Machtwechsel in der Berliner SPD: Franziska Giffey könnte noch vor Weihnachten Spitzenkandidatin werden
Ende Oktober gibt der Regierende Bürgermeister Michael Müller den SPD-Vorsitz ab, bald darauf folgt die Bundestagsnominierung: Bahn frei für Franziska Giffey.
Der Fahrplan für den Machtwechsel in der Berliner SPD steht weitgehend fest. Auch wenn der Regierende Bürgermeister und Landeschef der Sozialdemokraten Michael Müller viel Spaß daran hat, in der Coronakrise Politik zu machen, wird er die Führungsämter in Partei und Senat schrittweise abgeben müssen. Wenn auch mit zeitlicher Verzögerung. Ohne Pandemie wäre er schon am 16. Mai als SPD-Landesvorsitzender abgelöst worden, nun müssen die Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und SPD-Fraktionschef Raed Saleh auf den Parteitag am 31. Oktober warten.
Dort steht ihrer Wahl zum neuen Führungs-Duo der Berliner SPD auf heutiger Sicht nichts mehr im Weg. Giffey kann mit einem sehr guten, Saleh mit einem ausreichenden Wahlergebnis rechnen.
Schon sechs Wochen später, am 12. Dezember, wollen die Hauptstadt-Sozialdemokraten auf einer Landesvertreterversammlung ihre Kandidaten für die Bundestagswahl nominieren, die im Herbst 2021 stattfindet. Aller Voraussicht nach zeitgleich mit der Wahl zum Abgeordnetenhaus. Deshalb würde es auch Sinn machen, noch am selben Tag zu klären, wer die Genossen in den Berliner Wahlkampf führt. Noch immer gilt der Deal aus einer Hinterzimmerrunde, die Ende Januar dieses Jahres stattfand: Müller zieht sich aus dem Roten Rathaus zurück und wechselt in den Bundestag.
Müller und Kühnert rangeln um die besten Plätze
Vorher muss er aber noch mit dem Vize-Parteivorsitzenden und Juso-Bundeschef Kevin Kühnert auswürfeln, wer die Landesliste der Berliner SPD für die Bundestagswahl anführen darf. Momentan hat Müller, der in der Coronakrise als Regierungschef eine gute Performance zeigt, für Platz 1 die besseren Karten. Wenn es so kommt, strebt Kühnert Listenplatz 3 an. Beide Genossen sind im Kreisverband Tempelhof-Schöneberg beheimatet und möchten dort gern für den Wahlkreis kandidieren. Wie diese Rangelei ausgeht, ist ebenfalls offen.
[Behalten Sie den Politik-Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über Berlins wichtigste Nachrichten und größte Aufreger. Kostenlos und kompakt: checkpoint.tagesspiegel.de]
Notfalls kann Müller in den Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf ausweichen, wo er mit offenen Armen empfangen würde. Nicht von allen, aber von vielen. Dazu gehören der Chef der Senatskanzlei, Christian Gaebler, dessen Büroleiter Kian Niroomand und Müllers Planungschef im Roten Rathaus, Robert Drewnicki. Eine Hausmacht, die nicht zu unterschätzen ist, auch wenn Gaebler und Drewnicki ihre besten Zeiten als politische Taktgeber im Kreisverband hinter sich haben.
Sawsan Chebli würde auch gern kandidieren
Für Sawsan Chebli, Bundesbevollmächtigte des Landes Berlin und Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales, wäre die Nominierung Müllers zum Wahlkreiskandidaten in Charlottenburg-Wilmersdorf ein Desaster. In diversen Parteirunden hat sie ihr dringendes Interesse an einer Direktkandidatur in der City-West mehrfach signalisiert. Aber gegen Müller hätte sie keine Chancen und würde es auf eine Kampfkandidatur wohl gar nicht erst ankommen lassen.
Ohnehin wäre es ein Showkampf, denn der Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf dürfte den Christdemokraten kaum zu nehmen sein. Doch es gilt in der Berliner SPD ein ungeschriebenes Gesetz: Wer keinen Wahlkreis hat, braucht für einen guten Platz auf der Landesliste gar nicht erst anzutreten. Chebli wird nachgesagt, den „Frauen-Platz“ 4 auf der Liste anzustreben.
Juso-Landeschefin Annika Klose will auch in den Bundestag
Wie man hört, müsste sie am 12. Dezember mit einer starken Gagenkandidatin rechnen. Die (noch) Juso-Landesvorsitzende Annika Klose ist an einem Bundestagsmandat offenbar interessiert und lotet derzeit aus, ob sie neben einer aussichtsreichen Platzierung auf der Landesliste auch SPD-Wahlkreiskandidatin im Bezirk Mitte werden kann.
[Was macht die Politik in ihrem Kiez? Eines der Top-Themen in unseren Newslettern aus den 12 Bezirken. Die Newsletter gibt es kostenlos und schnell hier: leute.tagesspiegel.de]
Die parteiinternen Mehrheitsverhältnisse sind im SPD-Kreisverband Mitte zwar schwer überschaubar, doch Klose gilt als energische und gut vernetzte Parteilinke. Bei der Nominierung der Berliner SPD-Kandidaten für das Europaparlament unterlag sie vor zwei Jahren der Gewerkschafterin Gabriele Bischoff nur knapp. Da Eva Högl, langjährige Bundestagsabgeordnete aus Berlin-Mitte, vor zwei Wochen überraschend neue Wehrbeauftragte des Bundes wurde, eröffnet das für andere Genossinnen gute Chancen, im Herbst 2021 in den Bundestag aufzurücken.
Allen voran die SPD-Linke Cansel Kiziltepe, die im Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg eine tragende Rolle spielt und seit 2013 im Bundestag sitzt. Sie gilt für Platz 2 der Landesliste als gesetzt. Unter anderen Umständen wäre es den Frauen vorbehalten, die Liste anzuführen. Doch weil inzwischen fast alle Genossen im SPD-Landesverband davon ausgehen, dass Franziska Giffey Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl wird, gilt es als gendergerecht, dass Müller oder Kühnert die Bundestagsliste anführen.
Auch der Finanzsenator strebt in den Bundestag
Neben Müller strebt noch ein weiteres sozialdemokratisches Senatsmitglied in den Bundestag. Finanzsenator Matthias Kollatz will dem Vernehmen nach versuchen, den Wahlkreis Steglitz-Zehlendorf direkt zu holen. Das dürfte schwierig werden, der Südwesten Berlins gilt als Domäne der CDU. In jedem Fall ist dies ein Signal, dass der 62-jährige Kollatz der nächsten Berliner Landesregierung, sofern die SPD daran beteiligt ist, nicht mehr angehören wird.
Deutlich bessere Chancen, für die Berliner Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl ein Direktmandat zu holen, hat der scheidende Bezirksbürgermeister von Spandau, Helmut Kleebank. Der enge Vertraute des SPD-Fraktionschefs Raed Saleh will, wie aus Parteikreisen zuverlässig verlautet, in Spandau gegen den CDU-Landesvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Kai Wegner antreten. Es könnte ein knappes Rennen werden, doch Kleebank hat sich in Spandau als Kommunalpolitiker bei den Wählern beliebt gemacht.
Sollte er das Direktmandat holen, droht Wegner sogar das Ende der Bundestagskarriere. Denn es könnte sein, dass die Union in Berlin so viele Wahlkreismandate holt, dass auch der CDU-Listenplatz 1 nicht mehr zieht.
[245.000 Leute, 1 Newsletter: Den Tagesspiegel-Newsletter für Spandau gibt's hier - voller Debatten, Ideen, Tipps und Terminen: leute.tagesspiegel.de]
Aber auch in der SPD wird das Gedränge groß. Selbst wenn die Sozialdemokraten nur in Spandau mit Kleebank ein Direktmandat holen, dürften nach den aktuellen Umfragen nur noch Müller, Kiziltepe, Kühnert und Klose (falls sie auf Platz 4 landet) in den nächsten Bundestag einziehen. Noch enger würde es, wenn es dem Bundestagsabgeordneten und Verteidigungsexperten Fritz Felgentreu gelingen sollte, den Wahlkreis Neukölln ein drittes Mal zu erobern.
SPD-Kongress am 12. Dezember: Erste Herausforderung für Giffey und Saleh
Es wird also spannend, und die designierten Parteichefs Giffey und Saleh werden sich anstrengen müssen, die Aufstellung der SPD-Bundestagsliste zwei Wochen vor Weihnachten in einem geordneten Verfahren über die Bühne zu bringen. Ein Fall für Saleh, dessen Fähigkeit zur Organisierung innerparteilicher Mehrheiten und wichtiger Personalentscheidungen trotz mancher Anfeindungen aus den eigenen Reihen ungebrochen ist.
Sobald Müllers neue Karriere im Bundestag durch die Landesvertreterversammlung abgesichert ist, könnte ebenfalls schon am 12. Dezember Franziska Giffey auf einem anschließenden Landesparteitag zur SPD-Spitzenkandidatin gekürt werden. Einige Genossen sehen diesen engen Fahrplan zwar kritisch, doch sieht es so aus, dass nur die Pandemie mit einer zweiten oder dritten Welle verhindern könnte, dass der Machtwechsel in der Berliner SPD bis zum Jahresende abgeschlossen ist.
Die Sozialdemokraten hätten dann Zeit für eine auf Giffey zugeschnittene Wahlkampfvorbereitung – und Müller könnte seine Amtszeit entspannt zu Ende bringen.