zum Hauptinhalt
Monika Grütters soll den Vorsitz der Berliner CDU übernehmen.
© Thilo Rückeis

Monika Grütters zur Berliner Koalition: „Ich warne Rot-Rot-Grün vor Ideologie und Gängelband“

Kultur-Staatsministerin Monika Grütters über Berlins künftige Regierung, den Neuanfang der Hauptstadt-CDU und verrohte Sprache und Populismus. Ein Interview.

Frau Grütters, in den westlichen Demokratien ist vielerorts eine Verrohung der politischen Sprache zu bemerken, ein Verlust von Zivilisiertheit.

Das stimmt. Und das ist besorgniserregend. Denn Sprache steht nicht isoliert für sich, sondern ist auch Ausdruck einer Gesinnung. Ich warne eindringlich davor, sprachlich zu verwahrlosen. Sprache bildet Wirklichkeit nicht nur ab, sondern sie formt sie auch. Begriffe wie „Flüchtlingswelle“ oder „Flüchtlingsflut“ suggerieren eine Naturkatastrophe und wecken die Illusion: Schotten dicht, Obergrenze, und die Welt ist wieder in Ordnung. Genau so ist es aber nicht. Es geht um Millionen Einzelschicksale – denen müssen wir gerecht werden.

Sehen Sie durch diese harten, verächtlichen Töne die Demokratie gefährdet?

Ja, gerade deshalb müssen wir unsere zivilen Umgangsformen verteidigen. Sie sind Ausdruck des Reifeprozesses einer Gesellschaft. Mich erschreckt, dass im politischen Geschäft manche Personen mit geradezu obszönem Charisma am Ende auch noch Erfolg haben. Besonnenheit, Respekt, zivile Umgangsformen, Höflichkeit, das brauchen wir, da sollten wir Vorbild sein. Ich glaube, dass eine Mehrheit unserer Bürger genau das jeder reißerischen Aufmachung vorzieht. Es gibt eine große Sehnsucht nach jemandem mit Verlässlichkeit und Standhaftigkeit, nach Mäßigung und nach Erfahrung.

Wäre es auch Zeit gewesen für eine Frau im Amt des Bundespräsidenten?

Für Frauen ist die Zeit eigentlich immer reif. Einem solchen Angebot sollte man im Zweifelsfall auch den Vorzug geben. Das gab es hier aber nicht.

Ein Armutszeugnis, dass die Union keinen eigenen Kandidaten fand?

Es gab und gibt Namen, die präsidial wären. Dass wir uns mit Frank-Walter Steinmeier auf einen solchen Kandidaten verständigt haben, ist ein gutes Signal für die große Koalition.

Was wären gute Signale für die CDU in Berlin?

Auch hier ist offensichtlich die Zeit reif für eine Frau. Dass meine Partei das ebenfalls so sieht, ist ein schönes Signal. Ich empfinde es als Anerkennung meiner Arbeit, schließlich habe ich mit meinem Kulturengagement nicht immer im Zentrum der klassischen CDU-Themen gestanden. Die Berliner CDU zeigt so, dass sie sich den wichtigen Großstadtthemen stellt.

Die Rolle der CDU im Senat in den vergangenen fünf Jahren wurde von den Berlinern nicht honoriert.

Stimmt. Und was für die Stadt noch schwerer wiegt: CDU und SPD haben beide massiv Stimmen verloren. Gestärkt wurden nur die Ränder links und rechts. Entscheidend wird sein, dass die CDU jetzt noch stärker auf die Großstadtbedürfnisse reagiert, also auf Fragen der Mobilität, des Wohnens, auch der Sicherheit. Die großen Potenziale Berlins liegen in Wissenschaft und Kultur, auch dies müssen wir immer wieder betonen. Und natürlich geht es immer um den Umgang mit Vielfalt.

Wie muss sich die Berliner CDU verändern, muss es eine Stärkung des Mitgliederprinzips geben, mehr Durchlässigkeit, um den Vorwurf zu entkräften, eine Politik-Elite schotte sich ab?

Die Union hat in den vergangenen Jahren geschlossen gestanden, so wie viele Jahre zuvor nicht. Ich glaube nicht, dass die Mitglieder das Gefühl haben, außen vor zu sein. Aber natürlich ist Partizipation dabei ein maßgeblicher Faktor. Das Mitgliederprinzip kann bei bestimmten Entscheidungen sehr hilfreich sein, ein Allheilmittel ist es aber nicht.

Ist es nicht abstoßend für Wähler, wenn sich Politiker der großen Koalition oder ihrer CDU/CSU beharken und streiten?

Dass so ein Streit das Publikum irritiert, kann ich verstehen. Wenn man Anstand einfordert, dann muss man das auch selbst vorleben. Das ist das eine. Andererseits ist es so, dass der Ton in einer Vorwahlzeit natürlich immer rauer wird. Die Parteien wollen sich abgrenzen und deutlich darstellen, sonst wird ihnen schnell Profillosigkeit vorgeworfen.

Wie soll die Union auf die zunehmend fragmentierte Gesellschaft eingehen?

Das Bedürfnis nach Bindung und Zugehörigkeit, auch nach Verantwortung, ist eine herausragend bürgerliche Eigenschaft. Gleichzeitig haben sich z. B. die Bilder von Familie längst stark verändert. Es gibt neue Muster des Zusammenlebens, was eine gesunde und normale Entwicklung ist. Biologisch begründete Bindungen werden heute oft durch solche aus persönlicher und frei gewählter Entscheidung abgelöst.

Die rechte Rhetorik zielt auf Menschen, die sich allein gelassen fühlen, abgehängt. Haben Sie darauf eine Antwort?

Ich glaube, es geht uns besser, wenn wir akzeptieren, dass die Globalisierung kein abstrakter Begriff ist, sondern dass sie längst hier bei uns angekommen ist. Das Gefühl einer neuen Unbehaustheit, die Einsamkeit des Ich – eine Einsamkeit gerade bei Großstadtmenschen ist ja nicht zu leugnen, das nehmen wir ernst. Man kann gerade hier in Berlin beobachten, wie viele Mitmenschen nach einer kleineren, nach einer konkreten Bezugsgröße suchen, nach einer Bindung im Bezirk, wenn Sie so wollen. Kommunalpolitik wird aufgewertet in diesen Zeiten.

In Berlins Parlament gibt es eine AfD-Fraktion, auch im Bundestag könnte es 2017 so weit sein. Muss man sich fürchten oder üben, wie man sich derer erwehren kann?

Man muss sich nicht vor den Populisten oder den AfD-Politikern fürchten, sondern vor ihrer Gesinnung. Populisten behaupten, dass sie für alle Menschen sprechen und die Mehrheitsmeinung vertreten. Das aber stimmt nicht. Wir anderen, die besonnener, differenzierter, leiser sind, müssen Antworten auf die Anmaßungen der Populisten finden, ohne selbst in ein solches Muster zu verfallen. Nicht Gleiches mit Gleichem beantworten. Weder vom Stil her noch inhaltlich, und wenn es noch so verführerisch ist. Dass in Deutschland so viele Menschen diese Populisten wählen, finde ich besorgniserregend. Versuchen wir, ihnen klar und eindeutig zu begegnen, nicht aber plakativ. Das Leben ist nämlich viel komplizierter als das, was Populisten uns glauben machen wollen.

Es gibt auch unter Populisten viele Menschen, die gebildet und ausgebildet sind.

Bildung und Weltläufigkeit schützen nicht vor populistischen Anwandlungen und allzu einfachen Ansagen. Komplizierter wird es, wenn wir uns um eine Wertediskussion bemühen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der der Wunsch nach Selbstvergewisserung enorm groß ist, weil alle spüren, dass es unser Wertesystem selbst ist, das infrage gestellt wird. Wir haben nach dem Krieg viel lernen müssen, und bisher konnten wir uns auf eine kritisch-konstruktive Form des Miteinanders verständigen, auf eingeübte Verhaltensnormen im Rechtsstaat. Dieser Modus unseres Zusammenlebens scheint Risse zu bekommen. Eine intellektuelle und emotionale Heimatlosigkeit macht sich bemerkbar. Deswegen müssen auch zivilgesellschaftliche Kräfte den Mut haben, sich zu artikulieren und das nicht nur den gewählten Volksvertretern überlassen. Eine Gesellschaft, die sich ihrer eigenen Identität sicher ist, kann dem Fremden, dem Anderen Raum geben, ohne sich dadurch bedroht zu fühlen.

Was sind Ihre Erwartungen an Berlins künftige Landesregierung?

Die rot-rot-grüne Koalition wird noch beweisen müssen, dass sie Berlins drängende Probleme lösen kann. Auffällig und fragwürdig ist vor allem, dass der Regierende Bürgermeister Müller offenbar glaubt, das große und für Berlin existenziell bedeutsame Ressort Wissenschaft mit links erledigen zu können. Die Wissenschaft als Anhängsel an die Senatskanzlei – das wäre schon ein grobes Missverständnis. Das Kulturressort zwar zu verselbstständigen, es zugleich aber einem Neuling auf diesem Feld zu überlassen, ist auch ein interessantes Experiment. Wenn der künftige Senat wirklich den Zuschuss Berlins an der Finanzierung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz deckeln will, ist das unseriös. Ich warne davor, die Rechnung ohne den Wirt zu machen. Man fasst keine Beschlüsse zulasten Dritter, denn an der Stiftung sind alle Bundesländer beteiligt.

Die Bundesregierung hat gerade sehr viel Geld für Berliner Kulturprojekte bereitgestellt, etwa für den Wiederaufbau der Schinkelschen Bauakademie. Gibt es Vorhaben der rot-rot-grünen Koalition, die das Verhältnis zur Bundesregierung beeinträchtigen könnten?

Ich habe mit dem Regierenden Bürgermeister und Kultursenator Michael Müller gut zusammengearbeitet. Warnen möchte ich aber vor Ideologie bei den Inhalten und vor dem staatlichen Gängelband. Diesen Etatismus, mit dem wir hier in Berlin häufig konfrontiert werden, und der bei der SPD und den Grünen stark ausgeprägt ist, kann ich gar nicht ertragen. Das passt nicht zu den schlauen und kreativen Freigeistern in Kultur und Wissenschaft. Da artikuliert sich ein manifestes Misstrauen der so staatsgläubigen Politiker gegenüber unseren Einrichtungen und letztlich auch gegenüber den zivilgesellschaftlichen Akteuren.

Sie als Kulturpolitikerin sind froh, dass Unter den Linden autofrei werden soll?

Nein, das ist der falsche Ort und eine nicht zu Ende gedachte Symbolpolitik. Wäre es nicht eine Idee, hier mal die Bürger zu fragen, ob Unter den Linden autofrei sein soll – da käme sicher etwas anderes raus, als Rot-Rot-Grün sich ausdenkt. Das „Experiment Autofrei“ finde ich allerdings durchaus bedenkenswert, und ich bin auch dafür, den Bedürfnissen der Radler mehr Rechnung zu tragen. Aber ich zweifele, ob sich dafür ausgerechnet Unter den Linden eignet, wo doch keiner freiwillig spazieren geht, weil es dort kaum Geschäfte und Cafés gibt. Bestenfalls der Abschnitt am Humboldt-Forum und an der Museumsinsel ist einladend, aber das gilt doch nicht für die restliche Strecke bis zum Brandenburger Tor. Außerdem sind die schmalen Ausweichstraßen ja jetzt schon viel zu voll.

Wäre dagegen die Rückversetzung des Schlossbrunnens vom Roten Rathaus an den historischen Platz vor dem Humboldt- Forum das richtige Symbol?

Die Vollendung der historischen Mitte sollte man im 21. Jahrhundert selbstbewusst nach heutigen Maßstäben beantworten. Ich hätte mir ja auch auf dem Schlossplatz eine zeitgenössische Architektur vorstellen können. Meiner Wahrnehmung nach ist es nicht mehr nur der restaurative Entwurf, der alle glücklich macht. Etwas mehr Vertrauen in die Gegenwart, bitte!

Das halb fertige Humboldt-Forum sieht grandios aus mit seiner Backsteinfassade, die aber noch unter Putz verschwinden soll. Kann man das verhindern?

Ich bin ein Backstein-Fan. Deshalb gefällt mir der Entwurf von Herzog & de Meuron für das Museum der Moderne so gut. Und auch die Schinkelsche Bauakademie ist so ein wunderbares Backstein-Gebäude. Es ist natürlich ahistorisch, aber ich verliebe mich gerade in den halb fertigen Zustand des Schlosses mit der jetzigen Backstein-Aussicht. Aber da verzichten wir besser auf solche Träumereien …

Das Geld für den Bau eines Freiheits- und Einheitsdenkmals vor dem Humboldt-Forum ist gesperrt. Ist das Projekt erledigt?

Es hat nicht am Geld gelegen und auch nicht am Entwurf, dass das Projekt nicht vorankommt. Es gab zu wenig Rückhalt in der Gesellschaft für diesen Entwurf einer „Waage“. Wir müssen uns fragen, ob wir überhaupt in der Lage sind, ein Nationaldenkmal zu errichten, das unsere Freiheitstraditionen 1848, 1918, und insbesondere die Friedliche Revolution in der DDR und die Wiedervereinigung als historische Leistung vieler Bürgerinnen und Bürger reflektiert? Kann es heute in unserer pluralistischen Demokratie noch so etwas wie ein nationales Denkmal geben – eine Formensprache, die anschlussfähig ist an unterschiedliche Standpunkte? Zunächst einmal ist es traurig, dass das Bemühen um dieses Freiheits- und Einheitsdenkmal gescheitert ist – sowohl in Berlin als auch in Leipzig.

Wenn man auf diesen Sockel vor dem Schloss geht, auf diesen historischen Grund, muss man das ja auch bedenken.

Der Grund ist auch historisch „kontaminiert“ und schwierig. Die Mosaiken galten den damaligen Ländern wie Elsass-Lothringen, Schlesien und Pommern. Das ist nicht vereinbar mit der Botschaft von Freiheit und Einheit heute. Mit diesen Brüchen müssen wir ehrlich umgehen und zugeben, dass das doch nicht der richtige Standort war. Ich habe eher eine Sympathie dafür, noch einmal einen Denkmal-Versuch in Leipzig zu unternehmen, wo ja mit den Montagsdemonstrationen alles anfing.

Das Interview führten Gerd Nowakowski und Rüdiger Schaper. Das Foto machte Thilo Rückeis.

Zur Person: Monika Grütters stammt aus Münster und studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Politik. In Berlin war sie unter anderem Sprecherin der Senatsverwaltung für Wissenschaft. Sie ist Honorarprofessorin an der Freien Universität Berlin und sitzt im Zentralkomitee der deutschen Katholiken.

Von 1995 bis 2005 war Grütters für die CDU im Abgeordnetenhaus von Berlin; seit 2005 gehört sie dem Bundestag an. Seit 2013 ist sie Staatsministerin für Kultur und Medien. 2013 war sie Spitzenkandidatin der Berliner CDU für die Bundestagswahl. Am 2. Dezember soll Grütters als Nachfolgerin von Frank Henkel den Vorsitz der Berliner CDU übernehmen.

Zur Startseite