Nach Einigung auf Steinmeier als Bundespräsident: Angespannte Stimmung in der Großen Koalition
Die Parteichefs der großen Koalition zeigen sich bei Steinmeiers Vorstellung als Kandidat für das Bundespräsidentenamt einig, dahinter aber wird der Ton rauer.
Es sollte sein Podium werden, eines, das ganz zu ihm passt: Punkt 12 Uhr mittags tritt Frank-Walter Steinmeier an diesem Mittwoch als erster hinter eine Reihe Rednerpulte auf der Fraktionsebene des Reichstags. Ihm folgen die Kanzlerin und die Vorsitzenden von SPD und CSU. Die drei Parteichefs – Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer – hatten sich darauf geeinigt, den Sozialdemokraten Steinmeier zum Kandidaten der großen Koalition für das Amt des Bundespräsidenten vorzuschlagen. Weil die Stimmen der drei Parteien in der Bundesversammlung weit überwiegen, gilt als sicher, dass die Abstimmung am 12. Februar faktisch nichts anderes als eine feierliche Beförderung des derzeitigen amtierenden Außenministers ins höchste Staatsamt sein wird.
Von „Verantwortung“ und „Ehre“ sprach denn auch Steinmeier schon an diesem Mittwochmittag. Er versprach, ganz Staatsmann, die Deutschen zusammenzuführen und ein Mut machender Präsident zu werden. Und beinahe hätte man angesichts seines präsidialen Tons wirklich meinen können, die Wahl sei eigentlich schon gelaufen und das Staatsoberhaupt spreche zu seinem Volk. Auch die CDU-Vorsitzende, SPD-Chef Gabriel und der bayerische Ministerpräsident beschränkten sich in ihren Wortbeiträgen auf Sätze, die von gegenseitiger Achtung und Zurückhaltung bestimmt waren. Merkel lobte Steinmeier als einen „richtigen Kandidaten in dieser Zeit“, Seehofer hob dessen Besonnenheit hervor und nannte ihn einen „Mann des Ausgleichs“. Der Sozialdemokrat Gabriel brachte es sogar fertig, nach dem Lob seines Parteifreundes mit keinem einzigen Wort zu erwähnen, dass er es letztlich war, der Steinmeier als Kandidaten der SPD vorgeschlagen und seine beiden Koalitionspartner damit in die Ecke gedrängt hatte. Schließlich stimmten die letztlich nur mangels Alternativen zu. So viel Harmonie und parteipolitische Zurückhaltung wurde lange nicht mehr von den Protagonisten der großen Koalition vorgetragen.
Niederlage der Union
Abseits der Podien allerdings sieht es im Regierungsbündnis ganz anders aus. Zehn Monate vor der nächsten Bundestagswahl haben die beiden Volksparteien CDU und SPD mit innerparteilichen Unsicherheiten zu kämpfen, die nicht zuletzt mit ihren Spitzenleuten zu tun haben. Denn weder hat sich Angela Merkel bis jetzt dazu bekannt, ihre CDU ein weiteres Mal in den Wahlkampf zu führen, noch kann die SPD sicher sein, dass Sigmar Gabriel das ihm zustehende Recht wahrnimmt und als Kanzlerkandidat antritt. Zugleich wird der Ton zwischen den Partnern rauer, womit die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass Union und SPD ihren ursprünglichen Plan, so lange wie möglich zu regieren, noch umsetzen können.
Erst am Dienstag hatte der Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzende beim Arbeitgebertag vor allzu großen Hoffnungen auf weitreichende Entscheidungen zur langfristigen Stabilisierung der Rente gewarnt. Die finanziellen Größenordnungen, die derzeit diskutiert würden, nannte Gabriel „zurückhaltend gesagt anspruchsvoll“ – was in beiden Lagern gleichermaßen als Hinweis darauf gewertet wurde, dass eine Einigung etwa bei der Ost-West- Angleichung, der Erwerbsunfähigkeitsrente sowie der Mütterrente schwierig werden könnte. Zumal die Bereitschaft der Union zunehmend sinkt, am Ende eines Rentenstreit erneut als politische Kraft dazustehen, die zwar die Mehrheit in der Koalition stellt, aber sozialdemokratischer Politik zustimmen muss. So eine Niederlage wie die Kandidatensuche für das Schloss Bellevue, heißt es in der Union, könne man sich ohne Gesichtsverlust nicht noch einmal bieten lassen.
Wie angespannt die Stimmung in der CDU, aber auch in Merkels unmittelbarer Umgebung ist, wurde am späten Dienstagabend einmal mehr deutlich. In einem Interview mit dem amerikanischen Fernsehsender CNN wurde der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), auf die Rolle der international geschätzten deutschen Kanzlerin in Zeiten zunehmender globaler Unsicherheiten nach der US-Präsidentschaftswahl angesprochen – und nach Merkels ausstehender Bereitschaft, den Job weiter zu machen. Der Außenpolitiker Röttgen zeigte sich daraufhin sicher, dass Merkel auch zu einer weiteren Kanzlerschaft bereit ist und im kommenden Jahr zur Wahl antreten wird. Vor ihm hatten diese Überzeugung bereits mehrere CDU-Spitzenpolitiker zum Ausdruck gebracht, ohne größere mediale Aufregung.
Röttgens Antwort jedoch („Sie wird als Kanzlerkandidatin antreten“) wurde sofort weltweit als Nachricht verbreitet. CDU-Zentrale und Regierungssprecher fühlten sich gedrängt, noch in der Nacht richtigzustellen, was wiederum für Verunsicherung sorgte. Hatte doch Röttgen nichts anderes ausgesprochen, als das, was viele in der CDU erwarten: Merkel wird die Welt jetzt nicht mit Putin, Erdogan und Trump sitzen lassen, wird im Sommer zum G-20-Gipfel in Hamburg empfangen und die CDU in den nächsten Wahlkampf führen. Dennoch wollten Regierungs- und CDU-Zentrale richtigstellen, dass Merkel ihre Entscheidung zu gegebener Zeit selbst bekanntgeben werde.
Erhofft wird nun, dass sich Merkel nicht mehr sehr viel Zeit damit lässt. Am Wochenende trifft sich ihr Parteivorstand zur Klausur. Und wer wird ihr im Wahlkampf auf sozialdemokratischer Seite gegenüber stehen? Gabriel hat der Öffentlichkeit und seiner Partei bewiesen, dass er – wenn auch mit hohem Risiko – einen Präsidentschaftskandidaten aus den eigenen Reihen durchsetzen kann. Ob die SPD das als erste optimistisch stimmende Personalie des anbrechenden Wahljahrs werten darf, ist damit aber noch keineswegs sicher.