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Die Kassenärztliche Vereinigung hat die Berliner um ein paar Tage Geduld gebeten. Doch das hält viele Menschen nicht davon ab, bei Arztpraxen anzufragen. Ein niedergelassener Arzt, der seine Praxis in Neukölln betreibt, berichtet, dass schon jetzt jeden Tag um die 200 E-Mails von Impfwilligen ankommen.
© Jens Büttner/dpa

Astrazeneca für alle?: Interessierte kommen in Berlin nur schwer an die Impfung

Der Senat hat den Astrazeneca-Impfstoff für alle Altersgruppen freigegeben. Doch in der Realität reichen die Vorräte dafür noch nicht.

Nachdem der Senat den Impfstoff Astrazeneca für alle Impfwilligen freigegeben hat, macht sich Enttäuschung breit. Denn es erweist sich offenbar als extrem schwierig, an einen Termin zu kommen. Wegen der knappen Reserven bekommen Interessierte von Praxen vor allem Absagen. Und die Mediziner reagieren zunehmend genervt auf die vielen Anfragen, die den Praxisbetrieb lahmlegen.

Der Präsident der Landesärztekammer, Peter Bobbert, sagte am Freitag im Rbb-Inforadio, dass die Vorräte noch nicht reichten, um jeden, der möchte, sofort zu impfen. „Und da wird natürlich dann immer ganz genau geschaut, wer ist insbesondere bedürftig, wer braucht diesen Impfstoff ganz besonders.“

Er plädierte dafür, alle vorhandenen Dosen zu nutzen – und somit keine für die Zweitimpfungen zurückzulegen. Es seien so viele Impfstofflieferungen angekündigt, dass die Gefahr nur sehr gering sei, dass es für die Zweitimpfung nicht reiche. Ein „Hauen und Stechen“ um Astrazeneca erwartet der Ärztekammer-Chef nicht.

Die Gesundheitsverwaltung von Senatorin Dilek Kalayci (SPD) hatte das britisch-schwedische Präparat am Donnerstag für alle Altersgruppen freigegeben – für die Unter-60-Jährigen wird es allerdings nicht explizit empfohlen. Die Praxen müssen sich für dieses Vakzin nun nicht mehr an die Priorisierung nach der Impfverordnung des Bundes halten, für die anderen Corona-Impfstoffe allerdings schon.

1500 Berliner Arztpraxen bieten Impfungen gegen Corona an

Thomas Isenberg, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD im Abgeordnetenhaus und Parteikollege von Kalayci, hatte die Senatorin für die generelle Freigabe des Astrazeneca-Mittels kritisiert: „Jetzt droht ein Hauen und Stechen, bei dem sich der Stärkste im Rennen um einen Impftermin durchsetzt.“

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV), zuständig für die niedergelassenen Mediziner, kündigte an, in einigen Tagen auf ihrer Internetpräsenz eine Übersicht jener Praxen zu veröffentlichen, die das Astrazeneca-Mittel verimpfen und noch nicht alle absehbar gelieferten Dosen verplant haben. Bislang bieten von den circa 7000 Arztpraxen in Berlin 1500 Sars-Cov-2-Impfungen an.

Die Kassenärzte teilten mit, dass Impfstoffe – auch Astrazeneca – bislang nur in knappen Chargen geliefert würden. Bis Mittwoch seien in Berlin von den niedergelassenen Ärzten rund 84.000 Dosen Biontech und rund 24.500 Dosen Astrazeneca verimpft worden.

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Der KV-Vorstand bittet die Berlinerinnen und Berliner um Geduld, „um die Praxen vor einem erhöhten Anfrageaufkommen der Patienten zu Astrazeneca“ zu schützen. Doch offenbar hält dieser Appell die Menschen nicht davon ab, massenhaft bei Arztpraxen anzufragen. Ein niedergelassener Arzt, der seine Praxis in Neukölln betreibt, berichtet, dass schon jetzt jeden Tag um die 200 E-Mails von Menschen kämen, die sich gern mit dem Impfstoff von Astrazeneca impfen lassen möchten. „Teilweise kommen die Leute sogar ohne Voranmeldung direkt zu uns und fragen nach“, sagt der Arzt. „Das blockiert den Praxisbetrieb.“

Nur noch 20.000 Astrazeneca-Dosen in Berlin vorhanden

Patienten, die Praxen anmailen, bekommen mittlerweile oft standardisierte Absagen, werden gebeten, sich in einigen Wochen wieder zu melden oder damit vertröstet, dass man sie auf eine Warteliste gesetzt habe. Das Thema Impfen – also das Management, das Impfen selbst wie auch der Umgang mit Impfwilligen, denen man keinen Impfstoff anbieten könne – beanspruche mittlerweile 80 bis 90 Prozent der Arbeitszeit des Neuköllner Arztes. „Das Irre daran ist, dass ich gar kein Astrazeneca zur Verfügung habe.“

Und damit dürfte er in Berlin nicht der einzige sein. Auf Anfrage des Tagesspiegel sagte ein Sprecher der Senatsgesundheitsverwaltung, dass die Berliner Impfpraxen derzeit noch einen Bestand von um die 20.000 Dosen Astrazeneca hätten – rein rechnerisch also rund 13 Dosen pro Berliner Praxis mit Corona-Impfangebot. Die Dosen sind aber offenbar ungleich verteilt.

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In der kommenden Woche wird es nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums vorübergehend keinen Astrazeneca-Nachschub für die Praxen geben, die nächsten Lieferungen werden in der ersten Maiwoche erwartet. Dafür sollen vorher mehr als zwei Millionen Dosen des Impfstoffs von Biontech/Pfizer kommen. „Damit können doppelt so viele Patientinnen und Patienten von den Hausärzten geimpft werden, wie in den drei Kalenderwochen zuvor“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums.

Doch das dürfte die Lage nicht entspannen. Denn Biontech ist in Berlin ausdrücklich nicht aus der Impfpriorisierung entlassen. Das heißt, dass die Ärzte den Impfstoff nur streng nach der Prioritätsliste verwenden dürfen. Zudem laufen die Biontech-Lieferungen zumindest derzeit auch nicht reibungslos. Eine Hausärztin mit Praxis in Steglitz-Zehlendorf berichtet, wie in dieser Woche die von ihr bestellten Dosen des Biontech-Pfizer-Impfstoffes immer weiter zusammenschnurrte. „Anfang der Woche wurde mir mitgeteilt, dass mir nur 24 der 48 bestellten Dosen geliefert werden können.“ Am Donnerstag habe sie dann erfahren, dass nur sechs Dosen zur Verfügung stünden. „Ich musste also 18 Patienten, die ihren Impftermin für den Freitag schon hatten, wieder absagen.“

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