Bildungspolitik in Berlin: "Ich würde verbeamtete Lehrer alle in die Brennpunkte schicken"
Werden alle Berliner Schüler in Zukunft einen Schulplatz bekommen? Und wie werden die Schulen besser? Ein Interview mit der SPD-Bildungspolitikerin Maja Lasić.
Frau Lasić, zum übernächsten Schuljahr fehlen in Berlin tausende Schulplätze, auch Mitte ist stark betroffen. Die SPD führt das Bildungsressort seit 23 Jahren. Wie konnte es so weit kommen?
Auch die SPD kommt an den Zwängen der Realität nicht vorbei. Das heißt, wenn eine Stadt wächst, und das tut sie seit ein paar Jahren, müssen wir uns dem stellen. Die Herausforderung, die wir jetzt haben, zeichnet sich seit 2013/14 in dieser Stärke ab, seitdem wächst die Stadt um mehr als 40.000 Menschen pro Jahr. Ich glaube, die Schulbauoffensive könnte man kaum schneller umsetzen als wir es tun. Und das Thema Schulbau haben wir als Land bewusst mit übernommen. Das ist eigentlich Aufgabe der Bezirke. Wir greifen denen also sehr stark unter die Arme.
Sind Sie zuversichtlich, dass alle Berliner Schüler im übernächsten Jahr einen Schulplatz bekommen?
Wir machen alles, damit es möglich ist. Wir warten jetzt auf die tatsächlichen Zahlen. Diese Horrorzahlen von 26.000 fehlenden Plätzen sind eine Maximalprognose, die nicht realistisch ist. Wir werden haushalterisch vorgesorgt haben, damit beschleunigt ergänzende Schulbaumaßnahmen stattfinden können. Und ich bin guter Hoffnung, dass wir die Schulplatzversorgung sicherstellen werden. Das entbindet uns aber nicht von den harten Nutzungskonflikten, die wir teilweise um die Flächen führen.
Ein Beispiel?
Das Gelände des ehemaligen Diesterweg-Gymnasiums, hier in meinem Wahlkreis, dem Brunnenviertel. Das ist eine Debatte, bei der wir seit einem Jahr feststecken, dabei handelt es sich um eine Fläche, die wir in Mitte dringend als Schulstandort brauchen. Es ist nicht einfach, dass alle Beteiligten anerkennen, dass der Schulbedarf dort die wichtigste Priorität haben muss. Wir sind langsam soweit und wir sind auch kompromissbereit und versuchen, andere Interessen ebenfalls zu berücksichtigen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Schulbau dort die erste Prio sein muss.
Würden Sie sich also dafür aussprechen, nur Schulplätze auf dem Gelände zu entwickeln, oder können Sie sich auch eine Mischnutzung aus Schule, Wohnen und Kultur vorstellen, wie es die Initiative PS Wedding möchte?
Mit Mischung haben wir kein Problem, aber wir müssen auf die Umsetzbarkeit achten. Jeder, der sich auf die Fahne schreibt, dass es dort zwingend eine Mischung geben soll, inklusive meiner Koalitionspartner, der muss auch erklären, wie das funktionieren soll. Und Schule muss sein. Bisher habe ich noch kein Modell gesehen, das gleichermaßen die Bedürfnisse von PS Wedding und den notwendigen Schulbau abdeckt.
Sie haben sich dafür eingesetzt, dass Lehrer an sogenannten Brennpunktschulen einen Zuschlag von 300 Euro bekommen. Aktuelle Zahlen zeigen, dass diese Prämie aber nicht als Lockmittel, also als Steuerungsmechanismus, wirkt. Ist das Projekt damit gescheitert?
Ich werde nicht müde, zu erzählen, dass diese Prämie nichts mit der Steuerung zu tun hat. Steuern tut man, in dem man Lehrer, vor allem Beamte, dazu zwingt, an bestimmte Schulen zu gehen. Das haben wir vor 15 Jahren intensiv gemacht, in dem Lehrkräfte von Ost nach West und umgekehrt geschickt haben. Wir können das also, wir müssen das nur machen.
Sind Sie dafür?
Ja. Ich würde verbeamtete Lehrkräfte alle in die Schulen in schwieriger Lage schicken, weil ich es nicht verantworten kann, dass die Quereinsteiger sich vor allem dort ballen, wo die Probleme am größten sind. Das hat mit der Zulage nichts zu tun. Die Zulage ist dazu da, den Lehrkräften, die mehr arbeiten als ihre Kollegen an anderen Schulen, diese Mehrarbeit auch zu bezahlen. Wir können ihnen nicht weniger Stunden geben, das wäre das, was sie eigentlich bräuchten, damit der Aufwand vergleichbar ist. Dazu fehlen uns die Lehrkräfte. Aber zumindest bekommen sie mehr Geld. Da werden zwei Debatten vermengt, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben.
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Und wird Berlin Lehrerinnen und Lehrer bald wieder verbeamten, weil sich sonst nicht genügend finden?
Sie kennen den Stand der Debatte. Die SPD-Fraktion hat sich zwar zur Verbeamtung bekannt, aber ohne die Zustimmung der Partei können und wollen wir keinen Schritt tun. Der kommende Landesparteitag wird die Klärung der Sachfrage mit sich führen und dann wissen wir und die Stadt, wo wir dran sind.
Die Brennpunkt-Zulage sollen nach Wunsch von Schulsenatorin Sandra Scheeres auch Erzieherinnen und Erzieher in Kitas in schwieriger Lage bekommen…
Wir unterstützen das sehr, denn die Logik ist dieselbe. Man muss nur schauen, wie man das für die einzelnen Kitas bemisst. Wir haben in der Schule solide, nicht perfekte, Instrumente, um die soziale Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler festzustellen. Das war bisher in den Kitas nicht vorgesehen.
Apropos Brennpunkt. Ihr Bürgerbüro liegt an der Brunnenstraße, ein paar Meter weiter teilt die Bernauer Straße die Stadt weiterhin. Auf der einen Seite haben wir teure Eigentumswohnungen, Galerien und schicke Cafés, auf der anderen Sozialwohnungen und viele Spielcasinos. Was kann die Landesregierung gegen die wachsende Ungleichheit in der Stadt tun?
Da muss man zwischen Außen- und Innenbezirken unterscheiden. In den Innenbezirken gibt es an vielen Stellen bereits eine Durchmischung der Bevölkerung. Zum Beispiel hier im Brunnenviertel haben wir nicht nur sozialen Wohnungsbau, sondern auch Altbauten. Menschen verschiedener sozialer Schichten leben hier, wir sind durchmischter als zum Beispiel der Ortsteil Mitte. Das Problem ist, dass diese Menschen einander nicht begegnen, zum Beispiel nicht in der Schule. Unser Ziel ist, dass unsere Schulen so gut werden, dass auch die Mittelschichtsfamilien im Kiez ihre Kinder gerne hier in die Schulen schicken.
Und wie werden die Schulen so gut?
Zum Teil werden Sie es aus eigener Kraft. Die Gustav-Falke-Grundschule zum Beispiel hat es durch ein scharfes Profil in den vergangenen acht bis zehn Jahren geschafft, sich einen sehr guten Ruf zu erarbeiten. Sie haben naturwissenschaftliche Klassen gebildet, für die man ein bestimmtes sprachliches Niveau braucht. Und haben damit auch Familien der Mittelschicht die Sicherheit gegeben, dass ihr Kind dort angemessen gefördert wird. Dieses Beispiel soll Schule machen, wir würden gerne gerade Schulen in schwieriger Lage besonders in ihrer Schulentwicklung stärken. Dazu sind wir nach London gefahren, um uns anzuschauen, wie die das machen, und würden gerne einiges davon in Berlin übernehmen. Datenbasierte Schulentwicklung, zeitliche Ressourcen für Entwicklung von Konzepten und Peer-to-Peer-Lernen wären Fachbegriffe, mit denen sich die mögliche Berlin-Challenge beschreiben ließe.
Themenwechsel. Auf Bundesebene sucht die SPD gerade nach einer Doppelspitze. Kommt die auch auf Landesebene und in der Fraktion?
Bei der Partei würde ich fast behaupten, dass das gesetzt ist. Wir haben einen Vorschlag des Landesvorstands, der positiv votiert ist und jetzt auf dem Landesparteitag abgestimmt wird. Nach Oktober werden wir dann in unserem Statut verankert haben, dass wir die Möglichkeit haben, auf allen Ebenen der Partei Doppelspitzen zu haben, das halte ich für hervorragend. In der Fraktion wird sich das nach der nächsten Wahl zeigen. Ich mach keinen Hehl daraus, dass ich grundsätzlich ein Fan von Doppelspitzen bin.
Würden Sie sich auch zur Wahl stellen?
Ich habe keine Ahnung, ob ich dem nächsten Parlament angehöre. Das werden die Wählerinnen und Wähler entscheiden.
Und was ist mit dem Paritégesetz? Da hat sich die SPD ja noch nicht eindeutig positioniert. Sind Sie dafür?
Ich bin zwingend dafür und wir müssen da auf die Tube drücken.
Noch ein bisschen konkreter: Es gibt die Möglichkeit, das nur über paritätische Listen zu steuern, oder auch die Wahlkreise zu halbieren und jeweils einen Mann und eine Frau wählen zu lassen. Sind Sie für die große oder die kleine Lösung?
Es gibt bisher keine abgestimmte SPD-Position dazu. Ich persönlich würde auch die Wahlkreise mit einbeziehen.