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Gibt den Takt vor: Bodo Wartke, Klavierkabarettist und Schauspieler, lässt sich manchmal von einem ganzen Orchester begleiten.
© imago/STAR-MEDIA

Interview mit Bodo Wartke: „Die Texte bei Mozart sind völlig bescheuert!“

Der Kabarettist und Schauspieler Bodo Wartke über späte Freuden am Liebeskummer, die besten Seiten von Berlin und die Antwort auf die Frage „Was, wenn’s nicht klappt?“

Seit 20 Jahren steht Bodo Wartke auf der Bühne, fast ebenso lang lebt er in Berlin. Bekannt wurde der 38-Jährige durch Klavierkabarett „in Reimkultur“, aber er setzt auf der Bühne auch immer wieder neue Instrumente ein, und bei seinem Programm „Swingende Notwendigkeit“ begleitet ihn das 16-köpfige Capital Dance Orchestra. Bekannt ist auch seine Solo-Version der Tragödie „König Ödipus“, bei der er auf der Bühne alle 14 Rollen spielt: Mit allen drei Elementen – Klavierkabarett, Schauspiel, Orchesterbegleitung – füllt er im September an drei aufeinanderfolgenden Abenden den Admiralspalast. „Viele Leute kommen von Sonstwo und gucken sich alle drei Programme an, total krass“, sagt er im Interview.

Herr Wartke, eine Frage für alle Bodos unter unseren Lesern: Wie oft werden Sie noch gefragt, ob Bodo Ihr richtiger Vorname ist?

Oft. Wenn ich in Dortmund auftrete, thematisiere ich das gerne und sage: „Ich werde oft gefragt, ob Bodo mein richtiger Name ist oder ein Spitzname – es ist aber eine Abkürzung für Borussia Dortmund.“ In Gelsenkirchen kann ich das natürlich nicht sagen…

Jetzt kommen Sie gerade von einer Tour mit Ihrem Programm „Swingende Notwendigkeit“, bei dem Sie Lieder aus Ihrem Klavierkabarett-Programm mit Orchester aufführen. Was machen Sie denn am ersten Tag nach der Tour?

Schlafen, abhängen, auspacken, Freunde anrufen, einkaufen gehen.... Ich habe einen sehr schönen Satz gehört: „Die Seele braucht zwei Tage, bis sie ankommt.“ Ich glaube, da ist was dran. Blöd ist es immer, nur einen oder zwei Tage frei zu haben. Ich liebe es, auf Tour zu sein, aber wichtig ist die Zeit davor und danach.

Was ist da wichtig?

Wenn ich fünf Mal hintereinander auftrete, ist der fünfte Auftritt der eine zu viel. Mir macht es wahnsinnig viel Spaß auf der Bühne, aber es kostet mich auch sehr viel Energie. Das geht dem Orchester übrigens auch so. Man darf das nicht unterschätzen, gerade bei dem Programm bin ich wirklich die ganze Zeit auf den Beinen, springe und tanze. Das Wochenende ist eine sinnvolle Erfindung, und ich brauche das auch, ich hab’s halt nur an anderen Tagen – in der Regel Montag und Dienstag.

Das ist dann aber ja meistens nicht so ein richtiges Wochenende, oder?

Nein, zumal: Zu meiner Arbeit gehört ja auch, mir Stücke auszudenken, zu komponieren und zu schreiben. Viele Kollegen machen das anders, die leben auf der Bühne, die wollen auch nirgendwo anders sein. Ich finde es wichtig, dass sich auch abseits der Bühne noch ein Leben ereignet. Irgendwoher müssen die Ideen ja kommen, über die ich meine Lieder schreibe.

Sie nehmen sich dann frei und sagen: Jetzt komponiere ich, jetzt texte ich?

Jein. Ideen kommen nicht auf Knopfdruck. Ich kann mich nicht morgens um neun hinsetzen, schreibe den ersten Song und mache um eins Mittagspause. So funktioniert das nicht bei mir – bei anderen Leuten schon, Reinhard Mey zum Beispiel: Ein Jahr lang schreibt der ein neues Album, geht morgens ins Büro und schreibt. Dann produziert er seine Platte, geht auf Tour und spielt 60 Auftritte am Stück, früher 80, ohne Pause, ohne Off-Day, jeden Tag in einer anderen Stadt. Reinhard ist 74, und ich denke mir: „Unfassbar, wie macht der das?“ Zu mir kommen Ideen am besten, wenn ich ihnen den Freiraum dazu gestatte. Wenn ich schreibe, dann meistens nebenbei. Und ich bekomme oft Ideen, wenn’s gerade gar nicht passt, in der Sauna, beim Wäsche aufhängen, im Wartezimmer eines Arztes…

Aber inhaltlich geht es in Ihren Liedern ja nicht nur um die Sauna oder das Wäsche aufhängen.

Oft kommen mir dann Ideen, die sind inspiriert von Ereignissen, die Jahrzehnte zurückliegen, bei denen ich damals nicht gedacht hätte, dass da vielleicht mal ein Song draus werden könnte. Zum Teil waren da auch blöde Erlebnisse dabei, bei denen ich mir erst dachte: So ein Mist, wäre mir das besser mal erspart geblieben! Und irgendwann, viel später habe ich eine Idee, mit der ich das verarbeiten kann, und dann fängt das an, sich zu drehen, dann denke ich: Gottseidank hatte ich damals so schlimmen Liebeskummer, denn sonst würde es diesen Song jetzt nicht geben. Das ist für mich auch ein Prozess der Verarbeitung, des Loslassens und des Paradigmenwechsels im Idealfall. Wenn ich ein Lied über etwas schreibe, hilft mir das auch, Frieden damit zu finden.

War das auch so bei „Christine“, dem 2012 erschienenen Lied über Ihre Schwester, die kurz nach der Geburt verstorben ist (hier als MP3 zum Anhören)?

Dem Lied „Christine“ ist eine Erkenntnis vorausgegangen, nämlich: dass ich kein Einzelkind bin. Dass meine Schwester zwar gestorben ist, aber ich eben eine habe. Vorher habe ich jahrzehntelang erzählt, ich sei Einzelkind. Als ich das bewusst realisiert habe, hat mir das sehr viel Trost gespendet. Und erst nach dieser Erkenntnis war ich in der Lage, dieses Lied zu schreiben.

Christine ist ein sehr persönliches Lied. Aber bemerkenswerterweise gab es dazu erst die Melodie, später kam erst der Text dazu. Wie ist das sonst bei Ihnen?

Oft ist es so, dass ich erst den Text schreibe und dann die Musik oder ich, während ich schon Textfragmente habe, überlege, welche Musik dazu passen könnte. Dabei versuche ich, den Sätzen und Worten die Musik abzulauschen, die ihnen schon innewohnt. Alles, was man sagt, hat ja einen Klang, eine Betonung, einen Rhythmus. Das bringe ich in der Musik auf den Punkt. Der umgekehrte Weg ist völlig anders, aber im Idealfall mit dem gleichen Resultat. Bei „Christine“ war es so, dass ich die Musik komponierte, als ich 14 oder 15 Jahre alt war, als Instrumentalstück. Ich hatte nicht vor, dazu einen Text zu schreiben, aber ich hatte ein deutliches Gefühl, eine gewisse Melancholie. Später schrieb ich dann diesen Text, und währenddessen kam mir diese Musik in den Sinn und ich dachte: Das passt, das ist ja genau das Gefühl. Jetzt habe ich die Worte.

"Ich habe die inoffizielle Hymne fürs Bedingungslose Grundeinkommen geschrieben"

"Ich finde wichtig, es für möglich zu halten, dass es geht." Bodo Wartke
"Ich finde wichtig, es für möglich zu halten, dass es geht." Bodo Wartke
© Doris Spiekermann-Klaas

Das Lied "Christine" hat nach seinem Erscheinen 2012 viel Aufmerksamkeit erhalten, war über Monate in der deutschen Liederbestenliste – wo seit November 2015 das Lied „Das falsche Pferd“ steht aus Ihrem aktuellen Programm „Was, wenn doch?“ In dem Lied stellen Sie die Frage, wie unsere Gesellschaft aussehen könnte, wenn alle nur Dinge täten, die sie wirklich gerne tun. Sie sagen selbst, dass Sie derzeit auf keins Ihrer Lieder so häufig angesprochen werden wie auf dieses. Wie erklären Sie sich diese große Aufmerksamkeit?

Beide Lieder, „Christine“ und „Das falsche Pferd“, sind Lieder, die man von mir nicht so sehr erwartet. Bekannt geworden bin ich ja mit sehr lustigen, zum Teil auch makabren Liedern wie „Ja, Schatz“, oder mit dem Liebeslied in vielen Sprachen, das allein dadurch beeindruckend ist, dass ich das in so vielen Sprachen singen kann. Jetzt kommen Lieder, die Dinge thematisieren wie den Tod eines Geschwisterkindes oder eben im Fall von „Das falsche Pferd“ das Infragestellen des eigenen Lebensentwurfs. Beides ist ein Thema für ganz viele Menschen. Tod ist für jeden von uns früher oder später ein Thema, gerade im Kabarett aber oft ein Tabuthema. Viele Menschen haben sich zum ersten Mal total verstanden gefühlt und sehr umarmt. Und „Das falsche Pferd“ ist ein Plädoyer dafür, Dinge für möglich zu halten. 

Das Lied endet mit den Worten: „Was, wenn doch?“, der Titel Ihres aktuellen Programms.

„Was, wenn doch?“ ist das Leitmotiv, das sich durch dieses Programm zieht. Es ist die Antwort auf die Frage: „Was, wenn’s nicht klappt?“ Viele von uns tun Dinge aus Vernunft, aus Angst, auf die wir eigentlich gar nicht so Bock haben, aber es wird von uns erwartet, dass wir das tun, oder wir erwarten es von uns selbst und halten nicht für möglich, dass etwas anderes geht. Ich finde aber wichtig, es für möglich zu halten, dass es geht. Es kann zwar sein, dass es dann nicht klappt, aber dann hat man es wenigstens probiert und kann es loslassen. Man denkt nicht: „Ach, hätte ich mal, wer weiß, vielleicht hätte es ja doch geklappt...“ Nein: Man hat es probiert, es hat nicht geklappt. Ich finde wichtig, dass man beide Möglichkeiten in Betracht zieht. Dass es scheitert, ist nur eine der beiden.

Sie singen: „Wir alle würden einen Beruf ausüben, / den wir wirklich gern tun und von ganzem Herzen lieben. / Die gute Laune würde steigen – ganz egal, wohin man guckt –/ und ganz nebenbei auch das Bruttosozialprodukt.“ Vieles in dem Lied erinnert ans Bedingungslose Grundeinkommen, also die Idee, dass ausnahmslos jeder Bürger genug Geld erhält, um finanziell unabhängig zu sein.

Ich scheine, ohne es beabsichtigt zu haben, die inoffizielle Hymne zum Bedingungslosen Grundeinkommen geschrieben zu haben. Inzwischen habe ich mich damit beschäftigt – der Gedanke dahinter ist der gleiche: „Was, wenn’s klappt, was, wenn doch?“ Allein deswegen halte ich es für eine sehr gute Idee, das mal auszuprobieren. Viele Leute unken: „Das kann gar nicht klappen, dann legen sich alle auf die faule Haut.“ Ich glaube das nicht. Nur wenn ich Zeit habe und Muße, komme ich auf Ideen. In unserer Welt, im Kapitalismus ist das ja das kostbarste Gut: Alle hätten gerne mehr Zeit und mehr Muße, und viele haben ziemlich konkrete Ideen, was sie gerne machen würden – nicht nur egoistischer Natur, sondern auch, wie man was gestalten kann, ein neues Miteinander, ein familiäres Miteinander, ein menschliches Miteinander...  Allein, weil mich das Ergebnis interessiert, bin ich für das Bedingungslose Grundeinkommen.

In einem früheren Programm fällt der Satz: „Ich mache keine Lieder über Politik.“ Dieses Lied ist ja aber zumindest gesellschaftspolitisch.

Stimmt. Ich bin eben nicht in der Art und Weise politisch, wie viele Kollegen das sind. Politkabarett ist nicht mein Thema, da bin ich auch zu wenig kompetent und zu schlecht informiert. Trotzdem bin ich natürlich gesellschaftlich informiert, losgelöst von Parteipolitik. Ich bin politisch, aber ich mache keine Volksaufklärung wie zum Beispiel Volker Pispers, den ich sehr verehre.

In unserer Konsumgesellschaft heißt es von manchen Dingen: „Das brauchst Du, dann bist Du glücklich.“ Ich stelle die Gegenfrage: „Ist das wirklich so geil?“

Bodo Wartke

Und Sie betreiben Aufklärung in einem anderen Sinne des Wortes, indem Sie in Ihrem aktuellen Programm den Leuten erklären, wie eine Menage à Trois abläuft (Hier der Text als PDF)... Der Protagonist ist allerdings mit der Vielzahl der Gliedmaßen und Möglichkeiten völlig überfordert und ergreift am Ende die Flucht.

Auch das Lied hat einen tieferen Sinn: In unserer Konsumgesellschaft heißt es von manchen Dingen: „Das brauchst Du, dann bist Du glücklich.“ Ich stelle die Gegenfrage: „Ist das wirklich so geil?“ Dieses Lied ist natürlich total grotesk, aber als Mann Sex mit zwei Frauen zu haben wird einem ja verkauft als die Erfüllung aller erotischen Phantasien. Ich versuche mit dem Lied, die Leute zu erleichtern, nach dem Motto: Vielleicht ist es sogar besser, wenn man total gewöhnlich und uncool ist. Es macht mir Spaß, Mythen und Fremdbilder in Frage zu stellen. Und ich mache sehr gerne Sachen, die man nicht von mir erwartet. Ich liebe es sehr, Genre-Grenzen zu überschreiten.

Das zeigt sich besonders deutlich bei den drei Programmen, die Sie im September an drei aufeinanderfolgenden Tagen im Admiralspalast spielen (hier die Ankündigung auf der Website von Bodo Wartke), die sind nämlich völlig verschieden: Die Solo-Klavierkabarett-Nummer „Was, wenn doch?“, die Tragödie „König Ödipus“ von Sophokles, die Sie umgeschrieben haben und bei der Sie alleine alle 14 Rollen spielen, und das Programm „Swingende Notwendigkeit“ mit dem Capital Dance Orchestra. Klingt wie ein Marathon.

Wie ein Marathon fühlt es sich gar nicht an, weil ich die Programme ganz gut parat habe. Die drei Auftritte sind eher eine Erleichterung: Ich bin zuhause, kann im eigenen Bett schlafen – eigentlich ist es ein entspannteres Auftreten als sonst.

Und Sie können jederzeit den Ödipus aus dem Ärmel schütteln, auch wenn Sie ihn über Wochen nicht gespielt haben?

Ja, der ist mir in Fleisch und Blut übergegangen. Dennoch kommt es vor, dass ich Texthänger habe. Der Text fällt mir dann schon wieder ein, aber später. Ich löse das auf der Bühne meistens so, dass die handelnden Personen sich den Text gegenseitig vorsagen, was allein dadurch absurd ist, dass ich ja all diese Figuren spiele. Ich habe keine Angst vor Fehlern, weil ich schon oft die Erfahrung gemacht habe, dass sie mein Programm bereichern.

Auf welches der drei Programme freuen Sie sich denn am meisten?

Alle drei, besonders im Admiralspalast, eins der schönsten Theater unseres Landes. Das ist auch eine Möglichkeit, sich von mir alle drei Programme an ein und demselben Ort anzuschauen, und viele machen das. Die kommen von Sonstwo und gucken sich alle drei Programme an, total krass. Viele Kollegen schreiben ein Programm und gehen nur damit auf Tour, dann schreiben sie das nächste, undsoweiter. Ich finde es schön, die Abwechslung zu haben, denn alle Programme, die ich spiele, spiele ich gerne.

Das sind aktuell vier, mit dem Programm zu Ihrem zwanzigsten Bühnenjubiläum, das Sie dieses Jahr feiern. Ihr erstes abendfüllendes Konzert war vor 20 Jahren in der Aula Ihres Gymnasiums in Bad Schwartau...

... am 16. November 1996...

... welche Erinnerungen, abgesehen vom Datum, haben Sie an das Konzert?

Ich fand es total rührend: Das war das Jahr meines Abiturs, und mein ganzer Jahrgang war da, die Aula war voll mit Leuten. Ich weiß noch, dass ich wahnsinnig viel Spaß hatte. Ich habe ein Lied uraufgeführt, das ich seitdem im Programm habe: „Quand même je t’aime“. Viele Lieder, die ich damals schrieb, singe ich jetzt nicht mehr, denn damals war ich 17 und hatte eine etwas andere Sicht auf die Welt, auf das weibliche Geschlecht zum Beispiel. Umso interessanter finde ich, dass ich damals schon in der Lage war, ein Lied zu schreiben, hinter das ich heute noch einen Haken setzen kann. 

Und wann kam das erste Konzert in Berlin? 

Ich hatte meinen ersten Auftritt in Berlin, da habe ich hier noch gar nicht gewohnt. Allerdings nicht mit nem kompletten Programm, sondern im Nachsalon, einer gemischten Show in der Bar jeder Vernunft. Das war auch 1996. Im Publikum saßen Max Raabe und Lutz von Rosenberg Lipinsky. Trotzdem sollte es Jahre dauern, bis ich das erste Mal abendfüllend in Berlin spielen konnte, lange nach anderen Städten. In Mix-Shows aufzutreten ist überhaupt kein Problem in Berlin, auch heute noch. Aber einen Ort zu finden, an dem man ein Soloprogramm spielen kann, ist nicht einfach. In dieser Stadt gibt es ja eine Fülle an Abendveranstaltungen, warum sollte das Publikum also gerade zu dir kommen? Es kommt, wenn es dich kennt und gut findet, was du machst, und das braucht Zeit.

"In Berlin habe ich mich nicht mehr gefühlt wie ein Freak"

Selbsterklärter "Kavalier am Kalavier": Bodo Wartke.
Selbsterklärter "Kavalier am Kalavier": Bodo Wartke.
© imago stock&people

Als jemand, der regelmäßig im ganzen deutschsprachigen Raum auftritt: Was unterscheidet das Berliner Publikum im Vergleich zu anderen Städten?

Wer ist das Berliner Publikum? Bei mir ist das Publikum in keiner Stadt besser oder schlechter als in einer anderen, denn zu mir kommt das Publikum, das mit dieser Art von Entertainment was anfangen kann. Es gibt in jeder Stadt Leute, die damit überhaupt nix anfangen können, aber die kommen auch nicht.

Aber wenn Sie auf die Anfangszeit zurückschauen: Hat sich Ihr Publikum in den letzten 20 Jahren verändert?

Inzwischen kommen die Leute, weil sie wissen wer ich bin, weil ich ihnen empfohlen wurde oder sie im Internet was gesehen haben. Sie kommen mit einer gewissen Erwartungshaltung. Früher bin ich oft vor einem Publikum aufgetreten, das nicht wusste wer ich bin, und das hatte auch seinen Reiz, weil die natürlich umso überraschter waren. Es passiert immer noch, dass ich vor Leuten auftrete, die mich nicht kennen, aber seltener.

Weil Sie kein Geheimtipp mehr sind?

Nun ja, das bin ich in gewisser Weise schon noch. Viele Leute haben von mir noch nie was gehört, und das finde ich auch gar nicht schlimm. Ich fliege unterm Radar. Sagen wir: Für einen Geheimtipp kommen zu mir überraschend viele Leute. Ich trete aber nach wie vor bewusst nicht so sehr im Fernsehen auf.

Warum nicht?

Ich finde, dass Privatfernsehen und die Bild-Zeitung gegen Artikel 1 des Grundgesetzes verstoßen, und davon möchte ich kein Teil sein.

Und was ist mit öffentlich-rechtlichem Fernsehen?

Die sind sehr verzagt. Die glauben, auch der Quote gehorchen zu müssen, ergo Fernsehen zu machen, das so ähnlich ist wie Privatfernsehen. Meistens sagt jemand: „Herr Wartke, können Sie’s bitte kürzen, Sie wissen ja, Musik ist schlecht für die Quote“. Die interessieren sich nicht so recht für das, was ich tue, und das ist zum Glück nicht schlimm, denn es funktioniert ja auch so. Ich finde es ganz gut, dass mich nicht jeder auf der Straße erkennt. Mich erkennen Leute, die gut finden, was ich mache. Die das blöd finden, wissen nicht, wer ich bin. Das ist ein sehr angenehmes Maß an Berühmtheit. In Berlin kommt es vor, dass Leute mir zulächeln, und dann weiß ich nicht: Sind die einfach nett oder kennen die mich? Dass man in Berlin angelächelt wird, passiert ja nicht so oft, deshalb bin ich dann immer ein bisschen misstrauisch – aber ich lächle auch zurück. 

Was hat Sie damals vor knapp 20 Jahren dazu gebracht, direkt nach dem Zivildienst nach Berlin zu ziehen?

Neugier. Ich hab 1996 bei einem Wettbewerb gewonnen und wurde nach Berlin eingeladen, zusammen mit anderen jungen Musikern. Ich war total begeistert – die anderen kennenzulernen, zusammen Musik zu machen, das hat mich wahnsinnig inspiriert und geprägt. Ich hatte Lust, eine neue Stadt kennenzulernen, und Berlin hat sich gleich von seiner besten Seite gezeigt.

Was ist denn die beste Seite von Berlin?

(Lacht) Nicht unbedingt die Architektur. Ich meine die Möglichkeiten, die diese Stadt bietet, und das Aufeinandertreffen mit Leuten, denen es auch so geht, die da auch Bock drauf haben. In Bad Schwartau, der Kleinstadt, aus der ich komme in Norddeutschland, habe ich mich immer gefühlt wie ein Freak. Erst in Berlin dachte ich, hier kann ich in Ruhe ich sein, ohne dass das ein Problem ist für meine Eltern oder meine Mitmenschen, und werde nicht angeschaut wie ein Außerirdischer. Das fand ich wahnsinnig entspannend.

Sie haben in Berlin erst Physik auf Diplom studiert, das abgebrochen und mit Musik auf Lehramt weitergemacht, haben aber auch das abgebrochen und sind letztlich kein Musiklehrer geworden...

... in gewisser Weise doch, weil ich in meinem Programm Musik thematisiere, zum Beispiel erkläre, was Zwölftonmusik ist oder der Unterschied zwischen E- und U-Musik, oder ich singe Opernarien. Ich vermittle Inhalte, die auch im Musikunterricht thematisiert werden, nur dass ich die Freiheit habe, mich dem kabarettistisch nähern zu können und die Hochkultur vom Sockel zu stoßen. Als Musiklehrer muss man sich an einen Lehrplan halten, und vieles, was da drin steht, halte ich für absoluten Blödsinn, gut gemeint, aber nicht sinnvoll. Ich genieße die Freiheit, die mir als Kabarettist zur Verfügung steht – und die Musiklehrer erklären ihren Schülern die Zwölftonmusik mit meinem Stück.

Wie müsste denn sinnvoller Musikunterricht aussehen?

Ich finde, man sollte mehr Sachen machen, die mit der Lebensrealität der Schüler zu tun haben. Musik ist ja eine ganz menschliche Ausdrucksform – in allen Ländern, durch alle Zeiten und Kulturen hinweg wurde gesungen, musiziert, getrommelt und getanzt. Ich finde die Frage wichtig: „Was entspricht den Kindern, worauf haben die Bock?“ Ein Freund von mir unterrichtet zum Beispiel Hip-Hop an Schulen. Der ist Hip-Hopper, der hat Style und Flow, der weiß, wie’s geht, und produziert mit den Kindern eine Platte. Dieser Unterricht bietet den Kindern eine Ausdrucksform. Im Grunde mache ich in meinem Programm nichts anderes – ich thematisiere Bach, Mozart und Sophokles, aber ich stelle immer die Frage: Was hat das mit mir und der heutigen Welt zu tun? Und wie müsste das sein, dass ich das geil finde? Das findet nicht statt in der Schule. Es wird versucht, die Schüler an den Lehrstoff anzupassen, und man sollte den umgekehrten Weg gehen. Ich nenne es gerne: Hochkultur verbessern.

Durch Hip-Hop?

Zum Beispiel, ja. Denn Hochkultur trägt diesen Namen ganz oft auch zu unrecht. Wenn man sich Texte bei Mozart anschaut, die sind völlig bescheuert! Wenn man die einfach nur liest, denkt man sich: „Ist das lausige Literatur.“ Es merkt nur keiner. Wenn Opern inszeniert werden, wird oft versucht, das in die Jetzt-Zeit zu transferieren, und dann findet Cosi Fan Tutte an der New Yorker Börse statt, aber Libretto und Text bleiben immer unangetastet. Das ist das erste, was ich ändern würde! Der Text ist unklar, der ist redundant, der ist schlecht gereimt. Das fände ich interessant: Was würde rauskommen, wenn man die Zauberflöte komplett umschreibt, verbessert? Sich dem Ganzen mit einer gewissen Chuzpe zu nähern und es vom Sockel zu stoßen, finde ich erfrischend.

So wie die Hip-Hop-Elemente im Ödipus?

Ja, und das ist ja nicht einfach nur: „Guck mal hier, Hip-Hop kann ich auch!“ Die Stelle, an der das passiert, ist ja ein handfester Streit zwischen Kreon und Ödipus, also dramaturgisch wichtig in diesem Stück. Bei mir ist das eben als Battle aufgelöst, und das funktioniert. Hip-Hop ist ein Mittel, das Sophokles damals noch nicht zur Verfügung stand, aber ich bin mir sicher, hätte er das gehabt, er hätte davon Gebrauch gemacht – Mozart übrigens auch.

"Zehntausende Studenten auf dem Wittenbergplatz - es fühlte sich an wie Woodstock"

Zu Berliner Studentenzeiten: Bodo Wartke im Jahr 2001.
Zu Berliner Studentenzeiten: Bodo Wartke im Jahr 2001.
© imago stock&people

Als Sie zum Studium nach Berlin kamen, liefen gerade die Studentenproteste – und Sie mittendrin…

Ich habe damals Lieder geschrieben, mit denen ich in Reimform das auf den Punkt gebracht habe, was Gegenstand der Bewegung war. Die habe ich gesungen, auf dem Alexanderplatz, auf dem Wittenbergplatz, vor zehntausenden Studenten, und es fühlte sich an wie Woodstock. Da habe ich gemerkt: Hier liegt mein Talent, das ist etwas, das ich ganz gut kann. Das war einer der Gründe, warum ich dann das Physikstudium bleiben ließ. Obwohl, in meinem zweiten Semester waren wir ohnehin mehr auf der Straße als im Hörsaal.

Und was war der Grund, dass Sie dann auch das Musikstudium bleiben ließen?

Der Auslöser war eine Sehnenscheidenentzündung. Ich habe Musik auf Lehramt studiert, weil ich dachte, da hast Du was Sicheres in der Hinterhand, eine abgeschlossene Berufsausbildung, und ich unterrichte auch gerne. Nur: Irgendwann ging nicht mehr beides. Da war ich am Wochenende auf Tour, kam am Montag mit dem ersten Zug zurück, bin in die Uni, hab mir drei Seminare reingepfiffen, abends in die Übzelle, um für den Unterricht am nächsten Tag zu üben… Ich war einfach heillos überfordert. Das fand dann körperlich seinen Ausdruck durch diese Sehnenscheidenentzündung, als wollte mein Körper mir sagen: „So, mein Freund, Du kannst gerne weitermachen wie bisher, nur ohne mich.“

Was sagten Ihre Eltern zu dieser Entscheidung?

Meine Mutter fand es gut, dass ich Klavier spiele – aber beruflich, davon war sie nicht begeistert. Wie viele Eltern war sie einfach geplagt war von Ängsten und Sorgen und konnte sich unter dem Berufsbild des Künstlers überhaupt nichts vorstellen. Die dachte: Künstler sind alle mittellos, verarmt, kriminell, drogensüchtig und schwul. Um Himmels willen! Was sollen die Nachbarn sagen, was habe ich nur falsch gemacht? Er hätte alles werden können, Akademiker, Professor, und jetzt das!

Und heute?

Mit wachsendem Erfolg hat meine Mutter mitbekommen, dass das auf recht soliden Füßen steht, was ich da mache, vor allem auch, was das bewirken kann. Das sage ich auch auf der Bühne: Das schönste Kompliment habe ich von meiner Mutter bekommen, nachdem sie so lange gezweifelt hat. Ich sagte zu Ihr: „Vielleicht hätte ich doch Medizin studieren sollen so wie Du und mein Vater, das ist so sinnvoll, denn was Ihr könnt, sorgt dafür, dass Menschen gesund werden.“ Und sie sagte: „Ja, das stimmt, aber mit dem, was Du kannst, sorgst Du vielleicht dafür, dass sie gar nicht erst krank werden.“ Meine Mutter war am Ende sehr stolz auf mich. Ihre Sorgen und Ängste haben sich als unbegründet erwiesen: Ich konnte prompt von dem leben, was ich tue.

Mich wundert in unserem Land: Mir als Künstler wurde früher oft gesagt, das sei ja nix Richtiges, was ich da mache, ganz nett, schön und gut, aber eigentlich ist es nichts Richtiges. Ich finde Kunst total wichtig, und zwar jegliche Art von Kunst."

Bodo Wartke

Vom ersten Tag an?

Es hat mich selbst überrascht, dass das so einfach geht. Als ich mich entschied, vollberuflich Klavierkabarettist zu sein, war das seit Jahren schon mein Beruf. Ich habe Ende der Neunziger eine Variété-Show im Chamäleon moderiert, drei Monate lang, jeden Abend 50 oder 100 Mark verdient, und konnte meine Miete bezahlen: Wedding, ein-Zimmer-Wohnung, Kohleofen, 280 Mark warm. Seitdem stehe ich finanziell auf eigenen Füßen. Gerade die Kleinkunstlandschaft in diesem Land ist ein Paradies für Künstler, weil es so viele Bühnen und Kulturvereine gibt, die Bock haben, Kleinkünstler zu veranstalten. Also, ich halte Kabarettist für eine sehr vernünftige und zukunftsorientierte Berufswahl…

Das ist also auch wieder ein Plädoyer für: Einfach machen.

Genau, aber auch im Sinne von: Es sich und den anderen einfach machen. Viele trauen sich nicht auf die Bühne, weil sie glauben: Es muss total ausgecheckt sein, und so lange es das nicht ist, gehe ich da lieber gar nicht hin. Man weiß oft nicht, ob etwas gut ist oder witzig, solange man es nicht vor Publikum ausprobiert hat. Ausprobierbühnen wie die Scheinbar sind Gold wert. Ohne die Scheinbar wäre ich jetzt kein Künstler.

Zum Abschluss die Frage: Gibt es eine Frage, die Sie sich wünschen, bei diesem oder anderen Interviews, die jetzt aber noch nicht kam?

Nicht wirklich eine Frage, aber was mich wundert in unserem Land: Mir als Künstler wurde früher oft gesagt, das sei ja nix Richtiges, was ich da mache, ganz nett, schön und gut, aber eigentlich ist es nichts Richtiges. Ich finde Kunst total wichtig, und zwar jegliche Art von Kunst. Sie mag in der kapitalistischen Welt erst mal ineffizient erscheinen – aber der Meinung bin ich nicht. Jegliche Art von Kunst schafft einen Perspektivwechsel. Und das kann total erhellend und erleichternd sein. Aber auch ich habe mich schon gefragt: „Ist das nicht nur eitler Selbstzweck, was ich da mache?“

Hört es nicht in dem Moment auf, Selbstzweck zu sein, in dem Leute kommen und sich das anhören?

Ja, vielleicht. Es ist ja auch eine Kunst, die mit dem Publikum zusammen gestaltet wird: Ich mache etwas für das Publikum, aber auch mit dem Publikum. Ohne wäre langweilig.

Bodo Straub

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