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Lieber Mischpult als Tortenteller. Frans Zimmer wäre beinahe Konditor geworden.
© Thilo Rückeis

Mit DJ Alle Farben durch Kreuzberg: „Im Berghain ist man noch am ehesten anonym“

Frans Zimmer alias Alle Farben geht gern ins Berghain, seine Musik läuft eher in anderen Clubs – und auf Festivals weltweit. Seine Heimat aber bleibt Kreuzberg.

Noch ist es ziemlich ruhig am Urbanhafen, wo im Sommer allabendlich zahlreiche Menschen auf Decken liegen, Bier trinken, Gitarre spielen oder versuchen, sich nicht von einem etwas zu zutraulichen Schwan den Halloumi vom Fladenbrot nehmen zu lassen. Es ist ein heißer Nachmittag, aus der Ferne meint man, das Juchzen aus dem Prinzenbad hören zu können. Frans Zimmer ist hier in der Gegend aufgewachsen, hat hier schwimmen gelernt, nicht im Prinzenbad, aber im nahegelegenen Baerwaldbad, das mittlerweile geschlossen ist.

Der 34-Jährige lebt noch heute in Kreuzberg, zumindest die Hälfte der Zeit, die andere ist er unterwegs in der Welt, spielt auf Festivals und in großen Hallen. Zimmer ist Musikproduzent, DJ, bekannt unter seinem Künstlernamen Alle Farben. Der Name ist Zeichen Zimmers Interesse an – Überraschung! – Farben, genauer: an ihrer Wirkung. Auf Wikipedia steht, der Musiker habe eine „leichte Form“ der Synästhesie. Synästheten nehmen Zahlen farbig wahr, können Buchstaben fühlen oder Worte schmecken.

„Man könnte es bei mir eher eine angelernte Form nennen“, sagt Zimmer. Er habe sich viel mit Farben beschäftigt, ihrer Bedeutung und ihrem Gebrauch in der Geschichte und der Kunst. „Irgendwann habe ich angefangen, der Musik Farben zuzuordnen, und hatte dann so ein großes Bild von Farben und wofür sie stehen.“ So hieß sein erstes Studioalbum von 2014 auch passenderweise „Synesthesia – I think in Colours“.

Bekannt wurde Zimmer durch Soundcloud

Bekannt wurde Zimmer schon früher, zunächst vor allem durch die Musikplattform Soundcloud, wo er regelmäßig seine Sets hochlud – und zwischenzeitlich zum meistgestreamten Künstler wurde. Seine Musik lässt sich am ehesten dem Deep House zuordnen, er selbst nennt sie „Singer-Songwriter-Electro“. Seine Songs sind eher poppig denn elektronisch, gesangslastig, mit fröhlichen Gitarrenakkorden und dezenten Trompetensounds. Sie klingen nach Sommer und Flirts am Cocktailstand. Mit der elektronischen Musik, die in den meisten Berliner Clubs gespielt wird, hat sie so viel zu tun wie das Berghain mit einer Eisdiele.

Gerade ist das neue Album erschienen, „Sticker on my Suitcase“. Eine Analogie aufs Reisen, das bei DJs zum Job gehört. Für Zimmer aber ist das nicht, wie man meinen könnte, ein Fluch – er liebt das ständige Unterwegssein. Sein Lieblingsreiseort sei Thailand, erzählt er, wo er Freunde habe und so gut es geht die Winter verbringe. Natürlich nicht nur, um am Strand rumzuliegen. „Ich arbeite da Mails ab“, sagt er, „und spiele in Clubs oder auf Festivals“. Zwar habe er da nicht so einen großen Namen wie in Deutschland, aber beim Auflegen mache das keinen Unterschied.

Der Flughafen nervt

Aus Kreuzberg – oder Berlin – wegzugehen, kann Zimmer sich trotzdem nicht vorstellen. „Ich halte mich schon sehr gerne in Kreuzberg auf, weil man hier alles hat“, sagt er. „Es ist wie eine Stadt in der Stadt – man braucht eigentlich nirgendwo anders hinzugehen, außer um Freunde zu besuchen.“ Irgendwann könne er sich vorstellen, aufs Land zu ziehen, allerdings nicht zu weit weg. „Aber für jetzt finde ich Berlin toll – außer, dass der Flughafen nicht funktioniert. Das ist halt wirklich ein Problem für meine Arbeit, weil ich jede Woche fliegen muss. Es gibt einfach keine guten Verbindungen aus Berlin.“

Es geht weiter am Kanal entlang, Richtung Lohmühleninsel, immer auf Kreuzberger Seite. Das war früher sein Kindergartenweg, erzählt Zimmer, und später habe er sich hier mit Freunden zum Abhängen getroffen. Natürlich blieb es nicht beim Kanal, bald kamen die Clubs, erst – freundeskreisbedingt – die Punkschuppen, später die mit elektronischer Musik.

„Mit 17 war ich das erste Mal im Berghain“, erzählt der Musiker stolz. Da geht er auch heute noch am liebsten hin, allerdings tanzt er dann vor allem in der musikalisch softeren Panoramabar. „Im Berghain ist man noch am ehesten anonym“, sagt er. In anderen Clubs würden ihn oft Leute erkennen und wollten dann, soweit die Handykameras nicht am Eingang abgeklebt wurden, Fotos machen oder sich mit ihm unterhalten – eher unpraktisch, wenn man entspannt feiern gehen will. Zum Auflegen ist Zimmer nur noch selten in kleineren Clubs – und wenn, unter Pseudonym. Wenn er diesen Herbst auf Deutschlandtournee geht, wird er in großen Konzerthallen spielen, wie dem Palladium in Köln oder der neuen Verti-Music-Hall an der East Side Gallery.

Was hätte Zimmer eigentlich gemacht, wenn es mit der Musik nicht geklappt hätte? „Wahrscheinlich wäre ich Konditor“, sagt er und lacht. Eigentlich habe er Kunst studieren wollen. Nachdem das nicht geklappt hatte, bekam er durch Zufall einen Job als Konditor in einem Café, ganz ohne Ausbildung. „Ich hab auch schon selbst gemachte Postkarten in Bars verkauft und sowas – irgendwas hätte ich schon gefunden.“ Auf der anderen Straßenseite liegt nun schon der Görlitzer Park. Zimmer muss los, mal wieder, er fliegt er nach Kroatien, um dort auf einem Festival zu spielen. Wieder ein Sticker mehr auf dem Koffer.

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