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Alte Maschine der Air Berlin
© Rainer W. During

Air-Berlin-Gründer Lundgren: „Ich wollte immer ein gutes, kleines Unternehmen”

Vor genau 40 Jahren hob erstmals ein Jet der Airline in Tegel ab. Ihr Gründer hat die Pleite von 2017 bisher nie öffentlich kommentiert. Jetzt blickt er zurück.

Seit eineinhalb Jahren ist Air Berlin Geschichte. Am 28. April hätte die Airline den 40. Jahrestag ihres Erstfluges feiern können. 1979 hatte alles ganz bescheiden mit nur zwei Flugzeugen begonnen.

Was kaum noch jemand weiß – damals war Air Berlin eine amerikanische Fluggesellschaft, eigens gegründet für den damals unter Hoheit der Alliierten stehenden Luftverkehr von und nach West-Berlin. Einer, der besonders an diesen Tag zurückdenken wird, ist Kim Lundgren (76), der Gründer des Abenteuers Air Berlin.

Lundgren entstammt einer traditionsreichen Familie aus Oregon, ganz oben im Nordwesten der Vereinigten Staaten. Mit Wurzeln, die zurückreichen nach Schweden und den schottischen Orkney-Inseln. Sein Großvater mütterlicherseits, John Adam Zehntbauer, war 1910 Mitbegründer des berühmten Bademodenherstellers Jantzen, dessen Logo bis heute eine Schwimmerin im roten Badeanzug ist. Vater Leonard Lundgren gründete den Holzwirtschaftskonzern Lelco.

Der junge Kim absolviert neben dem Architekturstudium eine Pilotenausbildung, tritt 1967 in den Dienst der legendären PanAm. Die versetzt ihn drei Jahre später nach West-Berlin, wo sie sich mit Air France und British European Airways die überwiegend nach „Westdeutschland“ gehenden Linienflüge teilt. Die führen durch die drei 1945 von den Siegermächten vereinbarten Luftkorridore über die DDR und sind Fluggesellschaften aus Frankreich, Großbritannien und den USA vorbehalten.

Familienunternehmen. Kim (l.) und sein Sohn Shane Lundgren, der lange als Pilot für Air Berlin flog
Familienunternehmen. Kim (l.) und sein Sohn Shane Lundgren, der lange als Pilot für Air Berlin flog
© Rainer W. During

Doch auch die PanAm baut Stellen ab. Da kommt die Geschäftsidee. Bisher gibt es für Manager und Prominente kein Lufttaxi, das in West-Berlin starten und landen darf. Zusammen mit einem Partner erwirbt Lundgren ein zweimotoriges Kleinflugzeug vom Typ Turbo-Commander und gründet 1977 die daheim in Oregon registrierte Berlinair. Zu den Passagieren zählen Dirigent Herbert von Karajan und Österreichs Bundeskanzler Bruno Kreisky.

Wirklich Geld verdient hat man damit nicht, erinnert sich Kim Lundgren, als wir ihn in London treffen. „Wir haben gerade einmal so überlebt“. Da tut sich eine neue Herausforderung auf. Die US-Gesellschaft Modern Air hatte mit ihren vierstrahligen Coronado-Jets eine neue Qualität in den Westberliner Ferienflugverkehr gebracht, war aber auf dem Höhepunkt der damaligen Ölkrise an dem hohen Spritverbrauch ihrer Maschinen gescheitert.

Geld verdient man zunächst mit dem Bordverkauf

Weil der Nachfolger versagte, sucht der Berliner Flug-Ring (BFR) als größter Pauschalflugreiseveranstalter einen neuen, seriösen Flugpartner.

Gemeinsame Kontakte bringen Lundgren und den einstigen Modern-Air-Chef John MacDonald zusammen. Am 11. Juli 1978 wird die Air Berlin als Tochtergesellschaft des Lelco-Konzerns ins Handelsregister des Bundesstaates Oregon eingetragen, zwei vierstrahlige Boeing 707 werden gebraucht beschafft. Der BFR plant sein Reiseprogramm für 1979 mit der bislang noch lizenzlosen Airline.

Eine Zitterpartie – erst am 23. April 1979 erhält die Air Berlin ihre Betriebslizenz. Damit es keine Zweifel an ihrer Nationalität gibt, muss sie hinter ihrem Namen die Buchstaben USA tragen. Nur fünf Tage später startet in Tegel der erste Flug mit 178 Urlaubern nach Palma.

Geld verdient man zunächst nicht mit den Flugtickets, sondern mit dem Bordverkauf von zollfreien Artikeln, erinnert sich Lundgren. Schon damals will man mehr, startet 1980 Linienflüge nach Brüssel und Florida und versucht 1981, das Monopol der PanAm auf der Rennstrecke nach Frankfurt zu brechen.

Das Vorhaben scheitert an den Bedenken der Westmächte, die den sensiblen Berlin-Flugverkehr nicht durch Konkurrenzkampf gefährden wollen. Geschäftsführer MacDonald wirft das Handtuch. Die PanAm rächt sich und übernimmt mit Dumping-Preisen die BFR-Ferienflüge, Air Berlin überlebt dank der Unterstützung eines anderen Veranstalters, Unger Flugreisen. Ab 1986 fliegt man mit nur noch einer Maschine. Die nagelneue Boeing 737-300 ist dafür der modernste Jet im Berlin-Verkehr.

Inhaber Kim Lundgren ist überzeugt, dass die Mauer nicht ewig stehen wird und die Zeit hier für eine amerikanische Airline begrenzt ist. Er sucht frühzeitig Kontakt zu potenziellen deutschen Partnern. „Ich wusste, wir können jemandem helfen, auf den Berliner Markt zu kommen, bevor die Lufthansa, bevor jemand anders den Fuß in der Tür hat. Wir wären bereits da, wenn die Mauer fällt, um gemeinsam das Geschäft zu übernehmen und die Airline in Berlin zu werden.“

Die PanAm rächt sich

Werner Hühn, der ehemalige Chef der LTU-Fluggesellschaft, ist es schließlich, der ihn kontaktiert, erinnert sich der Firmengründer. Man denkt zunächst an eine kleine Ferienfluggesellschaft mit fünf bis sechs Flugzeugen, finanziert durch eine kleine Gruppe von Investoren.

Die besorgt Hühn, den Ex-Vizevorstandschef der Bank für Gemeinwirtschaft, Hans-Joachim Knieps, die Brüder Severin und Rudolf Schulte (Haushaltsgerätewerk und Reisebüros) und seinen ehemaligen LTU-Marketingdirektor Joachim Hunold. Der wird zum geschäftsführenden Gesellschafter ernannt. Lundgren selbst behält mit 26 Prozent den größten Anteil und Air Berlin wird 1992 eine deutsche Fluggesellschaft, der erste und einzige Nationalitätswechsel einer amerikanischen Airline.

Joachim Hunold sei damals der richtige Mann gewesen, um die nunmehr deutsche Airline unter den sich verändernden Marktbedingungen auf Kurs zu bringen, resümiert Lundgren. Er habe die Zeichen der Zeit, die Veränderungen der Branche, schneller erkannt als andere und die neue Air Berlin geprägt.

So gut wie die Dinge laufen, beschließt Lundgren, sich einen Traum zu erfüllen, lässt die Segelyacht „Metolius“ bauen und startet 1994 mit seiner norwegischen Ehefrau Reidun zu einer Weltumrundung der besonderen Art.

Von Holland aus geht es in die Antarktis und rund um Kap Horn via Chile bis zu den Fidschi-Inseln. In den Folgejahren wird die Reise meist in den Ferien fortgesetzt, über Australien, Südafrika, Brasilien und New York zum Polarkreis, dann über Island und Norwegen zurück nach Holland. Als die „Metolius“ dort im September 1999 festmacht, hat sie knapp 100.000 Kilometer zurückgelegt.

In Deutschland beginnen die Dinge indes langsam aus dem Ruder zu laufen. Air Berlin fährt einen gewaltigen Expansionskurs. Er sei nicht mit allen Entscheidungen der Geschäftsleitung einverstanden gewesen, resümiert Lundgren. Die habe sich immer stärker an Marketinggesichtspunkten orientiert und die Wirtschaftlichkeit aus den Augen verloren.

Nach dem Börsengang 2006 beginnt Air Berlin, andere Airlines am laufenden Band aufzukaufen, die Flotte wächst von knapp 50 auf bis zu 170 Maschinen. „Ich hätte so etwas nie gemacht, ich wollte immer ein gutes, kleines Unternehmen“, sagt Lundgren.

Die Ringerike Luftfahrtbeteiligungs GmbH, über die seine Familie ihre Aktien hält, ist zu dieser Zeit über Produktionsgesellschaften Mitfinanzier zweier 2007 gedrehter Hollywoodfilme. Der Thriller „Wanted“ mit James McAvoy und Angelina Jolie sowie die Komödie „Vielleicht, vielleicht auch nicht“ mit Bryan Reynolds.

Mit dem Börsengang sind die Anteile der Altaktionäre deutlich geschrumpft. Die Familie Lundgren hält nur noch 9,44 Prozent, beschließt, auch diese abzugeben. Sohn Shane Lundgren – seit vielen Jahren als Flugkapitän für Air Berlin tätig – legt den Grundstein für den späteren Einstieg der Fluggesellschaft Etihad.

Geldspritzen aus Abu Dhabi

Ende 2007 fliegt er nach Abu Dhabi und Dubai, um bei einem ersten Treffen mit dem damaligen Etihad-Boss James Hogan nicht nur den Verkauf der Lundgren-Aktien, sondern auch eine größere Beteiligung zu diskutieren. Der gibt sich anfangs skeptisch, sieht dann aber in Air Berlin einen idealen Zubringer für die eigenen Strecken. Zum tatsächlichen Einstieg der Araber kommt es dann erst vier verlustreiche Jahre später nach dem Ausscheiden von Joachim Hunold, kurz nach dem Amtsantritt von dessen Nachfolger Hartmut Mehdorn.

Nach der Insolvenz wurde das Air Berlin-Inventar versteigert. Darunter die berühmten Schokoherzen.
Nach der Insolvenz wurde das Air Berlin-Inventar versteigert. Darunter die berühmten Schokoherzen.
© Antonia Hofmann/dpa

Die Geldspritzen aus Abu Dhabi waren wohl die einzige Überlebensmöglichkeit für Air Berlin, meint Kim Lundgren. Anfangs habe er noch Vorschläge gemacht und versucht, Einfluss zu nehmen. „Aber dann haben wir uns mit anderen Dingen beschäftigt.“

Die letzten Jahre der Air Berlin, der die Araber 2017 den Geldhahn zudrehten, nachdem sie auch drei weitere Geschäftsführer nicht zurück in die Gewinnzone bringen konnten, hat er nur noch aus der Distanz verfolgt

Verbittert ist Kim Lundgren nicht über das Ende der von ihm gegründeten Fluggesellschaft. Viele große Airlines seien im Laufe der Jahre vom Markt verschwunden, sagt er und nennt Namen wie etwa die PanAm und TWA.

Vom Meer zog es Kim und Reidun Lundgren in die Berge, sie unternahmen lange Wanderungen im Himalaja und bestiegen in Argentinien den höchsten Berg Amerikas, den Aconcagua (6962 Meter). An ihren drei Wohnsitzen in England, Norwegen und den USA sind sie nur selten anzutreffen. Reisen ist ihr Hobby. 160 Länder haben sie bereits besucht, mit Sri Lanka hakten sie gerade ein weiteres Ziel ab.

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