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Michael Müller, Jahrgang 1964, ist seit 2014 Regierender Bürgermeister von Berlin. Seit 2016 ist er auch Wissenschaftssenator.
© Hannes Heine

Interview mit Michael Müller zur Coronakrise: „Ich selbst bin aus einem Restaurant rausgegangen“

Wie geht es Berlin? Der Regierende Bürgermeister spricht im Interview über Firmen und Familien, Eigenverantwortung bei Lockerungen und Innovation in der Krise.

Herr Müller, wie geht es Ihnen? Das ist momentan ja eine wichtige Frage.
Gut geht’s mir! Natürlich ist das eine Situation, an die man sich erst gewöhnen musste, mit einem ganz anderen Arbeitsrhythmus. Keine Abendveranstaltung, kein Grußwort, keine Preisverleihung. Dafür stundenlange Telefon- und Videokonferenzen auch am Abend und am Wochenende. Im Senat arbeiten wir seit Wochen sehr intensiv und sehr konstruktiv zusammen, um die Krise in der Stadt zu bewältigen. Trotz allem bleibt die Zeit für alle sehr belastend.

Bei Markus Lanz haben Sie gesagt: „Eigentlich geht man genau dafür in die Politik, dass man Dinge entscheiden kann, aber auch guckt, wie man es gut organisiert.“ Inzwischen eilt Ihnen der Ruf voraus: Müller kann Krise. Das tut gut, oder?
Solche Bestätigung tut natürlich gut. Aber die Krise bedrückt, für die Stadt ging so viel verloren, nicht nur an Wirtschaftskraft und Arbeitsplätzen. Und ich kenne Menschen im persönlichen Umfeld, wo Covid-19 voll zugeschlagen hat.

Wie geht es Berlin in der Krise? Tausende Menschen demonstrieren nun jede Woche gegen die Beschränkungen. Wie empfinden Sie die Stimmung in der Bevölkerung?
Ich erlebe viel Unterstützung. Wir sind auf dem richtigen Weg, doch natürlich werden unsere Maßnahmen wegen der niedrigen Infektionszahlen jetzt stärker hinterfragt. Aber ich sage immer wieder: Die niedrigen Zahlen in Berlin haben wir nicht trotz, sondern wegen unseres besonnenen Weges.

Der Staat hat massiv in die Grundrechte eingegriffen, wenn auch aus gutem Grund. War es nicht auch etwas unheimlich, dass sich die Bevölkerung damit so schnell einverstanden erklärte? So nach dem Motto: Wir können gut eine Weile ohne unsere Grundrechte auskommen.
Einige Grundrechte sind eingeschränkt, aber sie wurden nie komplett außer Kraft gesetzt. Es war immer möglich, zu demonstrieren. Die Parlamente haben getagt, Gottesdienste haben stattgefunden – alles in anderer Form. Es gab doch ein großes Erschrecken über das, was in anderen Ländern geschah, wo Militärfahrzeuge mit Verstorbenen durch die Straßen fuhren. Dieser Schock hat dazu beigetragen, zeitweise die Einschränkung der Grundrechte hinzunehmen. Jetzt heben wir vieles wieder auf: Das Demonstrationsrecht kann seit Samstag wieder mit unbegrenzter Teilnehmerzahl ausgeübt werden, für Gottesdienste in den Kirchen gilt das ab dem 16. Juni.

Hat die Politik das alles richtig erklärt?
Es war auch für uns eine neue Situation, wir mussten uns herantasten. Dabei haben Gerichtsentscheidungen und auch Bürgerproteste eine Rolle gespielt. Auch ich habe mich oft gefragt: Gehst du jetzt zu weit oder nicht weit genug? Ich habe mit Bürgermeisterkollegen aus unseren internationalen Partnerstädten telefoniert, die wussten oft nicht ein noch aus, weil die Menschen bei ihnen vor den Krankenhäusern lagen.

In der Coronakrise rächt es sich, dass viele Dinge nicht vorankommen. Sie sagten dem Tagesspiegel vor zwei Jahren: „Die dringend nötige Digitalisierung der Verwaltung ist erst ansatzweise zu erkennen. Wir müssen die Behörden in den nächsten Jahren technisch auf den modernsten und auf einen einheitlichen Stand bringen.“ War das zu optimistisch gedacht?
(lacht) Den Satz finden Sie zu optimistisch? Es war eher eine realistische Einschätzung, dass noch viel zu tun ist. Punktuell zeigen wir ja, wie es funktioniert. Etwa bei den Finanzämtern, den Kfz-Zulassungsstellen oder der Investitionsbank Berlin, die in wenigen Tagen über ein online-basiertes Antragsverfahren an rund 200.000 Selbstständige und Kleinunternehmer Zuschüsse von fast zwei Milliarden Euro ausgezahlt hat.

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Aber wir müssen einen anderen Anspruch an die digitale Leistungsfähigkeit der gesamten Verwaltung entwickeln. Jetzt hat die IT-Staatssekretärin angekündigt, in den nächsten drei bis vier Jahren 80.000 Laptops anzuschaffen, um das mobile Arbeiten zu erleichtern. Das mobile Endgerät soll zur Standardausstattung werden. Und wir stellen zudem gerade mehr sichere Internetzugänge bereit, die Zahl der VPN-Zugänge wurde um 10.000 erhöht. Das ist ein weiterer Schritt, aber Berlin hat da noch viel zu tun.

In privaten Unternehmen hat der Wechsel ins Homeoffice oft in wenigen Tagen funktioniert. Wie erklären Sie den Berlinern, dass manche Behörden noch mit Karteikarten arbeiten und in Ämtern der Dienstkalender an der Wand hängt?
Die Digitalisierung der Berliner Verwaltung ist ein milliardenschweres Investitionsprojekt, das in den verschiedensten Behörden und Verwaltungsteilen realisiert werden muss. Mit einheitlichen technischen und organisatorischen Standards für mehr als 100.000 Beschäftigte. Über viele Jahre fehlte dafür das Geld, vielleicht auch der politische Wille. Inzwischen sind immerhin einige tausend Arbeitsplätze im Landesdienst digital hervorragend ausgestattet – und die Coronakrise beschleunigt diesen Prozess.

In den Schulen ist das nicht nur ein technisches Problem. Bei manchen Lehrern scheint die Bereitschaft zu fehlen, sich aufs Digitale einzulassen. Sie lassen damit die Eltern und Schüler in der Krise alleine.
Der Berliner Schulalltag ist hart, die Lehrerinnen und Lehrer haben schon gut zu tun, den Kernauftrag der Wissensvermittlung zu erfüllen. Wenn neue Anforderungen hinzukommen, brauchen sie eine Entlastung durch zusätzliches Personal, das die Lehrerschaft schult oder selbst die Arbeit mit digitalen Medien übernimmt. Bei knapp 800 Berliner Schulen geht das nicht von heute auf morgen. Als Hauptstadt der Start-ups muss Berlin trotzdem noch mehr Ehrgeiz zeigen, und deshalb bin auch ich oft ungeduldig.

Fitnessstudios und Kneipen dürfen wieder öffnen, aber für die Schulen und Kitas gelten weiterhin starke Restriktionen. Wie passt das zusammen?
Wir müssen einordnen, wo besonders gefährliche Infektionsherde entstehen können. Das ist überall dort, wo viele Menschen miteinander in Kontakt treten: In Kneipen, Hotels und Fitnessstudios, aber eben auch in den Kitas und Schulen, wo Abstandsregeln schwerer einzuhalten sind. Aber natürlich steht die Betreuung von Kindern und die Wissensvermittlung an Schüler für uns ganz oben auf der Liste.

Aber wo ist dann die Perspektive für Schulen und Kitas? Mit der schrittweisen Wiederaufnahme des normalen Schulbetriebs, wie er jetzt praktiziert wird, fühlen sich viele Lehrer überfordert. Sie müssen die Einhaltung der Regeln organisieren, geteilte Klassen unterrichten, gleichzeitig online arbeiten und sich mit den Eltern auseinandersetzen. Es fehlt ein klarer Kurs.
Der Anspruch ist, Schulen und Kitas möglichst schnell wieder in den Normalbetrieb zu führen, das machen wir stufenweise. Bundesweit laufen mehrere wissenschaftliche Studien, die die Infektionsgefahren für Kinder untersuchen. Das müssen wir im Blick behalten.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Wir haben ja nichts gewonnen, wenn wir morgen einen kompletten Schulbetrieb anbieten, der übermorgen wieder geschlossen wird. Es ist eine Ausnahmesituation, die Eltern, Kinder, Lehrerinnen und Lehrer enorm belastet und die wir hoffentlich bald beenden können.

Die Kitas sind ein besonderes Problem, kleine Kinder halten sich nicht an Abstandsregeln, andererseits drängen viele Eltern, dass der Normalbetrieb vor August beginnt. Können Sie ihnen Hoffnung machen?
Ja, wir sind inzwischen bei einem Betreuungsgrad von 60 Prozent. Und es werden täglich mehr. Seit dieser Woche dürfen nun ja auch die fünfjährigen Kinder wieder in die Kita. Ziel ist, dass wir nicht erst im August wieder alle Kinder betreuen. Ich sehe, in welcher Notsituation die Eltern sind. Diese Situation will ich sobald wie möglich beenden und einen Normalbetrieb anbieten.

So sollte es sein: Betreuung und Abstand in der Pestalozzi-Fröbel-Haus Kita in Wilmersdorf.
So sollte es sein: Betreuung und Abstand in der Pestalozzi-Fröbel-Haus Kita in Wilmersdorf.
© Wolfgang Kumm/dpa

Wie soll das ablaufen mit den Tests? Kommt jeden Mittwoch das Gesundheitsamt in die Kita und testet alle Erzieherinnen durch?
Da wird es verschiedene Möglichkeiten geben. Im ersten Schritt fangen wir schnell mit Testmöglichkeiten für Erzieher und Lehrer an der Charité an und bereiten zugleich Teams der Charité für den mobilen Einsatz vor. Mit Einwilligung der Eltern sollen dann an ausgewählten Schulen und Kitas punktuell kleine Gruppen getestet werden.

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Ob wir einen klassischen Abstrich brauchen oder eine Spuckprobe ausreicht, das entscheiden die Virologen und Mediziner. In jedem Fall wird dann vor Ort getestet, technisch und personell reichen die Kapazitäten aus. Wir werden sicher keine Wandertage zur Charité organisieren.

Müller bei der Besichtigung der umfunktionierten Intensivstation der Charité Campus-Klinik.
Müller bei der Besichtigung der umfunktionierten Intensivstation der Charité Campus-Klinik.
© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

Ihr Parteifreund, der brandenburgische Wirtschaftsminister Jörg Steinbach, hat kürzlich gesagt, dass die Coronakrise auch eine Chance für die Eltern sei, ihre Kinder mal wieder richtig kennenzulernen? Sehen Sie das auch so?
Na ja, ich hoffe doch, dass Eltern ihre Kinder auch unter normalen Umständen gut kennen. Manche haben zunächst sicher auch die Situation genossen, mehr Zeit füreinander zu haben. Doch für die allermeisten Eltern und Kinder war es eine sehr belastende Zeit. Das sollte man nicht schönreden. Ich weiß, was wir den Familien zumuten.

Die Zahl der Neuinfektionen ist niedrig…
…aber bleiben sie so? Wir sehen jetzt in Hessen und Niedersachsen: Eine Feier in einer Gaststätte oder ein Gottesdienst kann 40 oder 100 Neuinfektionen auslösen. Wir müssen alle diszipliniert bleiben. Dass man wieder Dinge machen darf, die bisher verboten waren, heißt ja nicht, dass man sie unbedingt machen muss.

Das gilt auch für die neue Reisefreiheit. Ist es momentan vielleicht besser, zu Hause oder im eigenen Land zu bleiben, wo die Gesundheitsversorgung besser und die Fallzahlen niedrig sind? Welches Risiko man eingeht, muss jeder für sich selbst prüfen. Und dabei nicht vergessen, dass man auch andere gefährdet: Nach dem Urlaub komme ich an den Arbeitsplatz, nach der Fete gehe ich nach Hause, in die Familie. Je weniger Vorgaben der Staat macht, desto mehr Eigenverantwortung müssen die Bürger übernehmen.

Sie waren zwei Jahre Kultursenator und wissen, was es bedeutet, dass Berlin in Coronazeiten ohne Theater, Opern, Konzerte, Clubs und Bars auskommen muss. Geht der Stadt auf lange Zeit die kulturelle Anziehungskraft verloren?
Wir werden sehr schnell wieder ein großer Anziehungspunkt für Gäste aus aller Welt werden. Natürlich ist es ein tiefer, bitterer Einschnitt für die Kulturszene, auch wenn manche Einrichtungen die Krise nutzen, um sich mit digitalen Angeboten neue Zielgruppen zu erschließen. Trotzdem glaube ich, dass es mit Berlins Kultur bald wieder nach oben gehen wird. Vielleicht schneller als in anderen Bereichen, die von der Pandemie betroffen sind.

Was sagen Sie den Betreibern von Restaurants, Kneipen und Hotels, die trotz der Lockerungen extrem unter der Krise leiden?
Wir unterstützen, wo wir es können. Ich sage aber auch, dass sie sich darauf einstellen müssen, dass ihre Gäste auch in Zukunft neue Anforderungen stellen. Die Menschen sind sensibler geworden, etwa was die Hygiene betrifft. Sie werden erwarten, dass sich die Betriebe länger auf die Abstandsregeln einstellen. Die Theatersäle werden nach Öffnung nicht zu 100 Prozent ausgelastet sein. Die Restaurants werden noch über Monate mit weniger Gästen leben müssen. Nicht nur wegen staatlicher Reglementierungen, sondern weil die Bürger das so entscheiden. Ich selbst bin aus einem Restaurant rausgegangen, weil ich das Gefühl hatte, dass Abstände nicht eingehalten werden.

Die Berliner Wirtschaft hat sich, weil sie sehr dienstleistungsorientiert ist, in der Coronakrise besonders anfällig erwiesen. Der Senat hilft flächendeckend – aber ist dies nicht auch eine Chance, ungesunde Strukturen zu bereinigen? Muss jeder Kleinbetrieb, der schon vorher auf wackeligen Beinen stand, mit Steuergeldern gerettet werden?
Wer schon vor der Krise eine schwache Basis hatte, wird sie möglicherweise auch mit öffentlichen Geldern nicht überleben. Wer aber gute Konzepte hat, dem helfen wir mit den Zuschüssen und Kreditprogrammen des Bundes und Landes sehr.

Lässt sich diese Krise auch auf anderen Gebieten kreativ nutzen? Etwa in der Verkehrspolitik? Metropolen wie Paris und London verdrängen die Autos aus Teilen der Innenstadt, in Berlin gibt es bisher nur ein paar zugeparkte Pop-up-Radwege.
Das Auto wird weiter seine Berechtigung haben, schon allein wegen des Wirtschaftsverkehrs. Man sieht aber auch in einigen Bezirken, dass die Gelegenheit ergriffen wird, Dinge sehr schnell voranzutreiben. In den letzten Wochen wurden elf Kilometer Pop-up-Radwege gebaut. Wir bekommen die temporäre autofreie Zone in der Friedrichstraße, temporäre Spielstraßen werden eingerichtet. Da ist ein neuer Schwung in die Mobilitätswende gekommen, zugunsten der Radfahrer und auch Fußgänger. Es gibt viele Ideen, die gerade konstruktiv diskutiert werden. Klar ist: Die Haltung ändert sich.

Verkehrswende durch Coronakrise: Ein Bauarbeiter sprüht ein Fahrradsymbol auf die Frankfurter Allee.
Verkehrswende durch Coronakrise: Ein Bauarbeiter sprüht ein Fahrradsymbol auf die Frankfurter Allee.
© Sven Braun/dpa

Das ist eine dauerhafte Entwicklung?
Ich glaube schon. Das ist so wie mit den Hygieneregeln und der Digitalisierung: Auch die Mobilität verändert sich – und damit auch die Erwartungshaltung der Bürger. Bezirke haben erkannt, dass sie selbstständig tätig werden können und nicht auf den Senat warten müssen. Ihre Aufgabe ist es, das 2018 beschlossene Mobilitätsgesetz umzusetzen und eigene Schwerpunkte zu setzen. Allerdings staune ich, dass auf einmal alles ohne Beteiligungsverfahren läuft, was vorher allen so wichtig war. Da sollte nachjustiert werden.

Die Berliner Haushaltspolitiker waren seit 2012 in Partystimmung, jedes Jahr gab es hohe Überschüsse, es konnten über fünf Milliarden Euro Schulden abgebaut werden. Das ist jetzt alles für die Katz. Wurmt Sie das nicht, jetzt wo sich Ihre Amtszeit möglicherweise dem Ende zuneigt?
Das ist furchtbar. Wir haben in den vergangenen Jahren viel investiert, aber auch gut konsolidiert. Jetzt zu sehen, wie dieser Erfolg auf Null gefahren wird, das ist bitter. Trotzdem ist es richtig, zur Bekämpfung der Coronakrise viel öffentliches Geld einzusetzen.

Die Koalitionsfraktionen wollen sechs Milliarden Euro neue Schulden machen, über eine lange Laufzeit von 27 Jahren. Ein Sparprogramm im Haushalt soll es nicht geben. Sind Sie damit einverstanden?
Der parlamentarische Haushaltsgesetzgeber ist frei, zu entscheiden, wie er den Etat beschließt. Das muss der Senat akzeptieren. Wir haben aber deutlich gemacht, dass uns wichtig ist, für die Handlungsfähigkeit künftiger Politikergenerationen eine seriöse und besonnene Haushaltspolitik zu betreiben.

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Wir wollen nicht zurückfallen in schlimme Kürzungszeiten. Für den Abbau der Kredite, die wir jetzt aufnehmen müssen, sollten wir Tilgungszeiträume verabreden, die überschaubar sind. Ich werbe auch für vorsichtige Einsparungen, ohne wirtschaftliche Entwicklungen abzuwürgen.

Finanzsenator Matthias Kollatz erinnerte daran, dass auch die nächsten 30 Jahre sicher nicht krisenfrei bleiben.
Da hat er völlig recht. Wir müssen davon ausgehen, dass es ungefähr alle zehn Jahre einen heftigen wirtschaftlichen und finanziellen Einschnitt gibt. Das bedeutet jedes Mal weitere Einnahmeausfälle und zusätzliche Ausgaben. Es geht nicht immer weiter nach oben.

Würde neue Schulden lieber schneller tilgen: Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD).
Würde neue Schulden lieber schneller tilgen: Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD).
© Fabian Sommer/dpa

Wo Sie Krise offenbar ganz gut können – haben Sie nicht Lust, doch noch eine Weile weiterzumachen?
Ich habe immer Lust, Politik zu machen, auch ohne Krise. Wir haben in der SPD etwas verabredet für den Wechsel an der Berliner Parteispitze, das ist auch richtig und gut nach zwölf Jahren SPD-Landesvorsitz. Alles Weitere wird man sehen.

Immerhin ist die Berliner SPD auf etwa 20 Prozent geklettert, Ihre persönliche Beliebtheitsquote liegt laut Umfragen bei 51 Prozent…
… (lacht) Nicht auszuhalten!

Der bayerische Landesvater Markus Söder kommt allerdings auf 94 Prozent. Hätten Sie vielleicht auch mal, wie Söder, mit Toilettenpapier posieren sollen?
Bayerischer Ministerpräsident will ich ja nicht mehr werden. Aber im Ernst: Berlin ist nun mal ein ganz anderes Pflaster, und es freut mich, dass es wieder mehr Unterstützung für meine Partei und mich in Berlin gibt."

Sie sagen es nicht, aber eigentlich soll Bundesfamilienministerin Franziska Giffey im Herbst 2021 Regierende Bürgermeisterin werden. Was kann Giffey, was Müller nicht kann?
Franziska Giffey hat sich vorgenommen, was mich sehr freut, für die Berliner SPD mehr Verantwortung zu übernehmen. Gemeinsam mit dem SPD-Fraktionschef Raed Saleh. Dass beide für den Landesvorsitz kandidieren, ist gut. Neue Impulse und Ideen kann die SPD immer brauchen. Was sich daraus in den weiteren Schrittfolgen entwickelt, wird man – wie gesagt – sehen.

Mit Ambitionen in der Berliner SPD: Bundesfamilienministerin Franziska Giffey.
Mit Ambitionen in der Berliner SPD: Bundesfamilienministerin Franziska Giffey.
© imago images/photothek

Aber Sie bleiben bis zur Berliner Wahl im Herbst 2021 Regierender Bürgermeister?
(lacht) Sehe ich da bei Ihnen eine Lernkurve?

Na, Ihre Partei war nicht immer einer Meinung, wann Sie das Amt abgeben sollten…
… das stimmt. Aber das muss man eben als Bürgermeister aushalten.

Versuchen wir es mal im Konjunktiv: Sollten Sie nach der Wahl 2021 nicht mehr im Roten Rathaus sitzen, könnten Sie dann entspannt aus dem Amt scheiden? Ohne ein bitteres Gefühl?
Ja. Was ich in den vergangenen Jahren als Regierungschef und Wissenschaftssenator erreicht habe, auch im Bereich Wissenschaft und Forschung und den Investitionen, damit kann ich vor mir selbst gut bestehen.

Sie wirken in den letzten Wochen, als hätten Sie neue Freude am Amt entwickelt.
Vielleicht habe ich mich manchmal selbst zu sehr unter Druck gesetzt – und wollte zu schnell zu viel. Dann kommt irgendwann ein Punkt, an dem man sich freier machen muss. Dann wird man lockerer – manchmal mit dem schönen Nebeneffekt, dass die Arbeit besser gelingt.

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