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Bodo Wartke, Musiker und Kabarettist, an der Admiralbrücke in Berlin-Kreuzberg.
© Kitty Kleist-Heinrich

Kiezspaziergang durch Berlin: In Kreuzberg hat Bodo Wartke sein Bullerbü gefunden

Der Musikkabarettist lebt in Kreuzberg mit einem alten Mietvertrag und in einem Haus voller Klaviere. Hier gefällt es ihm besser als in Paris oder London.

Bodo Wartke reimt nicht, zumindest nicht „im richtigen Leben“, wie er sagt. „Das würde wahrscheinlich auch extrem nerven“, meint er und lacht. In seinem anderen, dem Bühnenleben, ist er genau dafür bekannt: Reime zu finden selbst auf Wörter, bei denen dies fast unmöglich scheint.

Der feine Regen, der an diesem grauen Tag vom Himmel nieselt, scheint ihn nicht zu stören, auch nicht die Tropfen auf seiner Brille. Vom Treffpunkt an der Kreuzberger Admiralbrücke geht es den Landwehrkanal am nördlichen Ufer entlang in Richtung Böcklerpark.

Wartke, Klavierkabarettist, Schauspieler, Dichter und Entertainer, wohnt in direkter Nachbarschaft und geht hier selbst oft spazieren. Häufig summe er dabei neue Lieder, erzählt er, „da muss ich aufpassen, dass ich nicht zu laut werde.“ Wobei man ja selbst dann in Berlin nicht angeguckt würde.

Er erinnert an einen Zauberschüler

Erkannt würde er selbst vor sich hin singend selten, erzählt er. Eher verwechselt – mit Edward Snowden oder Harry Potter etwa. Eine fast authentische Harry-Potter-Stirnnarbe hat Wartke von einem Fahrradunfall als Kind. Auch die runden Brillengläser und die leicht verwuschelten Haare, der schwarze Wollmantel und der rotgestreifte Schal erinnern an den Zauberschüler. Erst kürzlich habe er genau über diese Verwechslungen ein Lied geschrieben – noch hat er es aber nicht veröffentlicht.

Im Böcklerpark führt der Weg an bunt bemalten Booten und einem wilden Haufen übereinander drapierter Fahrradfelgen vorbei. „Man weiß es nicht, ist es Kunst oder eine wilde Müllhalde? Eventuell beides“, kommentiert Wartke. Im Hintergrund recken sich Sozialbauten aus den 70er Jahren in die Höhe. Vor einiger Zeit wurde hier die Uferpromenade saniert. Viele Anwohner hätten gegen den Umbau demonstriert, erzählt er. Er könne beide Seiten verstehen. Nur als es hieß, dass die Bäume am Ufer womöglich gefällt würden, protestierte auch er. „Dieser ganze Weg ist eine Oase mitten in Berlin, es wäre schade, wenn die nicht da wäre“, sagt Wartke.

Grüne Oasen verteidigt er dabei längst nicht mehr nur in Kreuzberg. Im Sommer veröffentlichte er das Lied „Hambacher Wald“, reiste zu den Protesten nach Nordrhein-Westfalen und spielte live auf einem der wöchentlichen Waldspaziergänge der Demonstranten. Einst bekannt geworden für Lieder über Liebe und all die Probleme drum herum, ist Wartke mittlerweile auch in seiner Musik politischer geworden.

Ein Umzug in eine andere Stadt kam nie in Frage

In punkto Gentrifizierung sei er allerdings zwiegespalten, „mit Tendenz in eine klare Richtung.“ Er selbst habe das Glück, seit 2002 mit altem Mietvertrag im Kiez zu wohnen. Die Preisentwicklung um ihn herum findet er erschreckend. Wenn Bürgersteige ausgebessert oder die Uferpromenade umgebaut würden und dadurch der Kiez schöner wird, fände er das natürlich gut. Aber: „das wurde ja vorher auch schon gemacht, ohne dass die Mieten gestiegen sind.“

Wartke kam Ende der 90er Jahre nach Berlin. In der Baerwaldstraße hat er einst – nach einem Jahr in Wedding – in seiner ersten WG gewohnt. Von dort zog er nach Lankwitz und vor 17 Jahren dann zurück nach Kreuzberg. Nur ein Umzug in eine andere Stadt kam eigentlich nie in Frage. „Ich hab’ mal in Paris gelebt, für ein paar Monate, und auch in London“, sagt Wartke, und er fand die Städte toll und faszinierend. Aber zum Leben seien diese wahnsinnig anstrengend, wahnsinnig teuer.

An der Baerwaldbrücke schlägt er vor, noch etwas weiter geradeaus am Ufer entlang zu gehen – vorbei am Prinzenbad, wo es um diese Jahreszeit fast gespenstisch still ist.

In Kreuzberg hat Wartke sein Bullerbü gefunden. In einem Haus, in dem in jeder Etage mindestens ein Klavier rumstehe, lebt er zwischen Kollegen und Freunden.

An der Alexandrinenstraße geht es über die Brücke und am anderen Ufer wieder zurück, vorbei am Alten Zollhaus Richtung Urban-Klinikum. „Berlin ist für mich ohnehin eine Ansammlung mehrerer Dörfer und nicht so sehr eine Großstadt“, sagt Wartke. Aber eben ohne soziale Kontrolle, ohne „Blockwartmentalität“. Als seine Mutter vor ein paar Jahren starb, habe er kurz darauf Post vom Ordnungsamt Bad Schwartau, seiner Heimatstadt, bekommen. Nachbarn hätten sich über die nicht gestutzte Hecke beschwert.

Bodo Wartke am Fraenkelufer in Berlin-Kreuzberg.
Bodo Wartke am Fraenkelufer in Berlin-Kreuzberg.
© Kitty Kleist-Heinrich

Statt „deutschem Prinzipienreitertum“ fand Wartke in Berlin die Freiheit, das zu tun, was er wollte – Klavierkabarett in Reimkultur. Er brach sein Physikstudium ab und konnte, im Gegensatz zu den Befürchtungen seiner Mutter, von seiner Kunst leben. „Nun war halt Berlin damals auch noch extrem preiswert, und dadurch vor allem für Künstler eine sehr lebenswerte Stadt“, sagt Wartke.

Am grauen Klotz des Urban-Krankenhauses erzählt Wartke von seinen Erfahrungen mit der Notaufnahme. Einmal, als er wegen einer Lungenentzündung behandelt wurde, habe neben ihm einer gelegen, der laut rumkrakeelte, dass er jetzt sofort sein Methadon brauche. Auch das ist Berlin für ihn: Die Gegensätze, die hier immer wieder zwangsläufig aufeinanderprallen. Vor allem aber die Anwesenheit von Subkultur. Bis heute ist er der „Scheinbar“ in der Monumentenstraße treu, wo er einst seine Karriere begann.

Der Weg führt am Ausgangspunkt vorbei, am Planufer entlang und in die Graefestraße, durch sanierte Altbaufassaden. Keine Schmierereien an den Wänden, kein illegaler Müll auf der Straße, nicht einmal Hundekot. Auch das ist Kreuzberg.

Ist man jemals richtig angekommen?

Auf die Frage, ob sein Kiez in den vergangenen Jahren spießbürgerlicher geworden sei, wird Wartke still und überlegt. Und dann: „Ich fühl’ mich hier nach wie vor sehr wohl, und das habe ich mich auch schon am Anfang gefühlt“, sagt er nach einer Weile. „Vielleicht bin ja auch ich ein bisschen spießbürgerlicher geworden.“ Dann lacht er.

Er fände es halt gut, wenn die Leute nach einem Gemeinsinn handeln. So nach dem Motto: „Ey, wenn hier nicht jeder seinen Kühlschrank auf den Bürgersteig stellt, oder seine verranzten Matratzen, oder seinen Müll aus dem Fenster kippt, dann ist es für alle geiler. Lass das ma’ nich’ tun!“ Ob er sagen würde, dass er hier im Kiez angekommen ist? Keine Antwort, nur ein Raunen. Anders gefragt: Ist man jemals richtig angekommen? „Ja doch, ich glaube schon. Zumindest für den Moment.“

Am 1. und 2. März spielt Bodo Wartke mit „The Capital Dance Orchestra“ sein Programm „Swingende Notwendigkeit“ in der UDK Berlin. Tickets unter: www.bodowartke.de/tour

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