfordern. Heikel wird’s, wo Stereotype keine Tür mehr zur Wirklichkeit sind, sondern den Blick auf sie verstellen. Wie das funktioniert, führte eine Tagung der Freien Universität und des Italienischen Kulturinstituts in Berlin am liebsten Ethnoklischee der Deutschen ad absurdum: am Bild Italiens und der Italiener.
Es ist noch nicht lange her, da hatten die Italiener im deutschen Vorurteilsvorrat den Platz der Türken: arm, kriminell, rückständig. In München, so die Berliner Historikerin Olga Sparschuh, die über die süditalienische Migration nach Norditalien und nach Deutschland forscht, beschwerten sich Bürger über die „Balkanisierung“ ihres Hauptbahnhofs, des bevorzugten Treffpunkts der Italiener, die ab 1955 als erste systematisch als Arbeitsmigranten angeworben wurden. Man forderte Kurse, die den Südländern schon vor der Auswanderung Frauen gegenüber Benimm beibringen und sie informieren sollten, dass ihr Ehrbegriff nicht nach Deutschland passe, und die „Süddeutsche Zeitung“ titelte „Mit dem Messer schnell bei der Hand“ – obwohl die Kriminalitätsrate der Italiener in Deutschland um knapp zwei Drittel unter der gleichaltriger deutscher Männer lag. Weiter nördlich, im protestantisch geprägten Deutschland, daran erinnerte der Erfurter Migrationshistoriker Roberto Sala, war es ihre Religion, die die italienischen Migranten dem Verdacht kultureller Unterlegenheit und Rückständigkeit aussetzte. Die Katholiken traf damals also das gleiche Urteil wie Muslime heute.
Das Bild wandelte sich in den 80er Jahren – was, wie Patrick Bernhard in seinem Abriss einer Konsumgeschichte der „dolce vita“ zeigte, wenig mit den real existierenden Italienern und Deutschen zu tun hatte, aber viel mit der Welt, in der sie lebten. Der italienischen Luxusgüter- und Lebensmittelindustrie war es inzwischen gelungen, mithilfe von US-Know-how aufzuholen und italienische Nudeln, Öl, aber auch Schuhe, Kleider und Möbel konkurrenzfähig zu produzieren und weltweit zu vermarkten. Veränderte Produktionsmethoden in Italien trafen im Ausland, nicht nur in Deutschland, Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre auf Mediengesellschaften, in denen sich Images kreieren und durchsetzen ließen. Und auf gewandelte Werte: Was den Deutschen bis dato als typisch italienische Faulheit galt, hieß jetzt Lebensgenuss, „der Italiener“ mutierte zum Rollenmodell und parallel zum Mustermigranten.
Die Realität war und ist deutlich trister: Italiener gehören, nur knapp vor den Türken, auch 55 Jahre nach dem Anwerbevertrag noch zu den Drop-outs des selektierenden deutschen Bildungssystems – Berlin ausgenommen, wie die Politologin Edith Pichler von der HU berichtete. Das „Dolce-vita-Klischee“ hat nicht nur für ihre türkischen Image-Erben negative Folgen, denen man sie gern als Vorbilder hinstellt. Das rosarote Bild der fröhlich integrierten Italiener verhindert auch, dass man ihre Probleme wahrnimmt. Peter Graf, emeritierter Professor für interkulturelle Pädagogik, forderte daher, mehrsprachige Bildung zum festen Teil des deutschen Schulsystems zu machen.
Dass das positive Italienklischee dabei immer noch funktioniert wie das negative des Türken – Soziales wird ethnisch missverstanden – analysierte die „Zeit“-Korrespondentin Birgit Schönau am Beispiel des Bestellers „Maria, ihm schmeckt’s nicht“. Rosa Borten und Muschelbecken im Badezimmer seiner italienischen Schwiegereltern beschreibe der Autor Jan Weiler amüsiert als typisch italienisch. Dabei sei das schlicht die Wohnungseinrichtung in Milieus, die „mit Minimalismus nicht so viel anfangen“ könnten. Weilers Plot „Deutscher Bürgersohn heiratet italienische Gastarbeitertochter“ hätte auch mit „Hamburger Zahnarzttochter trifft Pfaffenhofener Friedhofsgärtnersohn“ funktioniert, sagt Schönau. „Aber es wäre kein Bestseller daraus geworden.“