Berliner Flughafen-Volksentscheid: Ist die Offenhaltung Tegels juristisch möglich?
Verfassungsrechtler Helge Sodan hat die Debatte um den rechtlichen Rahmen der Tegel-Schließung aufgemischt. Doch Gutachter Reiner Geulen und der Berliner Senat weisen die Kritik zurück.
Bei der Diskussionsrunde des Tagesspiegels in der Urania am Dienstagabend ging es lebhaft zu, Buhrufe und Pfiffe trafen die Diskutanten auf der Bühne ebenso wie Bravos und Applaus. Aber plötzlich wurde es still – und zwar, als der Staatsrechtsprofessor Helge Sodan gebeten wurde, die Rechtslage zu erläutern. Gefühlt ist zu dieser schon alles gesagt, doch fand Sodan noch neue Aspekte, die er in die Diskussion einbrachte.
Die Kündigung des Landesplanungsvertrags als Option
Zwar sehe die geltende Rechtslage die Schließung Tegels zwingend vor, doch man könnte ja zum Beispiel auch daran denken, den Landesplanungsvertrag zu kündigen. Das ist der Staatsvertrag mit Brandenburg, der die Rechtsgrundlage für die Landesentwicklungspläne bildet, die wiederum die Schließung Tegels binnen sechs Monaten nach BER-Eröffnung vorsehen.
Zugleich griff Sodan das Gutachten von Rechtsanwalt Reiner Geulen, der den Senat schon in den Planfeststellungsverfahren vertreten hat, an und kritisierte, es „glänze sicherlich nicht durch besondere fachliche Tiefe“. Er rückte Geulen in die politische Nähe des Senats und unterstellte dem Senat, Gutachten in Auftrag gegeben zu haben, die nicht ergebnisoffen waren.
Rechtsanwälte seien ja doch immer parteiisch. Der frühere OVG-Präsident Jürgen Kipp habe sich zudem selbst widersprochen, da er im Juli im Fernsehen das Gegenteil von dem behauptet habe, was in seinem Gutachten stehe. Sodan fragte, warum man nicht Gutachten bei anerkannten Wissenschaftlern bestellt habe, am besten außerhalb Berlins.
Senat und Geulen weisen Vorwürfe von sich
Auf Tagesspiegel-Nachfrage wies zunächst Rechtsanwalt Geulen die Unterstellung politischer Färbung zurück. Er sei in keiner Partei, sagte Geulen, Sodan hingegen sei in der CDU und auch durch diese unter Klaus Landowsky zum Vorsitzendes des Berliner Verfassungsgerichtshofes gemacht worden. Zum Rechtlichen sagte Geulen: „Der Vorschlag, den Landesplanungsvertrag zu kündigen, ist eine akademische Absurdität.“ Der Flughafen sei noch das Geringste, was darin geregelt sei. Es sei nicht überraschend, dass sich Sodan nicht trauen würde, so etwas schriftlich zu veröffentlichen, um es von Juristen diskutieren zu lassen.
Geulens Sozius Remo Klinger, der zuletzt auch an vielen relevanten Diskussionveranstaltungen zu Tegel teilnahm, beschrieb die Folgen einer solchen Kündigung konkreter: „Ein größeres Eigentor könnte Berlin nicht schießen, an diesem Vertrag hängen alle weiteren gemeinsamen Planungswerke“, so Klinger.
Es würden dann wieder Factory Outlets am Stadtrand möglich, die dem Berliner Handel die Kunden wegnähmen, und es dürften überall Wohnviertel ohne Verkehrsanbindung entstehen, deren Bewohner dann Berlins Zufahrtsstraßen verstopfen würden, um nur zwei Beispiele zu nennen. Diese Folgen habe Sodan sicher gar nicht bedacht. Außerdem betrage die Kündigungsfrist drei Jahre, es könne also erst zum 1. Januar 2022 überhaupt losgehen mit der Erneuerung der Rechtsgrundlagen; öffne der BER bis dahin, sei alles hinfällig. Dann könne man ja theoretisch auch über eine Teilkündigung nachdenken, entgegenete Sodan.
Auf die Frage, warum der Senat keine externen Gutachter beschäftigt habe, reagierte als erstes die Senatsverwaltung für Finanzen. „Wir fühlen uns mit dieser Kritik nicht angesprochen, da wir drei anerkannte Wissenschaftler beauftragt haben, von denen einer von der belgischen Universität Hasselt ist“, sagte Sprecherin Eva Henkel.
"Brandenburg wird Änderung der Landesplanung nicht zulassen"
Sie bezog sich damit auf das Gutachten von Thorsten Beckers und Florian Gizzi von der TU Berlin und Robert Malina von der Universität Hasselt zu den wirtschaftlichen Folgen einer Offenhaltung Tegels. Der Sprecher von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne), Sebastian Brux, wies die Kritik Sodans ebenfalls zurück.
„Für Rechtsanwalt Geulen war genau das einer von drei K.O.-Punkten, warum TXL keine Zukunft hat. Ein Änderungsverfahren der Landesplanung setzt die Zustimmung beider Landesparlamente voraus. Das Land Brandenburg hat mehrfach nachdrücklich erklärt, dass es einer Änderung der verbindlichen Landesplanung nicht zustimmen wird. Im Weiteren sei zu dieser Frage unser Gutachten empfohlen, das Herr Sodan offenbar nicht gelesen hat.“
Für die Senatsverwaltung für Justiz sei das Ergebnis einer juristischen Prüfung entscheidend. „Unser Gutachten war da klar: Rechtlich ist eine Offenhaltung von Tegel nicht möglich. Die Versuche, die eindeutige Rechtslage durch Meinungen von Luftverkehrsexperten auszublenden, zeigen die Unsachlichkeit der Debatte“, so Brux.
Wie der Senat mit einem „Ja“ beim Volksentscheid politisch umgehen wird, ist unklar. Bürgermeister Michael Müller (SPD) jedenfalls nannte es in der Diskussion „ein Geschenk für die Stadt“, ein so großes innerstädtisches Gelände mit Wohnungen, Büros, Schulen, Kitas und Geschäften entwickeln zu können.