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Entwurf der Agentur Scholz & Friends für die nie veröffentlichen Kampange der IHK Berlin auf einem Computerbildschirm: Zu Testzwecken wurde ein Foto der Gründer der Brauerei Brlo verwendet.
© Kevin P. Hoffmann

Wirbel um Anti-Mietendeckel-Kampagne: IHK stoppte Plakatmotive mit Hipster-Unternehmern

Die Berliner Industrie- und Handelskammer ließ eine Kampagne gegen den Mietendeckel entwerfen. Darin standen Unternehmer Pate, die davon leider nichts wussten

Die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) ist wegen einer Werbekampagne, mit der sie unter anderem Stimmung gegen den Mietdeckel machen wollte, in die Kritik geraten. Der Slogan sollte "Berlin bleibt frei..." lauten. Der Satz hätte unterschiedlich vervollständigt werden sollen, Beispiel: "Berlin bleibt frei... damit schneller Wohnraum genehmigt und gebaut werden kann." Oder: "...damit die Attraktivität der Stadt weiterhin Menschen aus aller Welt anlockt."

Entwürfe für drei Plakatmotive zeigen je ein Bild der Geschäftsführung des jungen Berliner Bierbrauers BRLO, des veganen Kondomherstellers Einhorn und der Mitarbeiterin eines Fahrradladens in Friedrichshain. Doch keine der abgebildeten Personen wussten offenbar, dass sie als Gesichter für die Kampagne ausgewählt worden waren.

IHK spricht von einem "Fehler"

"Wir wussten nichts davon und stehen auch nicht dahinter", sagte Einhorn-Sprecher Markus Wörler dem Tagesspiegel. Auch die BRLO-Mitgründerin und Geschäftsführerin Katharina Kunz zeigte sich irritiert: "Ich habe heute Morgen auf Twitter davon erfahren als ich ins Büro kam", sagte sie. Auch sie ist auf den Bildern zu sehen. Die Bilder seien fünf Jahre alte Presseaufnahmen. Die Einhorn-Fotos stammen dem Unternehmen zufolge von der Homepage.

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Die Kampagne war von der Werbeagentur Scholz & Friends entwickelt und im September auf der IHK-Vollversammlung vorgestellt worden. Die Vollversammlung mit etwa 100 Delegierten ist eine Art Parlament der Kammer. Unternehmer aus allen relevanten Wirtschaftszweigen lassen sich alle fünf Jahre von der Gesamtheit aller Berliner Unternehmer wählen. Die Versammlung ist zumindest formal das höchste beschlussfassende Gremium der IHK und tagt drei bis vier Mal im Jahr.

Dieser Entwurf der Werbeagentur Scholz & Friends für eine Kampagne im Auftrag der IHK Berlin zeigt zeigt die Gründer des Kondomherstellers Einhorn. Auch sie wussten nichts von dem Motiv, das so nie verwendet worden ist.
Dieser Entwurf der Werbeagentur Scholz & Friends für eine Kampagne im Auftrag der IHK Berlin zeigt zeigt die Gründer des Kondomherstellers Einhorn. Auch sie wussten nichts von dem Motiv, das so nie verwendet worden ist.
© Kevin P. Hoffmann

Die Motive waren als Anhang zu dem Bericht des Präsidiums und der Geschäftsführung an die Mitglieder der Vollversammlung seit September 2019 öffentlich einsehbar. Ein Mitglied dieses "Parlaments" veröffentlichte nun am Montag Bilder der Präsentation in sozialen Medien. Die hauptamtliche Geschäftsführung der IHK spricht von einem Fehler. Es sei keine Kampagne mit BRLO oder Einhorn geplant. "Die Präsentation hätte nie öffentlich sein sollen", sagte IHK-Pressesprecherin Claudia Engfeld. Dabei veröffentliche die Kammer die meisten Sitzungsunterlagen in der Regel, "aus Gründen der Transparenz." Die Präsentation, die dem Tagesspiegel vorliegt, ist inzwischen nicht mehr online verfügbar.

IHK habe keinen Einfluss auf die Motive genommen

Scholz & Friends hätten die Fotos von den Unternehmensvertretern nur beispielhaft verwendet, die IHK hätte daraufhin bei BRLO angefragt, ob sie dafür zur Verfügung stünden, sagt die Kammersprecherin. Doch BRLO habe abgelehnt. "Wir würden natürlich niemals Testimonials veröffentlichen, ohne die Zustimmung der Abgebildeten zu haben", sagte Engfeld.

Die Idee für die Kampagne stamme aus dem Sommer 2019, als die Debatte um Mietendeckel und Enteignungen an Schärfe gewann. Die IHK habe daraufhin eine Umfrage unter den Mitgliedern durchgeführt und sie gefragt, wie sie zu den von der Berliner Landesregierung diskutierten Maßnahmen stünden. 80 Prozent der mehreren Tausend Teilnehmer, die an der Umfrage teilgenommen hatten, hätten sich gegen Mietendeckel und Enteignungen ausgesprochen, sagte sie. Nur 19 Prozent der Befragten hätten Unterstützung für diese Senatspolitik zum Ausdruck gebracht.

Einhorn-Mitgründer Waldemar Zeiler in seinem Kreuzberger Büro - aufgenommen im Januar 2019 - wusste nach eigenen Angaben nichts von dem Plakatmotiv. Die Leute von Scholz & Friends haben sich für die Verwendung seines Bildes bei ihm entschuldigt.
Einhorn-Mitgründer Waldemar Zeiler in seinem Kreuzberger Büro - aufgenommen im Januar 2019 - wusste nach eigenen Angaben nichts von dem Plakatmotiv. Die Leute von Scholz & Friends haben sich für die Verwendung seines Bildes bei ihm entschuldigt.
© Mike Wolff

Daraufhin sei die Idee für die Kampagne entstanden und Scholz & Friends nach einem Vorschlag ausgewählt worden. Zumal "mehrere Hundert" Unternehmer auch ihre Bereitschaft erklärt hätten, ihre Meinung auch öffentlich zu erklären, sagte Jörg Nolte, Geschäftsführer für Wirtschaft und Politik, der IHK Berlin. Nolte hatte den Plan bei der Sitzung der Vollversammlung im September vorgestellt, um die Zustimmung der Mitglieder einzuholen. Die Mitglieder stimmten offenbar mit großer Mehrheit zu, dass der Plan für eine Kampagne von der IHK weiterverfolgt wird. "Die Agentur wollte junge, dynamische Unternehmen darstellen", sagte Engfeld. Die IHK habe der Agentur nicht gesagt, welche Unternehmen sie dafür verwenden solle.

Kampagne sollte sich auch gegen den Mietendeckel stellen

In dem Protokoll der Vollversammlung aus dem September heißt es, die Kampagne sollte "gegenüber der Politik eine klare Positionierung der Berliner Wirtschaft gegen Enteignungen signalisieren" und im Oktober 2019 starten. "In einem ersten Schritt" sollte sie sich "auch auf die geplante Einführung des Mietendeckels beziehen."

Aber nach der Vorstellung im September habe sich die Lage geändert, sagte Engfeld: Dadurch, dass die Landesregierung den Mietendeckel bereits beschlossen habe, sei eine Kampagne, die die politische Meinung ändern solle, nicht mehr nötig gewesen. "Jetzt ist ja nur noch die Frage, welches Gericht den Mietendeckel verbietet", sagte Engfeld. Daher sei die Idee für die Kampagne verworfen worden. Das sei auch am vergangenen Freitag der Vollversammlung so mitgeteilt worden.

IHK darf sich politisch nicht äußern

Bei der Kammer lässt man zudem durchblicken, dass manches von Scholz & Friends vorgeschlagene Motiv sei zu spitz gewesen - es sollte nicht zu dezidiert gegen den Mietendeckel gehen, sondern allgemein um unternehmerische Freiheit. Ein weiterer Grund für die Absage: Es wäre schwierig gewesen, den Erfolg der Kampagne zu messen, die die Kammer immerhin knapp 600.000 Euro über zwei Jahre gekostet hätte, um die Motive über verschiedene Medien an die Öffentlichkeit zu bringen.

Jan Eder, der hauptamtliche Hauptgeschäftsführer der IHK (links) und Beatrice Kramm und die ehrenamtliche Präsidentin der Kammer (rechts) hatten erwogen, die Kampagne zu starten, die sich gegen die Politik von Michael Müllers (Mitte) Senat richtet.
Jan Eder, der hauptamtliche Hauptgeschäftsführer der IHK (links) und Beatrice Kramm und die ehrenamtliche Präsidentin der Kammer (rechts) hatten erwogen, die Kampagne zu starten, die sich gegen die Politik von Michael Müllers (Mitte) Senat richtet.
© picture alliance / Soeren Stache

Der Umstand, dass Deutschlands Kammern von höchsten Gerichten in den vergangenen Jahren relativ enge Grenzen gesetzt worden sind, wenn es um öffentliche politische Stellungnahmen geht, habe nur eine untergeordnete Rolle gespielt, sagte Jörgt Nolte, der Politik-Chef der Berliner IHK. Der Grund für diese Einschränkungen liegt auf der Hand: Da jedes Unternehmen Pflichtmitglied in der Kammer ist, muss sie auch die Unternehmen vertreten, die eine von der Mehrheit abweichende Meinung haben.

Die sehr etablierte Werbeagentur Scholz & Friends wollte sich auf eine Anfrage des Tagesspiegels nicht zu dem Fall äußern. In der Regel ist es aber so, dass Kampagnenentwürfe von Werbeagenturen immer auf einem Prozess zwischen Auftraggeber und der Agentur basieren. Der Auftraggeber, in dem Fall die IHK, sagt der Agentur, was sie erreichen will. Die Agentur entwickelt dann Entwürfe, ohne die Zustimmung der Abgebildeten einzuholen, weil nichts davon für die Öffentlichkeit gedacht ist.

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