"March for Europe": In Berlin demonstrieren 4000 Menschen für Europa
Etwa 4000 Menschen zogen beim "March for Europe" vom Bebelplatz zum Brandenburger Tor. Anlass ist die Feier zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge.
Für die erste Demonstration seines Lebens hat sich Udo Kluth extra eine blaue Wollmütze aufgesetzt. Gelbe Sterne sind darauf gestickt, die gleichen Sterne, die auch auf seinem blauen Kapuzenpullover kreisen. Symbole natürlich, Kennzeichen der Europäischen Union. Kluth, der Rentner mit dem weißen Schnauzbart, demonstriert für den „Frieden“, denn „alles andere führt zur Spaltung“.
Spaltung, das Schreckenswort schlechthin für alle hier am Bebelplatz. Für die Einheit der europäischen Nationen, des europäischen Gedankens, für gemeinsame Werte, gegen Nationalismus und Nationalstaaten, dafür demonstrieren am Sonnabend rund 4000 Menschen. Vor 60 Jahren wurden die Römischen Verträge unterschrieben, es war die Geburtsstunde der EU, das ist der äußere Anlass für diesen „MarchForEurope“, vom Bebelplatz zum Brandenburger Tor.
Aber im Kern geht es hier um Ängste und Hoffnungen. Kluths Frau Rosemary ist Engländerin, sie lehnt den Brexit vehement ab, sie fürchtet, dass er eine Kettenreaktion auslösen könnte. Neben ihr steht Jacqueline Kennedy-Kriechbaum, Konferenzdolmetscherin, türkisfarbene Strähne in den langen schwarzen Haaren, ebenfalls Engländerin, 38 Jahre, angestellt bei der EU. Auch sie ist sauer auf jene Landsleute, die für den Brexit gestimmt haben.
Nik Reis ist mit einer schlichten Lederjacke zur ersten Demonstration seines Lebens gekommen. „Wir möchten Europa nicht verlieren“, sagt er, „in meinem Kopf habe ich keine nationalen Grenzen mehr“. Brexit, die Wahl in den USA, „das hat gezeigt, dass man auf die Straße gehen muss, solange man was ändern kann. Danach ist es zu spät.“ Sein Kumpel Tino Henn, Europa-Fähnchen in der Hand, denkt mit Schrecken an Nationalisten wie in Ungarn. Leute, die der Vergangenheit anhängen. „Das sind romantische Gedanken, das kann nicht funktionieren.“
Am Brandenburger Tor dann, wo sich alle versammeln, wo ein Meer von blauen Luftballons über den Köpfen schwebt und Plakate in die Luft ragen, auf denen zum Beispiel steht: „Some call it Europe, we call it home“, da treibt die Dramaturgie dem Höhepunkt zu. Eine junge Frau vom Veranstalter „Institut für Europäische Politik“ kreischt ins Mikrofon, dass jetzt eine symbolische Mauer eingerissen werde.
Die Mauer besteht aus Umzugskartons, und eingerissen wird erst mal gar nichts. Irgendein technischer Defekt, also warten alle. Dann bricht doch alles zusammen, unter Jubel und Geschrei, die perfekte Symbolik. Und natürlich ist alles ökologisch-politisch korrekt. „Die Kartons werden recycelt“, schallt es aus den Boxen. „Wir sind hier ja in Berlin.“
Frank Bachner