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Britta Ernst, 57, SPD, ist seit 2017 Bildungsministerin in Brandenburg, vorher in Schleswig-Holstein.
© picture alliance / Bernd Settnik

Brandenburgs Bildungsministerin im Interview: "Ich kann keine Politik mit westdeutscher Brille machen"

Die Sozialdemokratin Britta Ernst spricht über die starke AfD im Osten, ihr Fibel-Gebot und das Modell Hamburg als Vorbild für bessere Schulen.

Britta Ernst (SPD) ist Bildungsministerin in der Koalition in Brandenburg. Ein Jahr vor der Landtagswahl lag die regierende SPD in Umfragen mit der AfD zuletzt gleichauf. Beide Parteien würden 23 Prozent der Stimmen erreichen, Die Linke rund 17 Prozent. Ernst ist die Ehefrau von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD).

Frau Ernst, was halten Sie von den für Brandenburg angekündigten Meldeplattformen der AfD gegen kritische Lehrer?

Das ist ein Angriff auf den Schulfrieden. Gerade in den ostdeutschen Bundesländern fühlen sich viele dabei zu Recht an Stasi-Überprüfungsmethoden erinnert.

Werden Sie dagegen vorgehen?

Noch ist es ein Phantom. Wir werden, wenn es so eine Plattform für Brandenburg geben sollte, rechtlich prüfen, ob das erlaubt ist. Und wir werden wenn nötig Lehrkräfte unterstützen, auch durch Rechtsschutz. Im Hamburg hat die Zivilgesellschaft kreativ gegen so eine Meldeplattform protestiert. Das erwarte ich auch in Brandenburg.

Haben Sie Sorge, dass schon nach der Ankündigung Lehrer in Debatten zur Flüchtlingspolitik vorsichtiger werden?

Es wird diskutiert. Auch deswegen muss man den Pauschalvorwurf der AfD, Lehrer würden diffamieren, zurückweisen. Wir sagen den Lehrkräften ganz klar: Wir stehen hinter euch! Brandenburgs Schulen indoktrinieren nicht.

Brandenburgs Ergebnisse beim IQB-Bildungstrend in Lesen und Orthografie sind nicht gut.
Brandenburgs Ergebnisse beim IQB-Bildungstrend in Lesen und Orthografie sind nicht gut.
© Kitty Kleist-Heinrich

Zur Potsdamer Oberbürgermeisterwahl ist für die AfD ein Kandidat angetreten, der als Lehrer für Geografie und Geschichte in Berlin arbeitet. Ist das ein Problem für Sie?

Eine Lehrkraft, die Mitglied der AfD ist, kann für das Amt kandidieren. Aber sie muss sich im Unterricht auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen. Der gern von der AfD angelegte Maßstab gilt gleichermaßen für die AfD selbst.

Die AfD liegt in Brandenburg mit 23 Prozent gleichauf mit der SPD. Was tun?

Das beschäftigt mich, und ich frage mich oft: Ist das Erstarken der AfD nun besonders ein Ost-Thema oder nicht?

Das Ost-West-Gefälle beim Abschneiden der AfD ist auffällig.

Im Osten Deutschlands haben die Menschen kürzere Erfahrungen mit Demokratie. Das Aushalten von Unterschiedlichkeit ist noch nicht so eingeübt. Ich vermute, dass das eine Rolle spielt. Aber ich merke auch, wie schnell Leute, denen irgendetwas nicht gefällt, heute sagen: Dann wähle ich eben AfD. Mein Gott, wie lange haben wir im Westen gebraucht, etwas durchzusetzen. Ringen gehört dazu. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich im demokratischen Gemeinwesen zu betätigen. Sie werden viel zu oft nicht genutzt.

Nach der neuen Brandenburger Jugendstudie sind 12- bis 14-Jährige wieder anfälliger für Rechtsextremismus. Ein Alarmsignal?

Wir nehmen das ernst. Ich sage aber auch: Die Schule ist keine Korrekturinstanz für alles, was in der Gesellschaft schiefläuft. Wenn Elternhäuser bestimmte politische Ansichten haben, geht das an den Kindern eben auch nicht spurlos vorüber.

Politische Bildung ist ein Randfach. Tut mehr Politikunterricht not?

Ich kann mir gut vorstellen, den Politikunterricht auszuweiten.

"Qualität, Qualität, Qualität! Das steht über allem im Bildungsbereich."

Bemerken Sie eigentlich Unterschiede zwischen Brandenburg und Schleswig-Holstein in der politischen Kultur?

Den Wechsel von Schleswig-Holstein nach Brandenburg empfand ich als nicht so gravierend, weil beides Flächenländer sind. Da ähnelt sich viel. Aber in Brandenburg wird mehr über Ost-West-Verhältnisse und die Folgen der Wiedervereinigung diskutiert. Das ist schon dominant. In Schleswig-Holstein hat das in der Tagespolitik keine Rolle gespielt.

Wie gehen Sie mit Ihrer West-Vita damit um, verhalten Sie sich anders?

Ich stelle mich darauf ein. Ich schaue schon bei Leuten, wo sie herkommen. Das habe ich in Schleswig-Holstein nicht getan, in Berlin auch nicht. Bei manchen Themen gibt es eine West- und eine Ost-Sicht. Die Lehrkräfte beispielsweise, die in der DDR ausgebildet wurden, haben eben einen anderen Hintergrund. Das versuche ich zu berücksichtigen. Bei manchen Themen gehe ich vorsichtiger heran, da kann ich nicht mit westdeutscher Brille Politik machen.

Was ist Ihre Kernagenda als Bildungsministerin bis zur Landtagswahl 2019?

Qualität, Qualität, Qualität! Das steht über allem im Bildungsbereich.

Können Sie sich noch erinnern, wie Sie Lesen und Schreiben gelernt haben?

Ja, mit einer Fibel.

Ihr Verbot der Methode „Lesen durch Schreiben“, die Vorgabe für die Fibel, hat viel Resonanz hervorgerufen, meist positive von Eltern. Aber muss man das verordnen? Wissen die Lehrer im Land nicht selbst, wie sie am besten unterrichten?

Doch, natürlich. Aber wir müssen uns klarmachen, dass die Ergebnisse der Schulen Brandenburgs beim IQB-Bildungstrend in Lesen und Orthografie nicht gut sind. Deshalb geht es uns auch nicht allein um die Lernmethode. Wir haben ein Fünf- Punkte-Programm aufgelegt, um die Lesekompetenz der Brandenburger Schülerinnen und Schüler zu verbessern. Wir brauchen mehr Lesezeit. Die Rechtschreibung muss stärker überprüft werden, und zwar nicht nur im Fach Deutsch. Das ist sogar wichtiger als der Methodenstreit.

Warum dann Ihr Verbot?

Weil die Methode „Lesen durch Schreiben“ gerade lernschwächere Kinder in ihrer Entwicklung eher behindert. Und eine Methode, die bei den Eltern für Verunsicherung sorgt, die sie zweifeln lässt, ob ihre Kinder damit wirklich richtig Schreiben lernen, weckt kein Vertrauen in das Bildungssystem. Aber gerade das ist mir wichtig.

In Brandenburg und in Berlin hat man sich daran gewöhnt, bei Schul-Ländervergleichen schlecht abzuschneiden. Ergebnisse werden eher abgetan. Warum sind Sie eine klare Befürworterin solcher Erhebungen?

Ich bin für Bildungspolitik auf empirischer Grundlage. Ich bin geprägt durch Hamburg, ein Bundesland, das bei den ersten Pisa-Tests damals sehr, sehr schlecht abgeschnitten hat. Ich gehörte zu denen, die sich damit nie zufriedengegeben haben. Und Hamburg hat erfolgreich eine große Aufholjagd hingelegt, es hat vorgemacht, dass es geht.

Und wie?

Dort wurden jene Schulen besser ausgestattet, in denen der Bedarf nach Indikatoren besonders groß war. Also maßgeschneidert. Das ist der Weg, den wir auch in Brandenburg gehen wollen.

Seit August zahlen Eltern in Brandenburg für das letzte Kitajahr keine Beiträge mehr. Wann werden die Kitas wie in Berlin komplett beitragsfrei sein?

Mein Wunsch wäre, dass bis zum Ende der nächsten Wahlperiode in Brandenburg die Kitas komplett beitragsfrei sind.

Britta Ernst, 57, SPD, ist seit 2017 Bildungsministerin in Brandenburg, vorher in Schleswig-Holstein. Die gebürtige Hamburgerin ist mit Vize-Kanzler Olaf Scholz verheiratet.

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