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Die Turnwettkämpfe fanden in der heutigen Waldbühne statt.
© akg-images

80 Jahre Olympia 1936 in Berlin: Hitlers Spiele haben bis heute Spuren hinterlassen

Am Montag vor 80 Jahren begannen in Berlin die Olympischen Spiele. Noch immer prägt das Ereignis die Stadt – und teilweise ihr Bild.

Wer von Dreilinden her kommend auf dem Königsweg an der Stadtgrenze entlangspaziert oder -radelt, den umgibt bald die Stille des Waldes. Gerade noch rauschte Auto um Auto über die Autobahn, nun lauscht man Vogelgezwitscher und Blätterrauschen. Je nach Laune kann man geradeaus Richtung Kohlhasenbrück ziehen oder nach wenigen 100 Metern rechts abbiegen, auf dem Stahnsdorfer Damm Richtung S-Bahn, zu den Ausflugsschiffen oder auf ein Bier bei „Loretta“.

Aber schon bevor man die Waldesruh Richtung Wannsee wieder verlässt, dringen gelegentlich Geräusche ans Ohr, die Ortsunkundige irritieren müssen: Schüsse, Knallerei, piff-paff-puff – die gar nicht mal so laute, doch überraschende Geräuschkulisse der Deutschen Versuchs- und Prüfanstalt für Jagd und Sportwaffen e. V., kurz Deva genannt. Eine Heimstatt der Sportschützen, an dem lange Zeit auch Berliner Polizisten übten und noch früher die Amerikaner, die das alte Schießgelände 1945 beschlagnahmt und als „Rose Range“ fürs Kriegstraining genutzt hatten. Dabei ließen sie auch schon mal Handgranaten hochgehen, was erheblich mehr Krach machte als die aktuelle Ballerei.

Goldmedaille für Deutschland - im Schießen

Der Gedanke an Olympia, an Goldmedaillen und Lorbeerkränze, liegt an diesem abgelegenen Winkel Berlins sehr fern. Und doch: Der Schießplatz im Südwesten der Stadt war einer der Wettkampfplätze der Olympischen Spiele 1936, die heute vor 80 Jahren begannen. An diesem Ort – die Originalgebäude wurden im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört – hat man einst vor 2500 Zuschauern die Schießwettbewerbe in drei Disziplinen ausgetragen. Die deutschen Teilnehmer sackten Silber mit der Scheibenpistole und der Schnellfeuerpistole ein, in der zweiten Disziplin gab es sogar Gold für den Berliner Cornelius van Oyen, Inspektor der Bötzow-Brauerei, in deren Kellereien er seinen Trainingssstand eingerichtet hatte.

Geschossen wurde ebenso auf dem Schießplatz Ruhleben, nordwestlich der Waldbühne, als Teil des Modernen Fünfkampfs. Gold ging auch hier mit Gotthard Handrick an einen Deutschen. Es wäre wohl für Hitler schon mit Blick auf seine Pläne nach Olympia doch zu ärgerlich gewesen, wenn die deutsche Mannschaft ausgerechnet in dieser Disziplin gepatzt hätte.

Die originale Olympia-Glocke steht nahe des Südtors zum Stadion. Sie war bei der Sprengung des Glockenturms 1947 beschädigt worden.
Die originale Olympia-Glocke steht nahe des Südtors zum Stadion. Sie war bei der Sprengung des Glockenturms 1947 beschädigt worden.
© Thilo Rückeis

Für die Berliner findet jetzt gleich doppelt ein olympischer Sommer statt, der ihren Blick nach vorne, auf die am Freitag beginnenden Spiele in Rio lenkt wie auch zurück, auf die von den Nazis propagandistisch missbrauchte Inszenierung in der alten Reichshauptstadt. Sie begann mit der Eröffnung der Spiele durch Adolf Hitler im Olympiastadion, am späten Nachmittag eines wolkenreichen, teilweise verregneten, mit 19 Grad eher kühlen Tages, vor 100.000 Zuschauern.

Die Bilder vom „Reichssportfeld“, erst in Wochenschauen, Leni Riefenstahls Filmen, frühen Fernsehübertragungen, in Zeitungs- und Radioberichten transportiert und seither in unzähligen TV-Dokumentationen repetiert, haben das kollektive Gedächtnis des Landes geprägt, und selbstverständlich waren das Stadion und die es umgebenden Anlagen und Gebäude der Mittelpunkt dieser 16 Tage im August 1936. Aber vielen Berlinern, zumal den erst seit Kurzem hier Ansässigen, von den nur kurzfristig Zugereisten ganz zu schweigen, ist bei ihren Streifzügen durch die Stadt oft nicht bewusst, dass sie an vielen Orten der Stadt gewissermaßen auf olympischem Boden stehen.

Selbst bei der Waldbühne, obwohl sie gleich nebenan vom Stadion liegt, denken viele eher an das berühmt-berüchtigte Stones-Konzert von 1965 als an germanophile Spiele der Nazis und sind dann ganz erstaunt zu erfahren, dass das Amphitheater mit seiner langen Rock-, Pop- und Kinotradition ebenfalls zum Bauprogramm der Sommerspiele 1936 gehörte.

Damals hieß sie freilich noch nicht unverdächtig Waldbühne, sondern war nach dem der NSDAP nahestehenden und als Märtyrer gefeierten Publizisten Dietrich Eckart benannt. Hier fanden unter freiem Himmel die Wettbewerbe im Geräteturnen statt, auch wurde die Bühne fürs kulturelle Rahmenprogramm genutzt, als Aufführungsort von Händels Oper „Herakles“ und dem Thingspiel eines völkischen Dichters. Die Doppelfunktion spiegelt sich noch heute an den Hochreliefs am Haupteingang: links nackte Kriegerjünglinge, rechts ebenso nackte, der Poesie ergebene Frauen.

Eine Straße für Jesse Owens

Auch die Waldbühne gehörte also zum „Reichssportfeld“. Dieser Name war im Stadtbild noch bis 1997 präsent, als die Reichssportfeldstraße trotz Anwohnerprotesten in Flatowallee umbenannt wurde, nach den jüdischen Cousins Alfred und Gustav-Felix Flatow, 1896 Sieger im Turnen bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit in Athen, 1942 und 1945 im KZ Theresienstadt umgekommen. Jesse Owens, dem legendären Star und vierfachen Goldmedaillengewinner von 1936, war diese Ehre bereits 1984 zuteil geworden, als die von der Flatowallee abzweigende Stadionallee, benannt nach dem Deutschen Stadion, dem Vorgängerbau des Olympiastadions, ihren neuen Namen bekam.

Das Reichssportfeld war das Zentrum der Wettkämpfe. Hier fanden Eröffnungs- und Schlusszeremonie statt, dazu die Fußballspiele ab dem Halbfinale, während die der Vor- und Zwischenrunden im Poststadion in der Lehrter Straße in Moabit, im Mommsenstadion in der Waldschulallee in Westend und im 1974 abgerissenen Stadion am Gesundbrunnen, der „Plumpe“ mit seiner jahrzehntelangem Hertha-Tradition, ausgetragen wurden. Übrigens schied Deutschland schon in der Zwischenrunde aus, Gold ging an Italien.

Ach im Weitsprung - 8,06 Meter, Olympischer Rekord- gewann Jesse Owens 1936 Gold.
Ach im Weitsprung - 8,06 Meter, Olympischer Rekord- gewann Jesse Owens 1936 Gold.
© Imago Sportfotodienst

Auch die Handballturniere und Wettkämpfe in der Leichtathletik fanden im Stadion statt, in der langsam aus dem Gedächtnis der Stadt schwindenden Deutschlandhalle wurde geboxt, gerungen, und auch die Gewichtheber mühten sich dort ab. Für Bahnradsportler hatte man am Nordende der Avus eigens eine Holzbahn errichtet, und an der Nordschleife der Avus begannen und endeten die auch über die Avus selbst führenden Straßenrennen der Radfahrer, bei denen es bis zum Olympischen Dorf in Elstal ging.

Zudem bot das Areal ums Stadion mit dem Maifeld, dem Schwimm-, dem Hockey-, dem Reiterstadion und all den anderen Anlagen und Bauten Raum für zahlreiche Disziplinen, ja sogar die Unterkünfte für die Athletinnen befanden sich hier, während die Männer meist im Olympischen Dorf einquartiert waren, einige sogar im Schloss Köpenick sowie in der dortigen Polizeioffiziers- und der Dorotheenschule. Im Köpenicker Ortsteil Grünau wurden auch die Wettkämpfe im Rudern und Kanufahren ausgetragen. Die Tribüne auf der dortigen Regattastrecke war erst im Jahr zuvor eröffnet worden. Die nördlichste Wettkampfstrecke war dagegen die Kieler Förde: Segeln auf dem Wannsee wäre kaum das Richtige gewesen.

Der Fackellauf wurde für Berlin erfunden

Der Fackellauf, für die Spiele 1936 erfunden und seither olympische Tradition, führte am 1. August durch viele Berliner Kieze, etwa über den Mehringdamm, der damals noch Belle-Alliance-Straße hieß und wo eine der letzten Übergaben des olympischen Feuers zelebriert wurde. Oder zum Lustgarten und vors Berliner Schloss, wo das Feuer bei einer Weihestunde mit zehntausenden von Hitlerjungen und SA-Männern auf zwei altarähnlichen Podesten entzündet wurde, bevor es weiter ins Stadion getragen wurde.

Wollte man die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees und dessen Präsidenten Henri de Baillet-Latour aus der Nähe sehen, empfahl sich ein Weg zu ihrer Residenz, dem Adlon am Pariser Platz. Das Organisationskomitee saß in einem Gebäude am Charlottenburger „Knie“, dort ist heute der Ernst-Reuter-Platz. Als Pressezentrum schließlich diente die Theatergaststätte des nahen Schillertheaters.

Die Regattastrecke in Berlin-Grünau
Die Regattastrecke in Berlin-Grünau
© Mauritius

Von dort hatten es Journalisten und das Publikum nicht weit zum Stadiongelände, war es ja durch U- und S-Bahn seit Langem gut angebunden. Die U-Bahnstation gab es bereits seit 1913, als Wilhelm II. das Deutsche Stadion eröffnete. Der heutige, von Alfred Grenander entworfene Bau entstand 1929, schon mit Blick auf die erwarteten, doch erst 1931 Berlin zugesprochenen Spiele.

Auch den S-Bahnhof gab es schon länger, doch erst für 1936 entstand er in seiner heutigen Form als Durchgangsbahnhof nach Spandau sowie als Kopfbahnhof für die Sonderzüge zum Stadion. Auch sonst war die Stadt rechtzeitig zum Sportfest verkehrstechnisch aufgerüstet worden. Der Nord-Süd-Tunnel war zwar ohnehin unverzichtbar, seine Planung keine Folge von Olympia. Doch dass der erste Abschnitt zwischen Humboldthain und Unter den Linden kurz vor den Spielen, am 27. Juli 1936, eröffnet wurde, war sicher kein Zufall.

Im August 1936 begann der Bau des KZ Sachsenhausen

Und noch ein weiterer, bauhistorisch unwichtiger, doch folgenreicher Termin fällt in die zeitliche Nähe zu den Spielen von 1936. Er stand für das wahre Gesicht des Nationalsozialismus, das Goebbels und seine Gehilfen so geschickt hinter ihrer Inszenierung zu verstecken wussten: Im August 1936 begann der Bau des Konzentrationslagers Sachsenhausen.

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