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Berlins ältestes Krematorium ist heute ein Kulturquartier.
© Cordia Schlegelmilch

Silent Green: Im früheren Weddinger Krematorium laufen heute Filme

In einer ehemaligen Leichenhalle in Wedding zeigt das Arsenal-Institut jetzt Avantgarde-Filme. Das passt zu den geschichtsträchtigen Gemäuern.

Wo früher tote Körper auf Leichenschau und Feuerbestattung warteten, laufen noch bis zum 9. März Filme. An diesem Ort, der nie für Unterhaltung, sondern für Abschied gedacht war, zeigt das Arsenal-Institut für Film und Videokunst in Zusammenarbeit mit der Berlinale Filme jenseits des Kino-Mainstreams. In der Halle flimmern stets mehrere Streifen gleichzeitig an verschiedenen Wänden. Silent Green heißt das Kulturquartier im früheren Krematorium Wedding.

Eine ehemalige Leichenhalle und ein Krematorium als Kulturort – wie kann man das bespielen? Genau wie jedes andere Haus auch, sagt Jörg Heitmann vom Silent Green. „Krematorium, das klingt immer schlimmer, als es ist.“ Jörg Heitmann schmunzelt. Seit das Gebäude errichtet wurde, hätten hier positive Gefühle überwogen, nämlich die Empathie und das Loslassen.

Erstes Krematorium Berlins

Als das Krematorium zwischen 1909 und 1910 erbaut wurde, war es das erste Berlins und das dritte in Preußen überhaupt. Während sie in der Antike üblich waren, waren Feuerbestattungen im Mittelalter von der Kirche verboten und kamen erst im Zuge der Französischen Revolution wieder auf. Im deutschen Kaiserreich machte sich die Freidenkerbewegung für die Einäscherung stark.

1909 begann der Bau der Kuppelhalle, in der Urnen bestattet werden durften. Architekt William Müller berücksichtigte dabei schon zwei Jahre vor der gesetzlichen Zulassung der Feuerbestattung in Preußen, dass man das Gebäude schnell in ein Krematorium mit Schornsteinen, Sargaufzug und Fundamenten für die Ofenanlage verwandeln konnte.

1911 erlaubte Preußen dann die Feuerbestattung, am Totensonntag des Jahres 1912 erfolgte die feierliche Einweihung des Krematoriums. In den 30er Jahren war es die leistungsfähigste Feuerbestattungsanlage in ganz Europa. Die Nationalsozialisten nutzten es für „Sonderaufgaben“ – darunter auch die Einäscherung der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944. Trotz starker Beschädigung im Zweiten Weltkrieg wurde die Anlage noch Ende 1945 wieder in Betrieb genommen.

Zum Altbau mit der Kuppel kam 1993 bis 1996 eine unterirdische Leichenhalle mit vollautomatisiertem Sarglager, in dem bis zu 817 tote Körper Platz fanden. Die modernste Einäscherungsanlage Europas wurde jedoch schon sechs Jahre nach Inbetriebnahme aus Kapazitätsgründen geschlossen, als das neue Krematorium in Treptow in Betrieb ging. Das Silent Green erwarb das Gebäude 2013 vom Land Berlin und sanierte den denkmalgeschützten Altbau, bevor das Kulturquartier 2015 eröffnet wurde.

Spuren des früheren Zwecks sind noch erkennbar

Im Altbau sind noch sakrale Elemente erhalten, zum Beispiel die Nischen, in denen einst Urnen standen, oder das Bild einer Schlange auf dem Boden der Kuppelhalle, die den Neubeginn symbolisiert. In der bis Anfang 2019 sanierten Betonhalle erinnert hingegen kaum noch etwas an die Verwendung als Leichenlager.

Die Raumaufteilung verrät jedoch den früheren Zweck: Elf rechteckige Löcher klaffen in der Wand zwischen dem Loungebereich des Cafés und der Ausstellung. Vor jedem Loch stand in der Gerichtsmedizin ein Seziertisch, ein Roboter lieferte die Leichen aus dem Lager durch die Löcher an.

Wo früher Trauernde in der Kuppelhalle Abschied nahmen, finden heute Konzerte, Seminare und Workshops statt. Die unterirdische Betonhalle bietet Raum für Bewegtbildkunst und Kino, wie jetzt für die Reihe des Arsenal-Instituts. Die unterirdische Anlage muss für Vorführungen nicht extra abgedunkelt werden, denn Fenster oder Oberlichter gibt es nicht. Zudem sind die Wände dunkel. Schwierig, so Ausstellungskurator Anselm Franke, sei jedoch die Akustik. Denn die Veranstaltung, die Forum Expanded heißt, zeigt Filme parallel.

Die unterirdische, fensterlose und schlichte Betonhalle eignet sich für Filmvorführungen.
Die unterirdische, fensterlose und schlichte Betonhalle eignet sich für Filmvorführungen.
© Cordia Schlegelmilch

Der Spielort ist so ungewöhnlich wie die Filme selbst

In dem L-förmigen Raum ist heute einiges los: Ein alter Projektor rattert laut, während der 35-Millimeter-Film „Wosa (Coyote's Burden Basket)“ von Heike Baranowsky zeigt, wie eine Kamera um einen spirituell bedeutsamen Krater im Death Valley kreist.

Darunter mischen sich die Stimmen eines Fragestellers und einer Interviewten in der fiktiven Dokumentation „Transformation Scenario“ von Clemens von Wedemeyer über die Erfassung und Vorhersage von Massenverhalten. Hinter einem von Künstlerin Anne Low gewebten Seidentuch dringt das Geräusch eines Webstuhls hervor. Es ist der Soundtrack zum Film „The Fine Thread of Deviation“ von Evan Calder Williams über Weben, Automatisierung und Aufbegehren. Eindrücke aus den einzelnen Filmen vermischen sich: Bei manchen Arbeiten, sagt Kurator Franke, entstünde eine gewollte Interaktion.

Von Beginn an, erklärt Franke, sei das Forum Expanded ein Ort für die Avantgarde-Filme jenseits des gängigen Kinos gewesen, ein Raum für Antikino. Auch einige der gezeigten Arbeiten bezögen sich darauf. So sieht der Kurator in „Transformation Scenario“ ein wichtiges Thema der Kino-Avantgarde: „Dass das Verhalten der Masse vorhersagbar ist, hat das Antikino immer schon angesprochen.“

Die Ausstellung „Antikino (The Siren’s Echo Chamber)“ ist noch bis zum 9. März im Silent Green Kulturquartier, Gerichtstraße 35, zu sehen. Die Öffnungszeiten sind dienstags bis sonntags von 14 bis 19 Uhr. Tickets für die Ausstellung kosten acht, ermäßigt sechs Euro. Die Finissage findet am 9. März um 19 Uhr statt. Ausstellungsführungen gibt es am 23. Februar und 3. März jeweils um 15 Uhr, um Anmeldung unter tours@arsenal-berlin.de wird gebeten.

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